Jens Kerstan im TAG24-Interview: "Befremdliche Debatte um die Wärmepumpe"
Hamburg - Jens Kerstan (57, Grüne) ist Senator in der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft in Hamburg. Unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (64) gelangte er 2015 in das Amt. Damit ist er der dienstälteste Senator. TAG24 traf sich mit dem Politiker zum Interview.
TAG24: Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfänge im Umweltschutz?
Jens Kerstan: Sehr gut sogar. Ich war schon länger Mitglied in der GÖP (Anm. d. Red.: Naturschutzverband Gesellschaft für ökologische Planung), bevor ich deren Vorsitzender geworden bin. Meine damalige Freundin hat in der Nähe vom Naturschutzgebiet Boberger Niederungen gewohnt. Nach Klausuren waren wir dort spazieren und ich habe dann bei Arbeitseinsätzen mitgemacht. Nach dem Lernen war es schön, körperlich zu arbeiten.
TAG24: Was hat die Arbeit in der GÖP für Sie persönlich ausgemacht?
Kerstan: Das ist die Wurzel meines politischen Engagements. Im Arten- und Biotopschutz haben wir praktische Arbeit geleistet. Man konnte am Ende des Tages sehen, wie aus einem verwilderten Bereich nach und nach ein richtiges Naturschutzgebiet entstand. Das war sehr befriedigend.
Ich habe das Amt eine ganze Zeit lang in der Bürgerschaft behalten können, weil ich mich dort mit Wirtschaft und Finanzen befasst habe. Als ich in der Fraktion für Energie und Umweltschutz zuständig wurde, führte kein Weg dran vorbei, meinen Vorsitz aufzugeben. Denn die GÖP betreut die Naturschutzgebiete im Auftrag der Stadt. Es hätte ganz sicherlich Interessenskonflikte gegeben. Da war es die sauberste Lösung, das Amt aufzugeben.
Jens Kerstan über eine bittere Niederlage und Erfolge
TAG24: Wenn Sie auf ihre 25 Jahren bei den Grünen, früher GAL, zurückblicken, welche Themen erinnern Sie besonders?
Kerstan: Der Kampf gegen die Atomkraft, der jetzt in Deutschland endgültig gewonnen ist, hat mich in all den Jahren begleitet. Das ist ein großer Erfolg der Umweltbewegung und der Grünen. Das hat mich sehr bewegt.
Eine schwierige strategische und politische Situation war die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene. Mittlerweile ist ein Bündnis aus CDU und Grünen nichts Ungewöhnliches mehr. Damals war es eine große Herausforderung damit umzugehen und das hinzubekommen.
Eine bittere Niederlage war der verlorene Primarschulvolksentscheid. Zu der Zeit war ich Fraktionsvorsitzender.
Immer wichtiger geworden, ist die Rekommunalisierung der Energienetze und des Fernwärmeunternehmens. Das war und ist für mich sehr prägend. In der Opposition haben wir den Volksentscheid mit den Umweltverbänden und der Linken an Bord in einer ganz harten Auseinandersetzung mit einer knappen Mehrheit gegen den Rest der Stadt gewonnen. Im Senat habe ich die Möglichkeit, das umzusetzen.
Jetzt bin ich Aufsichtsratsvorsitzender der Energie-Unternehmen und kann sie einsetzen, um Klimapolitik zu machen. Das hätte ich mir früher so nicht träumen lassen. Das ist der bisher größte politische Erfolg der Grünen in Hamburg mit der größten Wirkung. Da gucke ich mit Stolz und Befriedigung zurück, weiß allerdings, dass die Arbeit noch nicht beendet ist. Das wird mich weiter begleiten.
Diese Zeichen setzt Hamburg in der Energiepolitik
TAG24: Ist Hamburg für die kommenden Jahre gut gerüstet?
Kerstan: Hamburg ist in vielen Punkten bundesweit Vorreiter. Wir sind schon sehr weit im Bereich der Energiewende, insbesondere im Bereich der Wärmewende. Auf ganz Deutschland bezogen stehen wir dabei noch ziemlich am Anfang. Beim Strom sind wir deutschlandweit bei um die 50 Prozent Erneuerbare Energien, bei der Wärmeversorgung der Gebäude sind wir davon allerdings noch meilenweit entfernt.
Wir waren die ersten, die den Kohleausstieg für das Jahr 2030 gesetzlich verankert haben. Mit dem Ausstiegskonzept für Wedel haben wir ein Riesen-Gaskraftwerk verhindert. Mit dem Kohlekraftwerk Tiefstack, das wir umrüsten, gehen wir einen Schritt weiter und ersetzen es durch verschiedene klimaneutrale Wärmelösungen. Die Nutzung von industrieller Abwärme oder in Zukunft Geothermie sind Themen, wo Hamburg bundesweit Zeichen setzt. Das größte Projekt in den nächsten Jahren wird die grüne Wasserstoffindustrie um Moorburg sein.
Wir sind trotzdem weit davon entfernt, unsere Klimaziele einzuhalten. Als ich ins Amt gekommen bin, war konzeptionell so gut wie nichts vorbereitet in Sachen Klimaschutz. Wir haben jetzt ordentlich Gas gegeben. Um sieben Millionen Tonnen CO2 einzusparen, haben wir jetzt noch sieben Jahre Zeit. Zuletzt hat das 20 Jahre gedauert. Es wird ein ganz schöner Ritt, um das zu schaffen. Aber wir sind gut aufgestellt.
"Wir bauen ein ganz neues Energiesystem"
TAG24: Welche Auswirkungen hat eine längere Dauer des Ukraine-Krieges auf bestimmte Maßnahmen?
Kerstan: Wir haben das russische Gas im letzten Winter gut ersetzen können. Das ging sehr viel schneller und umfangreicher und mit viel weniger negativen Auswirkungen, als ich das für möglich gehalten habe. Der nächste Winter wird nochmal hart werden. Letztendlich sind wir dabei, die Chance in der Krise zu nutzen, in dem wir uns auch beim Gas stärker Richtung Erneuerbare Energien bewegen.
Ein bisschen befremdlich finde ich die Debatte um die Wärmepumpe, da wird vonseiten der CDU und der FDP aus parteipolitischer Sicht Stimmung gegen das neue Gebäudeenergiegesetz gemacht. Es werden dabei zum Teil sachlich und fachlich völlig falsche Behauptungen in die Welt gesetzt. Gasheizungen werden zum Beispiel nicht generell verboten.
Und genau diese Stimmungsmache mit falschen Aussagen führt zu Verunsicherung. Niemand wird ab 1. Januar 2024 eine funktionsfähige Heizung ausbauen müssen, auch werden kaputte Heizungen repariert werden können. Es können auch Gasheizungen weiter betrieben werden, wenn dazu 65 Prozent erneuerbare Energien zugeschaltet sind. Es verwundert mich sehr, dass bestimmte Parteien so tun, als ob wir noch viel Zeit hätten, als ob es die Klimakrise nicht gibt. Und wenn wir jetzt nicht schnell handeln, werden wir das bitter bereuen. Denn die Folgen des Klimawandels sind um ein Vielfaches teurer als die Maßnahmen zum Klimaschutz.
Die Härte der Auseinandersetzung kann man nur dadurch erklären, dass es jetzt um die Wurst geht. Es geht nicht nur um ein bisschen Erneuerbare, sondern wir bauen ein ganz neues Energiesystem. Da gibt es eben auch Verlierer. Die fossile Industrie hat noch sehr viel Geld und Einfluss und setzt alle Hebel in Bewegung, um zu bremsen.
Das sagt der Umweltsenator über die "Letzte Generation"
TAG24: Wie beurteilen Sie die in den vergangenen Jahren neu entstandenen Organisationen wie "Letzte Generation", "Fridays for Future" und "Extinction Rebellion"?
Kerstan: Die Gruppen unterscheiden sich sehr deutlich. Die "Fridays for Future" haben einen enormen Schub für den Klimaschutz ausgelöst und dabei sehr konsequent auf friedlichen Protest gesetzt. Dafür muss man sehr dankbar sein.
Mich erfüllt mit Sorge, dass sich Gruppen stärker bemerkbar machen, die vor radikaleren Maßnahmen nicht zurückschrecken. Ich kann ihr Anliegen aber sehr gut nachvollziehen. Mich irritiert manchmal die heftige Kritik an den jungen Leuten, die doch eigentlich nur dafür kämpfen, genauso eine gute Zukunft zu haben wie unsereins. Ich unterstütze, dass sich junge Menschen für ihre Zukunft einsetzen und um das Leben auf diesem Planeten kämpfen.
Mich besorgt aber, dass stärker auf Konfrontation und Polarisierung gesetzt wird. Da sind Aktionen dabei, die dem Klimaschutz nicht förderlich sind, weil sie Widerstand in der Bevölkerung auslösen und die Akzeptanz von Klimaschutz unterhöhlen.
TAG24: Danke für das Interview!
Titelfoto: Oliver Wunder/TAG24