Geiselnehmer rastet mitten im Gerichtssaal aus: "Herr Richter, wollen Sie mich vera******?"
Hamburg - Auch am sechsten Prozesstag um die Geiselnahme am Hamburger Flughafen fiel es dem Angeklagten schwer, ruhig zu bleiben: In gebrochenem, schwer verständlichem Deutsch, vor Wut zitternd und immer wieder auf den Tisch schlagend ging der 35-Jährige am heutigen Donnerstag erneut den Richter an. Zeitweise war die Lage so unübersichtlich, dass die anwesenden Justizbeamten Verstärkung anforderten.
Auslöser war eine simple, wenn auch sehr vulgäre, vom Richter vorgelesene Mailboxnachricht des Angeklagten an seine Ex-Frau. Entstanden ist diese in der Tatnacht auf den 5. November 2023.
Während seiner 18-stündigen Geiselnahme am Hamburger Flughafen soll der türkische Staatsbürger neben dem polizeilichen Notruf auch immer wieder versucht haben, seine Ex-Frau anzurufen.
Noch während der Vorsitzende Torsten Schwarz die beleidigende Nachricht sachlich vorlas, unterbrach ihn der Angeklagte lautstark.
"Herr Richter, wollen Sie mich vera******? Was haben wir 18 Stunden dort besprochen?", so der 35-Jährige und spielte damit auf seine stundenlangen Gespräche mit einer türkischsprachigen Polizistin an, die während der Geiselnahme aus Mangel an sofort verfügbaren Fachkräften als Dolmetscherin fungierte.
Sie selbst sprach am Donnerstag davon, eine Bindung mit dem Angeklagten aufgebaut zu haben und dass dieser stets freundlich ihr gegenüber gewesen sei.
Lediglich den deutschen Staat habe er regelmäßig beschimpft, dieser habe ihm in mehrfacher Hinsicht, aber vor allem im Sorgerechtsstreit um seine Tochter Unrecht angetan.
Flughafen-Geiselnehmer wütet: "Ihr habt keinen Respekt und wollt mich jetzt abschieben!"
In seiner Wutrede am Donnerstag beschimpfte der Angeklagte dann auch den Richter persönlich, nicht in seinem oder dem Recht seines Kindes zu handeln. Es seien bis jetzt nur Fehler passiert, auch sei er nie richtig übersetzt worden, schrie er auf Deutsch.
Immer wieder schlug er dabei auf den Tisch. "Ihr habt keinen Respekt und wollt mich jetzt abschieben", las er dann plötzlich aus einer handschriftlichen Notiz vor.
Der Richter blieb während des Wutausbruchs ruhig und beruhigte auch die Justizbeamten. An den Angeklagten gerichtet sagte er: "Können wir uns darauf einigen, dass Sie nicht mehr so ausrasten?" Zumindest für den Rest der Verhandlung hielt sich der 35-Jährige an diese Vereinbarung.
"Ich will nicht in Deinem Heimatland leben!"
Während das aufbrausende Verhalten des Angeklagten im Gerichtssaal niemanden der Prozessbeteiligten mehr überraschte, sei seine Vorgehensweise während der Geiselnahme hingegen "ungewöhnlich" gewesen, sagte Matthias Tresp (59), Leiter der Schutzpolizei, am Donnerstag.
Besonders aufgrund der hohen Kommunikationsbereitschaft des 35-Jährigen. Noch bevor die ersten Beamten auf dem Vorfeld des Flughafens angekommen waren, hatte der Angeklagte mehrfach den Notruf gewählt und einen Dolmetscher verlangt.
Als dieser auf sich warten ließ, rief der verzweifelte Vater immer wieder an und drohte mit drei Sprengsätzen. Eine Drohung, die er bis zu seiner Festnahme stets aufrecht hielt und die Einsatzkräfte damit laut Tresp in eine dauerhafte Alarmbereitschaft versetzte.
Zudem betonte er gegenüber den einzelnen Beamten am Telefon immer wieder mit seiner Tochter (damals 4) "einfach weg" und nicht in deren "Heimatland" leben zu wollen. Eine Aussage, die Salman E. auch am Donnerstag gegenüber dem Richter wiederholte.
In Deutschland habe er nur "Rassismus und Probleme" erfahren.
Geiselnehmer hatte Angst vor einem Vergiftungsversuch seitens der Polizei
Die Verhandlung mit dem Angeklagten sei ein emotionales Auf und Ab gewesen. Forderungen hätte es laut Tresp neben dem Hauptwunsch "weg zu wollen" dagegen wenige gegeben – einmal habe er einen Privatjet verlangt und einmal Wechselkleidung sowie Wasser für seine Tochter. Diese hatte sich nach Angaben der Dolmetscherin mehrfach eingenässt.
Doch auch da zeigte sich wieder Salman Es. Misstrauen gegenüber der Polizei: Bevor es überhaupt zur Übergabe kommen konnte, zog er die Forderung wieder zurück. Er habe Angst gehabt, dass die Beamten ihn mit dem Wasser vergiften und "so ausschalten" könnten.
Die plötzliche Gleichgültigkeit des Angeklagten während der Verhandlungen habe die speziell geschulten Einsatzkräfte in Alarmbereitschaft versetzt.
"Er sagte: 'Entweder wir gehen hier weg oder wir sterben'", so Tresp, der den gesamten Einsatz koordinierte. Das "wir" interpretierten die anwesenden Psychologen als mögliche Gefahr für einen erweiterten Suizid. "Aus polizeilicher Sicht war das eine verschärfende Situation!"
Zum Schluss der heutigen Sitzung stellte der Angeklagte selbst dem Polizeiführer noch eine Frage: "Was denken Sie, war mein Hauptproblem?"
Welche Tresp mit dem vorangegangenen Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Frau beantwortete, betonte aber: "Ich war dafür da, die von Ihnen verursachte Gefahrenlage zu lösen. Das Problem mit ihrem Kind konnte ich in diesem Moment nicht lösen!"
Erstmeldung um 17.09 Uhr, aktualisiert um 18 Uhr.
Titelfoto: Tag24/Madita Eggers