Ist St. Pauli nur noch Kulisse? Hamburger Reeperbahn sucht Künstler mit neuen Ideen

Hamburg - Die Hamburger Reeperbahn ist vielen auch weit über die Stadtgrenzen hinaus als Vergnügungsmeile bekannt. Die Geschichten der Menschen hinter den Fassaden, die St.Pauli mit ihrem Handeln und ihren Ideen geprägt haben, geraten jedoch immer mehr in Vergessenheit. Um dem entgegenzuwirken, veranstaltet das "Business Improvement District (BID) Reeperbahn+" seit 2017 jedes Jahr einen "Artwalk" aus lebensgroßen Figuren von verschiedenen Persönlichkeiten auf dem berüchtigten Hans-Albers-Platz. Für die diesjährige Ausstellung im Juli werden erstmals aktiv Künstler für weitere Figuren gesucht.

Die bisherigen Figuren des "Artwalks" auf dem Hans-Albers-Platz auf der Hamburger-Reeperbahn: Corny Littmann, Domenica Niehoff, Hans Albers, Susi, Olivia Jones, Pilot Pirxx, Udo Lindenberg, Opa, Inkasso Henry, Sieghard Wilm und Martin Paulekun, Margot Pfeiffer und Susanne Faerber. Die Figur "Sexy Aufstand Reeperbahn" fehlt auf diesem Bild.
Die bisherigen Figuren des "Artwalks" auf dem Hans-Albers-Platz auf der Hamburger-Reeperbahn: Corny Littmann, Domenica Niehoff, Hans Albers, Susi, Olivia Jones, Pilot Pirxx, Udo Lindenberg, Opa, Inkasso Henry, Sieghard Wilm und Martin Paulekun, Margot Pfeiffer und Susanne Faerber. Die Figur "Sexy Aufstand Reeperbahn" fehlt auf diesem Bild.  © BID Reeperbahn+

Vor dem "Arcotel Onyx" auf der Hamburger Reeperbahn überwintern aktuell die 13 bisherigen Figuren, bis sie im Sommer zur Pressekonferenz wieder auf den Hans-Albers-Platz wandern. Zuvor sollen die Abbilder von Udo Lindenberg (76), Olivia Jones (53) und Co. aber noch einmal frisch saniert werden, um durch Witterungsbedingungen entstandene Macken auszubessern, erzählt Julia Staron (52), Quartiermanagerin des BID Reeperbahn+, im Gespräch mit TAG24.

Die gebürtige Hamburgerin und selbst bildende Künstlerin gehört mit zu den Initiatoren, die den "Artwalk" 2017 ins Leben gerufen haben. "Die Idee ist in einem längeren Prozess geboren worden, weil wir auf St. Pauli - zumindest damals - immer die Diskussion hatten, ob St. Pauli nur noch Kulisse ist", erklärt die Stadtteilkümmerin.

"Kriegen die Leute eigentlich noch mit, von wem das Amüsierviertel geprägt wurde? Kriegen wir die Geschichten noch erzählt oder rennen die Leute hier eigentlich nur noch blind herum, machen Selfies und rennen wieder weg?"

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Für den Start der Kunst-Aktion hatte das BID zunächst zwölf Figuren ausgewählt, die alle auf unterschiedliche Art St. Pauli geprägt haben. Dargestellt werden unter anderem Susi von "Susis Showbar", Corny Littmann, der für die Theatergeschichte des Viertels steht, die ehemalige Polizeibeamtin Margot Pfeiffer - "Die beste bürgernahe Beamtin ever. Wir vermissen sie sehr" und auch die zwei Pastoren Sieghard Wilm und Martin Paulekun.

"Die St. Pauli-Kirche ist als Namensgeberin natürlich entscheidend und hat auch heute noch einen großen Einfluss, weniger im religiösen als im gemeinschaftlichen Sinne", erklärt Staron die Abbildung der Geistlichen. Als weitere Themenfelder werden Streetart, die Prostitution, die Kneipengeschichte, Traditionen und Skurrilitäten behandelt. Auf den Rückseiten der Figuren steht ihre jeweilige Geschichte und ihre Funktion auf St. Pauli. Über einen QR-Code sind weitere Details abrufbar.

"Wir haben uns dann umgeguckt, welchem Künstler wir es zutrauen, die Vielfalt der Persönlichkeiten wiederzugeben, und da blieb nach längerer Recherche Ulli Pforr übrig, der auch sofort 'Juhu' und 'Das ist ein Traumauftrag' geschrien hat."

"Wir müssen auch die neuen Themen wie den Widerstand der Sexarbeiterinnen wiedergeben"

Julia Staron (52), Quartiermanagerin des BID Reeperbahn+, vor den Figuren von Ex-Polizeibeamtin Margot Pfeiffer (r.) und Susanne Faerber (2.v.l.) vom Panoptikum.
Julia Staron (52), Quartiermanagerin des BID Reeperbahn+, vor den Figuren von Ex-Polizeibeamtin Margot Pfeiffer (r.) und Susanne Faerber (2.v.l.) vom Panoptikum.  © Madita Eggers/TAG24

Sobald die Figuren dann das erste Mal auf der Straße standen, habe man gemerkt: Die Aktion funktioniert. "Die Leute blieben und bleiben nach wie vor stehen, lesen die Texte, gehen auf den QR-Code und machen Fotos. Das, was wir sehen, ist toll und das Feedback ebenso."

Doch während Corona habe das BID dann bemerkt, dass die bisherigen Themen nicht reichen. "Da ist dann unter anderem der 'Sexy Aufstand Reeperbahn' entstanden und mein Kollege Lars Schütze kam als Erster als Initialzündung darauf, dass dieser auch in den 'Artwalk' reinmuss", so Staron.

"Wir müssen auch die neuen Themen wie den Widerstand der Sexarbeiterinnen wiedergeben." Die 13. Figur für den "Sexy Aufstand Reeperbahn" fertigte vergangenes Jahr die Künstlerin Maaike Dirkx an.

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Doch es sollen noch mehr Figuren werden und dafür sucht das BID Reeperbahn+ ab sofort erstmalig im Rahmen eines Wettbewerbes eine neue Persönlichkeit, die auf dem Kiez ausgestellt werden soll.

"Um die Obrigkeit über Themen und Figuren eben nicht für immer bei uns zu halten, war uns klar, dass wir das Thema an die Künstler:innenschaft herausgeben und sagen: 'Was denkt Ihr, welches Thema im Diskurs des Viertels fehlt, und welche Persönlichkeit spiegelt das für Euch wider?'", erklärt die Quartiermanagerin die Idee hinter der Ausschreibung.

Das BID Reeperbahn+ auf Instagram

Hamburger "Artwalk" 2023: So könnt Ihr Euch mit Euren Ideen bewerben

Künstler:innen können ihre Ideen und Vorschläge noch bis zum 30. April 2023 per Mail an artwalk@bid-reeperbahn.de einreichen. Diese sollten drei bis vier Arbeitsproben, eine Kurz-Vita sowie einen Vorschlag zum Thema und der zu vertretenden Persönlichkeit enthalten. In zwei Wettbewerbs-Runden wird dann der Entwurf per Online-Voting und Jury-Entscheid ausgewählt, der dieses Jahr noch umgesetzt wird und ab Juli mit den anderen Figuren den Artwalk ausmachen wird. Das Preisgeld beträgt 1500 Euro.

"Und vielleicht sind die weiteren Ideen so toll, dass wir sagen, wir nehmen diese mit in die nächsten Jahre", so Julia Staron, die noch einmal betont: "Ohne erhobene Zeigefinger wollen wir vermitteln, dass dieses Viertel ein gewachsenes ist, welches von seinen Menschen und unterschiedlichen Epochen geprägt wurde. Es sind die Menschen, die Geschichte erzählen, nicht die Fassaden."

Der Artwalk 2023 wird am 11. Juli auf der Hamburger Reeperbahn starten. Zu sehen sein werden die Figuren bis zum 30. September. Mehr Informationen und Voting auf www.bid-reeperbahn.de.

Titelfoto: BID Reeperbahn+

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