Ingeburg H. (†90) kam bei einem grausamen Verbrechen ums Leben! Jetzt spricht ihre Enkelin

Görlitz - Rund 100 Sachsen sterben jedes Jahr - statistisch gesehen - durch Mord und Totschlag. Über nahezu jeden Fall wird irgendwie berichtet: Tatablauf, Täter, Prozess usw. Und die Opfer?

Lebenslustig und hilfsbereit: Auch für ihre Urenkelinnen war Oma Ingeburg immer da.
Lebenslustig und hilfsbereit: Auch für ihre Urenkelinnen war Oma Ingeburg immer da.  © privat

Geraten in der Hitze des Gefechts oft zur Randnotiz. Gerecht? Natürlich nicht. Deshalb erzählen wir hier und heute die Geschichte von Ingeburg H. aus Görlitz. Die alte Dame kam letzten August ums Leben, als ein Einbrecher in ihre Wohnung drang, sie dann (so lautet die Anklageschrift) erstickte.

Der Mordprozess lief diese Woche an (TAG24 berichtete). Was ihre Enkelin Yvonne (42) vor Gericht noch gerne gesagt hätte, hat sie danach uns erzählt. Sie fand Worte voller Dankbarkeit und Respekt, geflochten zu einem Vermächtnis aus liebender Erinnerung - viel größer als Trauer und Wut. Lesen Sie selbst.

Für Yvonne war Oma Ingeburg wie eine Mutter. Bei ihr wuchs sie auf, weil die richtige Mutter sich nicht kümmerte, der leibliche Vater früh verstarb. "Ich habe meine Großeltern Mama und Papa genannt", erinnert sich Yvonne an ihre früheste Kindheit. Vermisst hat sie nichts. Im Gegenteil: "Ich habe mich immer geliebt gefühlt."

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Da war der Garten, dieses grüne Paradies mit Laube, Kirsch- und Pflaumenbäumen. "Die Kirschen wurden noch vor Ort zu Kuchen verbacken, die Pflaumen in einer alten Waschmaschine eingekocht", erinnert sich Yvonne.

Oma Ingeburg hatte immer etwas zu "muddeln"

Die Görlitzerin hatte nicht nur einen Beruf in der Viehwirtschaft. Auch privat war sie ausgesprochen tierlieb.
Die Görlitzerin hatte nicht nur einen Beruf in der Viehwirtschaft. Auch privat war sie ausgesprochen tierlieb.  © privat

Manchmal, an Sonnabenden, durfte sie die Großmutter auf Arbeit begleiten. "Sie war in der Tierproduktion, ich spielte bei den Schweineställen - echt spannend." Heute undenkbar.

Überhaupt hatte Oma Ingeburg immer etwas zu "muddeln". "Das war wohl schon in ihrer eigenen Kindheit so", glaubt die Enkelin. Ingeburg wuchs in einem Dorf bei Breslau auf; Flucht und Vertreibung rissen die fünf Geschwister auseinander.

Zeit ihres Lebens bewahrte Ingeburg ihre schlesische Jugend wie einen Schatz in ihrem Gedächtnis. "Zweimal fuhren wir später gemeinsam in ihr altes Dorf", erzählt Yvonne. Erst zum Schluss wollte die Oma nicht mehr hin. Vielleicht, weil das Elternhaus doch arg heruntergekommen war, so gar nicht mehr zu den Erinnerungen passte? Wer weiß das schon...

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Als Yvonne selbst in den frühen Neunzigern das Zimmer ihrer behüteten Jugend verließ, zur Ausbildung in den Westen ging, ließ Oma Ingeburg sie schweren Herzens ziehen. Als Yvonne es sich anders überlegte, das Heimweh sie zurück an die Neiße trieb, nahm Ingeburg sie selbstverständlich wieder auf.

"Bring ihn halt her", sagte Oma Ingeburg

Ingeburg vor Jahrzehnten mit Enkelin Yvonne. Die wuchs wie eine Tochter bei ihr auf.
Ingeburg vor Jahrzehnten mit Enkelin Yvonne. Die wuchs wie eine Tochter bei ihr auf.  © privat

Kochte für die Kleine wieder ihr berühmtes Kassler, das förmlich auf der Zunge zerging. Kümmerte sich und hörte zu. Auch Yvonnes Partner, genau wie später die Kinder ihrer Enkelin, schloss (Ur-)Oma Ingeburg in ihr großes Herz. Sogar für einen behinderten Kanarienvogel (!) war darin Platz.

Yvonne, mittlerweile Altenpflegerin, hatte das herrenlose Tier einer verstorbenen Patientin gegenüber ihrer Oma erwähnt. "Bring ihn halt her", sagte die nur. Und kümmerte sich.

Bei anderer Gelegenheit machte die Seniorin gern mehr Worte - für einen Plausch war immer Zeit. Egal, ob am Telefon oder auf dem täglichen Weg in die Kaufhalle.

"Da setzte sie sich auch mal auf den Rollator und erzählte eine halbe Stunde lang", lacht Enkelin Yvonne. Selbst Fremden gegenüber war Ingeburg zwar nicht blauäugig, aber doch aufgeschlossen. Wurde ihr das zum Verhängnis? Vielleicht wird der Prozess das klären. Vielleicht auch nicht.

Bislang gesteht der tatverdächtige Marek B. (38) nur den Einbruch und dass er der Seniorin den Mund verklebte. Bei seinem Weggehen habe sie noch gelebt. Eine Schutzbehauptung? Davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Yvonne glaubt nicht an die Unschuld des Angeklagten

Ingeburg H. war aufgeschlossen und stets für einen ausgedehnten Plausch zu haben.
Ingeburg H. war aufgeschlossen und stets für einen ausgedehnten Plausch zu haben.  © privat

Auch Yvonne, die ihre tote Großmutter fand, nimmt an, dass der Verdächtige lügt. Der seit Jahren in Görlitz lebende Pole hatte sich auf das Ausrauben alter Frauen "spezialisiert". So schäbig wie klein!

Im Gerichtssaal vermied Yvonne zunächst den direkten Augenkontakt. Erst bei ihrer Aussage sah sie Marek B. an. Was sie ihn fragen würde, wenn sie könnte? "Ob er sich mal überlegt hat, dass diese Frau auch ein Leben und Angehörige hat. Und dass er auch seine eigenen Kinder zu Opfern macht..."

Denn auch die Familie des Täters müsse nun mit dieser Tat leben. Dass Marek B. Pole ist, ist für Yvonne dagegen "vollkommen irrelevant". Für sie ist er "ein Mensch, der kein Gewissen hat, ganz egal, wo er herkommt".

Eine Sache machte der Enkelin seit letztem August besonders schwer zu schaffen. "Wir waren leider nicht beim 90. Geburtstag meiner Oma, weil meine Tochter eine schwere OP hatte."

Also versprach sie, den 91. umso größer zu feiern - wozu es dann nicht mehr kam. Aber: "An dem Tag, dem 29. März, sind wir mit der ganzen Familie in genau die Gaststätte gegangen, wo wir mit der Oma gefeiert hätten." Und haben bei Fisch und Getränken an sie gedacht und von ihr erzählt. Vielleicht, hofft Yvonne, hat die gütige alte Dame ja von irgendwoher zugeschaut...

P.S.: Der Prozess wird fortgeführt. Ein Urteil wird nicht vor Mitte Juli gefällt.

In der Gersdorfstraße in Görlitz lebte Ingeburg H. die letzten Jahre ihres Lebens. Hier starb sie auch.
In der Gersdorfstraße in Görlitz lebte Ingeburg H. die letzten Jahre ihres Lebens. Hier starb sie auch.  © Petra Hornig
Auf der Blümchenwiese des Städtischen Friedhofs Görlitz nimmt Yvonne H. Abschied von ihrer Großmutter.
Auf der Blümchenwiese des Städtischen Friedhofs Görlitz nimmt Yvonne H. Abschied von ihrer Großmutter.  © Petra Hornig

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