Mein Ü40-Festival-Sommer: Mit Guns n' Roses auf der Oldie-Nacht

Hamburg - Mit Ü40 wollte es TAG24-Reporter Jan Iven noch einmal wissen und war nach langen Jahren Abstinenz mal wieder vor den ganz großen Rock-Bühnen in Deutschland feiern. Hier sein Erfahrungsbericht über laute Musik im mittleren Alter.

TAG24-Reporter Jan Iven mit dem Bassisten Cordell Crockett (57, M.) von "Ugly Kid Joe" und einem unbekannten Groupie (r.) im Hamburger Knust. Die junge Frau überreichte dem Kalifornier eine Wollmütze des FC St. Pauli, die er während des gesamten Auftrittes trug.
TAG24-Reporter Jan Iven mit dem Bassisten Cordell Crockett (57, M.) von "Ugly Kid Joe" und einem unbekannten Groupie (r.) im Hamburger Knust. Die junge Frau überreichte dem Kalifornier eine Wollmütze des FC St. Pauli, die er während des gesamten Auftrittes trug.  © privat

Vor langer Zeit waren meine Haare mal lang. Sehr lang. Das hatte in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrtausends durchaus auch musikalische Gründe. Meine großen Helden des Rock'n'Roll waren seinerzeit Guns n' Roses, Nirvana und KISS.

Nicht sonderlich originell, nicht sonderlich hipster-nischen-mäßig (Hipster gab es damals noch gar nicht), einfach nur gut und vor allem laut.

Inzwischen sind meine Haare nicht nur kürzer, sondern vor allem weniger geworden. Schicksal. Bei großen Konzerten war ich auch schon lange nicht mehr.

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Und dank Corona tendierte die Zahl nicht nur meiner Partys insgesamt so ziemlich gegen null.

Doch diesen Sommer musste ich gefühlt all das nachholen, was in den vergangenen zwei Jahren an Musik, Konzerten und Lebensfreude zu kurz gekommen war. Zumal so ziemlich alle großen Rockbands in diesem Sommer in Europa Station machten.

Konzerte-Nachholbedarf nach dem Corona-Lockdown

Die wirklich allerletzte Abschiedstour? Bassist Gene Simmons (73) mit KISS im Juni in der Hamburger Barclays-Arena.
Die wirklich allerletzte Abschiedstour? Bassist Gene Simmons (73) mit KISS im Juni in der Hamburger Barclays-Arena.  © Jan Iven/TAG24

Und so kaufte ich ein Konzert-Ticket nach dem anderen und besuchte fast mehr Live-Auftritte als in den vergangenen zehn Jahren zusammen. Vorne weg Guns n' Roses in Hannover, KISS in Hamburg (auf ihrer diesmal wirklich aller-allerletzten Abschieds-Tour), Franz Ferdinand in Leipzig, Morcheeba in Hamburg und vor allem einige große Festivals wie "Rock im Park" in Nürnberg, das Wave-Gotik-Treffen der Grufties in Leipzig und das legendäre Wacken-Festival mit zig Bands.

Erstes Fazit: Vor einer viel zu großen Bühne zu viel zu lauter Musik mit viel zu vielen Menschen abzurocken, macht auch mit Ü40 immer noch Spaß. Das hat mich ziemlich positiv überrascht, da ich befürchtet hatte, dass es einfach nicht mehr dasselbe ist wie "früher".

Zweitens: Dixi-Klos auf Festivals sind immer noch genauso eklig wie vor 20 Jahren. Plötzlich fiel mir auch wieder ein, warum ich so lange nicht mehr auf Festivals war.

Bei "Rock im Park" spielen dieselben Bands wie vor 20 Jahren

Guns n' Roses im Stadion in Hannover: Gitarren-Gott Slash (57) hat es immer noch drauf.
Guns n' Roses im Stadion in Hannover: Gitarren-Gott Slash (57) hat es immer noch drauf.  © Jan Iven/TAG24

Doch die größte Überraschung: Auch die Bands sind mehr oder weniger immer noch dieselben wie vor 20 Jahren. Guns n' Roses, KISS (seit 1973 auf der Bühne!), Green Day, The Offspring, Weezer und so weiter... die waren "zu meiner Zeit" (wie spießig und alt hört sich das bitte an?), auch schon auf den Festivals unterwegs.

Doch wenn die Konzerte für mich eine musikalische Zeitreise in meine Jugend sind, was sind sie dann für die jungen Leute von heute? Eine Oldie-Nacht?

Genauso erstaunt habe ich auf den Festivals allerdings festgestellt, dass das junge Publikum die alten Bands genauso feiert wie ich und sogar noch textsicherer ist (ich habe sogar den Verdacht, dass da einige Streber heimlich vorher geübt haben...). Dabei waren die meisten der jungen Zuschauer noch nicht einmal geboren, als sich die Bands gegründet haben.

Bleibt die Frage: Wo sind eigentlich die neuen Rock-Bands? Auf der großen Bühne bei "Rock im Park" waren nur die Broilers eine Neuentdeckung für mich. Aber ich habe mir sagen lassen müssen, dass die auch schon 30 Jahre zusammen musizieren. Asche auf mein Haupt!

Und ja, ich gestehe: Die Musik von heute verstehe ich nicht, so wie meine Eltern meine Musik nicht verstanden haben. "Layla" kenne ich nur von Eric Clapton. Aber nach zwei Jahren Lockdown müssen die Leute ihre wiedergewonnene Freiheit offenbar mit einem aus meiner Sicht völlig dämlichen Balla-Balla-Hit feiern. Und wenn er angeblich auch noch in irgendeinem Nest verboten sein soll, dann kann man damit wenigstens noch ein bisschen rebellieren, wogegen auch immer. Es sei ihnen gegönnt.

Aber da kaufe ich mir lieber die x-te Scheibe einer 30 Jahre alten Rockband, nicht obwohl, sondern gerade weil sie sich genauso anhört wie damals (und ja, ich kaufe noch CDs).

Rock'n'Roll-High-School: Ida und Bruno bei "Ugly Kid Joe"

Zwei Kids mit "Ugly Kid Joe" auf der Bühne: Bruno und Ida (beide 11) im Juni im Hamburger Knust.
Zwei Kids mit "Ugly Kid Joe" auf der Bühne: Bruno und Ida (beide 11) im Juni im Hamburger Knust.  © Jan Iven/TAG24

Immerhin: Bei einem Konzert der kalifornischen Spaß-Rocker Ugly Kid Joe (auch schon 30 Jahre mit Unterbrechungen auf dem Buckel) im Juni standen neben mir in der ersten Reihe im Hamburger Knust zwei Elfjährige: Ida und Bruno.

Die beiden waren mit ihren Eltern dort, waren aber ebenfalls so textsicher (und die Texte sind wirklich nicht jugendfrei...), dass Sänger Whitfield Crane (54) sie fast schon gerührt auf die Bühne holte und sie den bekanntesten Smasch-Hit der Band, "Everthing about you", singen ließ.

Die beiden Kids, Ida und Bruno, lernen auch schon fleißig, E-Gitarre zu spielen. Es gibt also doch noch Hoffnung für die Zukunft des Rocks.

Und: Festivals sind die neuen Oldie-Nächte. Und egal ob mit 11, Ü40 oder Ü70 (so alt sind KISS mittlerweile): Rock'n'Roll will never die!

Im nächsten Sommer werde ich mir wieder alle Konzert-Tickets kaufen, die ich in die Finger kriege. Allein schon, weil man sich dann nicht mehr so alt fühlt, wie man ist.

Titelfoto: privat

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