50 Jahre nach Grenz-Mord: Stasi-Killer (80) muss für zehn Jahre hinter Gitter
Berlin/Leipzig - Mehr als 50 Jahre nach dem tödlichen Schuss auf den polnischen Feuerwehrmann Czeslaw Kukuczka (†38) am DDR-Grenzbahnhof Berlin-Friedrichstraße ist ein ehemaliger Stasi-Offizier vom Landgericht Berlin des Mordes schuldig gesprochen worden. Der heute als Rentner in Leipzig lebende Manfred N. (80) muss für zehn Jahre ins Gefängnis.
Zum ersten Mal ist damit ein Stasi-Killer im vereinten Deutschland wegen Mordes verurteilt worden.
In dem seit März geführten und wegen seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung per Video aufgezeichneten Prozess waren die Richter am Ende überzeugt, dass es Manfred N. war, der am 29. März 1974 in einem Gang des DDR-Grenzbahnhofs Berlin-Friedrichstraße mit langem Mantel und getönter Brille aus einem Versteck hervortrat und Kukuczka heimtückisch in den Rücken schoss.
An jenem Freitag war der Pole mittags in der Botschaft seines Heimatlandes in Ost-Berlin aufgetaucht. Dort forderte der Feuerwehrmann aus Jaworzno seine sofortige Ausreise in den Westen und drohte mit einem Sprengsatz, den er angeblich in seiner Aktentasche habe. Ein Bluff, wie sich später herausstellte.
Die polnischen Sicherheitskräfte informierten sofort ihre Kontaktleute im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Schon bald erschienen Stasi-Offiziere in der polnischen Vertretung, die den Fall übernahmen.
Aus alten MfS-Akten geht hervor, dass sie Kukuczka nach mehrstündigen Verhandlungen die Ausreise nach West-Berlin zusicherten und zum Schein entsprechende Dokumente aushändigten.
Entscheidender Hinweis auf Täter vom Archiv für Stasi-Unterlagen
Anschließend wurde der Pole von einem Stasi-Oberstleutnant zum Grenzbahnhof Friedrichstraße gefahren. Nach einer fiktiven Grenzkontrolle in der im Volksmund "Tränenhalle" genannten Abfertigungshalle ging er in Richtung Grenzübergang. Dann fiel der tödliche Schuss.
Kukuczka starb kurz darauf im Stasi-Krankenhaus Hohenschönhausen. Ein minutiös geplanter Mord. Selbst Reinigungskräfte standen während der Tat im Hintergrund bereit, um sofort die Blutspuren zu beseitigen.
Jahrzehntelang galt der Auftragskiller als nicht identifizierbar. Die deutschen Behörden, die in dieser Zeit gegen Unbekannt ermittelt hatten, stellten Ende 2005 das Verfahren gar ein.
Doch polnische Ermittler und Rechercheure vom dortigen Institut der nationalen Erinnerung (INR) blieben weiter dran an dem Fall.
Nach ihrer Vorarbeit lieferte das Stasi-Unterlagen-Archiv im Jahr 2016 einen entscheidenden Hinweis zur Identität des Schützen: Ein vom damaligen Staatssicherheitsminister Erich Mielke unterzeichneter Befehl nannte zwölf MfS-Mitarbeiter, die im Kontext der Tötung ausgezeichnet werden sollten. Killer Manfred N. wurde demnach mit dem "Kampforden in Bronze" geehrt.
Angeklagter Manfred N. hat vor Gericht konsequent geschwiegen
Zur Tatzeit soll der heute in Leipzig lebende Rentner als MfS-Oberleutnant einer "Operativgruppe" angehört haben, die für die Stasi in Berlin Spezialaufträge ausführte. Der damals 31-Jährige war laut Staatsanwaltschaft mit der "Unschädlichmachung" des Polen beauftragt worden.
Die Berliner Richter folgten nun weitgehend der Anklage, die sich vor allem auf die in den Stasi-Archiven vorliegenden Dokumente stützte.
Manfred N. hatte vor Gericht eisern geschwiegen. Seine Verteidigerin Andrea Liebscher bestritt zu Beginn des Prozesses im Auftrag ihres Mandanten die Vorwürfe und plädierte am Ende auf Freispruch.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es ist davon auszugehen, dass Manfred N. in Revision geht.
Titelfoto: Bildmontage: Sebastian Christoph Gollnow/dpa, Archiv