Trotz sinkender Prozesszahlen, Chemnitzer Gerichte sind überlastet
Chemnitz - Auch im neuen Jahr stehen an Chemnitzer Gerichten wieder einige Verfahren an. Die Anzahl der Prozesse im Vergleich zu den Vorjahren ist leicht gesunken. Trotzdem ist die Justiz überlastet.
Die Statistik spricht eine klare Sprache: Laut dem Präsidenten des Chemnitzer Landgerichts, Dominik Schulz (55), gab es im vergangenen Jahr 529 Strafverfahren (Stand: 30. November), die Richter zu bearbeiten hatten. 2021 waren es 651 Verfahren, 2022 noch 594.
Eine Begründung für diese Entwicklung könne nicht gemacht werden, weil die Delikte "nicht zentral statistisch erfasst" werden, so Schulz. Am Amtsgericht ist die Tendenz ebenfalls rückläufig: "2021 waren es 14.084 Verfahren, 2022 13.476 und 2023 13.034 Verfahren", so Sprecherin Birgit Feuring (56).
Von diesen Zahlen abgesehen, arbeitet das Chemnitzer Rechtswesen am Limit. Dafür gibt es mehrere Ursachen: "Es gibt noch einigen Rückstau an Fällen durch die Pandemie, wo Verhandlungen ausgesetzt wurden", erklärt Landgerichts-Sprecherin Marika Lang (59).
In den vergangenen Jahren wurden auch viele Richter auf Probe eingestellt. "Diese müssen sich dann auch wieder in neue Fälle einarbeiten." Somit komme es ebenfalls zu Verzögerungen und Überlastungen.
17-facher Messerangriff und Vergewaltigung einer Seniorin (73)
Auch in diesem Jahr gibt es am Landgericht einige spektakuläre Fälle: Laut Marika Lang werden die beiden Parallelverfahren zu den Ausschreitungen am 1. September 2018 "auf alle Fälle" stattfinden.
Überdies wird am 23. Januar einem Mann (27) der Prozess gemacht. Er soll am 14. Mai 2023 in Döbeln auf sein Opfer (†54) mit einem 32 Zentimeter langen Küchenmesser 17-mal in Tötungsabsicht eingestochen haben. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Totschlag.
Wann der Prozess gegen den 37-jährigen Libyer stattfindet, der im November 2022 über einen Balkon im Chemnitzer Zentrum einstieg und die dort wohnende Seniorin (73) vergewaltigt haben soll, steht noch in den Sternen.
"Aktuell wird über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten gestritten." Der Mann sei schwer erkrankt.
Hilfe für Justitia
Kommentar von Robert Preuße
Gerichte erfüllen eine Funktion in unserer Gesellschaft, die nicht hoch genug bewertet werden kann: Sie sprechen Recht. Der Ex-Bundesrichter Thomas Fischer brachte es auf den Punkt: "Recht liegt, bildlich gesprochen, eine kleine Sekunde oberhalb der Gewalt und kann sie deshalb verhindern, indem es sie symbolisiert."
Richterinnen und Richter wägen in Strafverfahren nach allen denkbaren Kriterien ab und weisen schließlich Schuld zu - oder eben nicht. Dafür braucht es fachkundiges Personal, genügend Leute, die dies bewerkstelligen und eine stabile Infrastruktur. Hier werden wieder Probleme offenbar, die fast alle Bereiche zurzeit haben: Es gehen aktuell viele Rechtsdiener in den Ruhestand und es kommen nicht genügend Nachfolger hinterher.
Ein Lösungsansatz wäre hier, das erstarrte und veraltete Jurastudium attraktiver zu machen, sodass die Studenten praxisnäher ausgebildet werden.
Außerdem wäre es ratsam, die Digitalisierung auch im Justizwesen so voranzutreiben, dass möglichst viele "Kinderkrankheiten" zu Beginn bekämpft werden. In diesem Jahr soll am Landgericht Chemnitz die E-Akte eingeführt werden. Es dürfte klar sein, dass der eine oder andere Sachbearbeiter überfordert sein wird, auch mangels ausreichender Schulungen.
Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt der Probleme, die vor allem durch drei Dinge gelöst werden können: Progressivität, Geld und Arbeitskräfte. Das muss es uns wert sein.
Titelfoto: Bildmontage: Ralph Kunz (2), Kristin Schmidt