Ex-Frau von Geiselnehmer packt aus: "Ich bin unvorsichtig gewesen!"

Hamburg - Zum Ende der Beweisführung im Prozess um die Geiselnahme am Hamburger Flughafen war als letzte Zeugin die Ex-Frau des Angeklagten Salman E. (35) geladen. Um das Wohl der 39-Jährigen nicht weiter zu gefährden, wurde diese am Mittwoch per Video zugeschaltet.

Der Angeklagte (35, r.) am Mittwoch im Sitzungssaal des Hamburger Landgerichts neben seiner Rechtsanwältin Anna Carlotta Bloch.
Der Angeklagte (35, r.) am Mittwoch im Sitzungssaal des Hamburger Landgerichts neben seiner Rechtsanwältin Anna Carlotta Bloch.  © Daniel Bockwoldt/dpa

Über die Geschehnisse in Stade - unmittelbar bevor der Angeklagte im November 2023 mit einem Mietauto das Nordtor am Hamburger Flughafen durchbrach und einen Flug in die Türkei verlangte - berichtete die Zeugin allerdings wortkarg und immer wieder mit den Tränen kämpfend.

Zu tief sitzen die Schuldgefühle, ihre Tochter bei der bereits zweiten Entführung durch ihren Ex-Mann nicht "genug beschützt" zu haben.

"Ich bin unvorsichtig gewesen", warf sie sich selbst während ihrer Befragung vor. Nach der ersten Entführung im März 2022 hätten ihr mehrere Instanzen geraten, unterzutauchen und umzuziehen.

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Dafür habe der in Hamburg geborenen Deutschtürkin aber das Geld gefehlt. Der jahrelange Sorgerechtsstreit um ihre Tochter habe sie hoch verschuldet.

Die Kosten für Mediationen, Anwälte, Flugtickets sowie die Unterhaltungskosten, während das Paar noch zusammen in der Stader Wohnung gewohnt hat, habe alle sie tragen müssen. "Er hat nie einen Cent bezahlt", betonte die Zeugin.

Zeugin schreit Angeklagten an: "Warum verschleppst du mein Kind dann in die Türkei?"

Am 5. November 2023 ergab sich der Angeklagte nach einer 18-stündigen Geiselnahme am Hamburger Flughafen und sitzt seitdem in U-Haft. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe.
Am 5. November 2023 ergab sich der Angeklagte nach einer 18-stündigen Geiselnahme am Hamburger Flughafen und sitzt seitdem in U-Haft. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe.  © Jonas Walzberg/dpa

Dabei war das alles mal ganz anders geplant: 2017 hätten sich die beiden über Facebook kennengelernt - sie lebte damals in Deutschland, er in der Türkei. Wenige Wochen später folgte dann schon die "Hochzeit aus Liebe" in Istanbul.

Über die gemeinsame Zukunftsplanung sei man sich schnell einig gewesen: Das Paar wollte nach Aussagen der Zeugin in Deutschland leben, der Angeklagte wollte die Familie ernähren und sie sich um die zukünftigen Kinder kümmern.

Beide seien zu der Übereinkunft gekommen, in der Türkei keine Zukunft zu haben. An dem Punkt ihrer Erzählungen schrie die Zeugin plötzlich den Angeklagten an - "Warum verschleppst du mein Kind dann in die Türkei?" - beruhigte sich aber schnell wieder (durch die Videoschaltung konnte sie ihren Ex-Mann auch gar nicht sehen).

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Ebenso unverständlich seien für die 39-Jährige die stetig wachsenden Beschwerden des Angeklagten über Deutschland gewesen, zumal Salman E. sich lange um ein Visum bemüht haben soll. Welches er dann aber erst mit der Geburt der gemeinsamen Tochter erhalten habe.

Ex-Frau des Angeklagten berichtet von häuslicher Gewalt

Der vorsitzende Richter Torsten Schwarz beim Prozessauftakt Ende April.
Der vorsitzende Richter Torsten Schwarz beim Prozessauftakt Ende April.  © Marcus Brandt/dpa

Doch schon lange vor seinem ersten Deutschlandaufenthalt als Tourist und der Geburt ihres Kindes hätten die Probleme in ihrer Ehe begonnen.

Die Zeugin berichtete von einer anscheinend sehr dysfunktionalen Familiendynamik, die schon der Angeklagte - wenn auch aus einer anderen Perspektive - mehrfach während des Prozesses angeführt hatte und die in der Novembernacht 2023 ihren traurigen Höhepunkt fand.

Einen Monat nach ihrer Hochzeit habe die häusliche Gewalt seitens des Angeklagten angefangen. Zu Beginn sei diese immer in Phasen aufgetreten, in denen er sie dann stundenlang beleidigt, angeschrien und manchmal auch geschlagen habe.

Zudem beschrieb sie den Angeklagten als "extrem eifersüchtig", besitzergreifend und kontrollierend. Irgendwann sei Angst ihr vorherrschendes Gefühl ihm gegenüber gewesen.

Dies habe sich auch mit der Geburt des gemeinsamen Kindes nicht geändert. Im Gegenteil, es soll "noch schlimmer" geworden sein. Er habe die Tochter ständig als Drohmittel gegen sie eingesetzt: "Ich habe sie dir geschenkt, also kann ich sie dir auch wegnehmen", soll der Angeklagte in den Momenten gesagt haben.

Für ihr Kind habe die Zeugin versucht, weiter auszuhalten und sich einzureden, irgendwann würde es besser werden. Zumal das Kind "ihn sehr geliebt hat".

Eine Scheidung sei zwar oft Thema gewesen, aber erst einen Monat vor den Ereignissen am Hamburger Flughafen wirklich vollzogen worden.

Zeugin über ersten Entführungsfall: "Mein eigenes Kind ist mir fremd geworden!"

Der Angeklagte beim Prozessauftakt Ende April. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Geiselnahme, die Entziehung Minderjähriger, vorsätzliche Körperverletzung und verschiedene Waffendelikte vor.
Der Angeklagte beim Prozessauftakt Ende April. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Geiselnahme, die Entziehung Minderjähriger, vorsätzliche Körperverletzung und verschiedene Waffendelikte vor.  © Tag24/Madita Eggers

Das ausschlagende Ereignis für diese endgültige Entscheidung sei der erste Entführungsfall gewesen.

2022 war der Angeklagte mit der damals dreijährigen Tochter über die bulgarische Grenze in die Türkei geflüchtet.

Sechs Monate lang musste die Zeugin nach eigenen Angaben um ihre Tochter kämpfen, Hilfe von den Behörden in der Türkei habe sie keine erfahren, obwohl ihr auch dort das alleinige Sorgerecht zugesprochen worden sei.

Schlussendlich habe sie "auf gute Ehefrau" machen und alle in Deutschland erstatteten Anzeigen zurücknehmen müssen, um nach drei Monaten wieder Zugang zu ihrem eigenen Kind zu bekommen.

In dieser Zeit sei ihre Tochter ihr "fremd geworden", berichtete die Zeugin unter Tränen. Während einer nächtlichen Flucht habe sie es dann geschafft, das Kind über Griechenland zurück nach Deutschland zubringen. Ihr sei aber klar gewesen, dass ihr Ex-Mann weiterhin auf "Rache" aus ist und versuchen wird, sein Kind zurückzuholen. Womit sie dann bekanntermaßen auch recht behalten sollte.

Der Angeklagte selbst schwieg nach seinem Ausraster vergangene Woche die meiste Zeit, riss sich nur einmal wütend die Kopfhörer vom Kopf. Zum Schluss betonte Salman E. aber noch einmal, dass nach seiner Meinung nicht im Sinne der "Demokratie" und der "internationalen Gesetzeslage" gehandelt wird.

Der Prozess wird am 12. Juni vor dem Hamburger Landgericht fortgesetzt.

Titelfoto: Tag24/Madita Eggers

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