Geiselnehmer vom Hamburger Flughafen wirft Ex-Frau Kindesentführung vor
Hamburg - Nach dem (Teil-)Geständnis des Angeklagten (35) vor zwei Wochen ist am Montag der Prozess um die Geiselnahme am Hamburger Flughafen fortgesetzt worden. Im Fokus stand dabei das Tatgeschehen im niedersächsischen Stade wenige Stunden vor dem Vorfall.
Als Zeugen waren unter anderem zwei Streifenpolizisten geladen, die am 4. November 2023 als Erste am Tatort – einem Mehrfamilienhaus in Stade – eintrafen.
Kurz zuvor soll der Angeklagte seine Tochter aus der Wohnung seiner Ex-Frau unter Vorhalt einer Waffe entführt haben und kurz darauf dann in Richtung Flughafen geflüchtet sein.
Vor Ort übernahm eine 28-jährige Beamtin nach eigenen Angaben die Zeugenbefragung und ihr Kollege (44) zunächst die Betreuung der Ex-Frau, die beide als sehr aufgelöst und verzweifelt beschrieben.
Man habe sie weinend und nach ihrer Tochter schreiend vor dem Hauseingang vorgefunden. "Ich habe noch nie einen Menschen so am Boden gesehen", schilderte einer ihrer Nachbarn am Montag die dramatische Szenerie.
Die unterschiedlichen Aussagen weiterer Nachbarn und Anwohner stimmten größtenteils überein: Man habe weibliche Hilfeschreie, Gepoltere im Treppenhaus und Schüsse vernommen.
Über die Anzahl der Schüsse herrschte allerdings keine Übereinstimmung. Einige hörten einen, manche zwei und wieder andere waren sich gar nicht sicher, überhaupt einen Schuss gehört zu habe.
Geiselnahme in Hamburg: Die Mutter schrie immer wieder "Mein Kind, mein Kind!"
Einen Schuss hat es aber mindestens gegebenen: Die Beamten fanden am Tatort eine Patronenhülse, die sehr wahrscheinlich einer 9-mm-Waffe zugeordnet werden kann. Darüber, dass der Angeklagte überhaupt bewaffnet war, herrschte aber Einigkeit.
Mit der Waffe in der rechten Hand und seiner Tochter auf dem linken Arm sei der türkische Staatsbürger das Treppenhaus herunter nach draußen zu einem nicht weit entfernt geparkten Mietwagen gerannt.
Aus Angst blieben die meisten Nachbarn in ihren Wohnungen oder auf Abstand (verständigten aber die Polizei), nur die Ex-Frau und ein 28-jähriger Mann – der an dem Abend seine Freundin besuchte – sind dem 35-Jährigen gefolgt.
Letzterer will dann auch gesehen haben, wie das Ex-Paar lautstark auf Türkisch diskutierte bevor der Angeklagte ins Auto stieg. "Mein Kind, mein Kind" – schreiend habe die Mutter noch versucht, die Beifahrertür zu öffnen, doch ohne Erfolg.
Erst da sei dem 28-jährigen Zeugen klar geworden, dass es sich mutmaßlich um eine Kindesentführung handelt. Nach einem Wendemanöver des Angeklagten habe er daraufhin ebenfalls noch versucht eine Tür des fahrenden Autos zu öffnen, wobei der Wagen ihn an der linken Hüfte touchiert haben soll.
Ein Vorwurf, den der 35-Jährige heftig bestritt, er habe den Mann zwar gesehen, aber nicht berührt.
Die Ex-Frau des Angeklagten wirft der Polizei fehlende Unterstützung vor
Nach der Flucht des Angeklagten soll die Mutter der heute Fünfjährigen sich Zeugenangaben zufolge schwere Schuldvorwürfe gemacht haben. "Ich hätte schon längst umziehen sollen", will sich der 28-Jährige an eine ihrer Aussagen erinnern.
Der Polizei hingehen warf die Ex-Frau fehlende Unterstützung vor, wie der Streifenpolizist (44) am Montag aussagte. Ihre Skepsis der Polizei gegenüber habe sich auch in einer späteren Vernehmung gezeigt, die aufgrund fehlendem Vertrauen ihrerseits abgebrochen werden musste.
Hintergrund ist ein weiterer Entführungsfall aus dem Jahr 2022. Schon damals soll der Angeklagte in Folge von Sorgerechtsstreitigkeiten seine Tochter über den Landweg in die Türkei entführt haben.
Unter der Vorgabe "wieder eine gute Ehefrau" zu sein, gelang es der verzweifelten Mutter in die Türkei zu reisen und mit ihrer Tochter im September 2022 über Griechenland zurück nach Hamburg zu fliehen, wie ein geladener Kriminalkommissar aus Stade die vorangegangene Sachlage schilderte.
Wieder in Deutschland soll sie solche Angst vor ihrem Ex-Mann gehabt haben, dass sie nur einen Tag nach ihrer Rückkehr die Polizei um Hilfe bat. Auf Rat der Beamten suchte sie daraufhin Zuflucht in einem Frauenhaus.
Angeklagter: "Ich werde den Begriff 'Geiselnehmer' nie akzeptieren!"
Eine Tatsache, die den Angeklagten am Montag dazu bewegte, seine Ex-Frau selbst der Kindesentführung zu bezichtigen. Durch Kontaktabbruch und das nicht Mitteilen ihres Aufenthaltsorts sei sie diejenige gewesen, die ihm das gemeinsame Kind entzogen habe.
Zudem soll die Mutter seiner Tochter einen "geheimen Sorgerechtsstreit" in seiner Abwesenheit geführt, ihn dort denunziert und Lügen über ihn verbreitet haben, was schlussendlich zu der Entscheidung geführt hätte, dass er sein Kind nur vier Stunden im Monat sehen darf.
Am Ende war es dem 35-Jährigen noch ein Anliegen zu betonen, dass er den Begriff "Geiselnehmer" nie akzeptieren wird, "weil ich meiner Tochter nie ein Haar krümmen würde, das war so, ist so und wird auch immer so bleiben!"
Der Prozess wird am 23. Mai vor dem Hamburger Landgericht fortgesetzt.
Titelfoto: Tag24/Madita Eggers