Deutschlands größter Finanzskandal: Chefbuchhalter bricht Schweigen zu Wirecard
München - Am 138. Verhandlungstag hat der dritte Angeklagte im Wirecardprozess vor dem Landgericht München sein Schweigen gebrochen.
Der Chef der Buchhaltung, E., räumte zu Beginn seines auf zwei Tage angesetzten Statements ein, Fehler gemacht zu haben, die er bereue und für die er sich entschuldigen wolle.
Allerdings betonte er auch, sich nicht persönlich bereichert und stets das Beste für das Unternehmen gewollt zu haben. Zudem habe er sich mit vielen Dingen nur sehr knapp beschäftigt und sich auf die Fachabteilungen verlassen.
"Ich hatte sehr viele Themen auf dem Tisch und kam mir vor, wie ein Jongleur, der voll damit beschäftigt war, dass kein Ball herunterfällt", beschrieb E. seine Tätigkeit. Dabei habe er keine Zeit gehabt, sich mit den einzelnen Bällen eingehender zu beschäftigen. Heute sehe er aber ein, dass er innehalten und dies hätte tun sollen.
Insgesamt zeichnete E. ein Bild von schlechter personeller Ausstattung, schlechten Prozessen und überforderndem Arbeitsvolumen. "Es war eigentlich immer so, dass zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollten", beschrieb er seinen typischen Arbeitstag.
Wirecard-Buchhalter erklärt: Nicht die Kraft, alles zu hinterfragen
Insbesondere bei den Jahresabschlüssen habe es viel Zeitdruck gegeben. "Man hat nicht die Zeit und die Kraft, alles zu hinterfragen. Dafür gibt es die Fachabteilung", sagte E. Auf deren Informationen müsse man vertrauen können. Oft habe man deren Antworten nur an die Wirtschaftsprüfer weitergeleitet. "Wenn die zufrieden damit waren, waren wir es auch."
Zum Drittpartnergeschäft, das beim Zusammenbruch von Wirecard eine zentrale Rolle spielte, äußerte sich E. zunächst nicht. Er schränkte Erwartungen allerdings bereits zu Beginn seiner Aussage ein.
Dies sei nicht Schwerpunkt seiner Arbeit gewesen, viele Informationen dazu habe er nur vom Hörensagen. Er könne nur "von vielen Jahren Schreibtisch" bei Wirecard erzählen.
Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gegangen, weil auf Treuhandkonten verbuchte 1,9 Milliarden Euro nicht mehr auffindbar waren. Die Anklage wirft den drei Angeklagten sowie dem abgetauchten früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek und weiteren Komplizen vor, Umsätze in Milliardenhöhe schlicht erfunden zu haben, um den eigentlich defizitären Dax-Konzern über Wasser zu halten.
In dem seit Dezember 2022 geführten Prozess hatte E. bisher geschwiegen. Braun hat alle Vorwürfe bestritten, der geständige Bellenhaus tritt als Kronzeuge auf und beschuldigt die beiden Mitangeklagten.
Erstmeldung 6.11 Uhr, zuletzt aktualisiert 11.15 Uhr
Titelfoto: Bildmontage: Sven Hoppe/dpa, Peter Kneffel/dpa