Sexismus in der Kunst: "Femme fatale" in der Hamburger Kunsthalle
Hamburg – Eine barbusige Frau sitzt auf einem Felsen und lockt mit ihrer Schönheit Seeleute an. Eine andere barbusige Frau tanzt vor einer Gruppe angezogener Männer. Über Jahrhunderte hinweg prägte die "Femme fatale" die Kunst. Aus gegenwärtiger Sicht betrachtet, ist die Darstellung der attraktiven und gleichzeitig Unheil bringenden Frauenfigur vor allem eins: sexistisch. Die Hamburger Kunsthalle will mit ihrer neuen Ausstellung "Femme fatale: Blick – Macht – Gender" einen Diskurs schaffen. "Alte Kunst sollte immer wieder auf ihre Gegenwärtigkeit abgeklopft werden", sagte Direktor Alexander Klar (54) am Donnerstag.
Das Bild "Der Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen" im Makart-Saal, der im September 2020 eingerichtet wurde, warf bei den Mitarbeitern der Hamburger Kunsthalle die Frage auf: "Wie geht man mit etwas um, was offensichtlich sexistisch ist, aber zum Kanon der Kunstgeschichte gehört?"
Alexander Klar stellte schnell klar, Bilder abhängen kommt nicht infrage. "Wir sind kein Ort, wo Cancel Culture eine Chance bekommt. Wir sind dazu verdammt, unsere Sachen zu zeigen und wir wollen auch nichts ins Depot tun."
Stattdessen habe die Frage eine fruchtbare Debatte entfacht, die der Grundstein für die Ausstellung "Femme fatale" war. Kurator Markus Bertsch (Leitung Sammlung 19. Jahrhundert) sowie Selvi Göktepe und Ruth Stamm haben es sich zur Aufgabe gemacht, die wahnsinnige Fülle an "Femme fatale"-Bildern ab dem 18. Jahrhundert zu kontextualisieren.
"Wir wollen bei unserem Publikum ein Bewusstsein dafür schaffen, was war das für eine Bildkultur hinter den Bildern und wie stark ist das binäre System im 19. Jahrhundert gewesen?", sagte Bertsch.
"Es ist keine Ausstellung, die die Frau einseitig im Bild hat, sondern in jedem Bild, dass ein Mann von einer Frau malt, ist der malende Mann natürlich mit dabei. Diesen Gedanken haben wir der Ausstellung zugrunde gelegt und uns gefragt, was passiert mit dem Bild, wenn Frauen dazukommen", ergänzte Klar.
Die "Femme fatale" findet ihren Ursprung oft in der Literatur
Die Ausstellung beginnt mit dem Gedicht von "Die Lore-Ley" von Heinrich Heine (†58). Zwar ist Lorelei bei Heine noch keine "Femme fatale", wird aber später durch die bildende Kunst zu einer gemacht. Oft liegt der Ursprung der dargestellten Frauenfiguren im Literarischen und Mythischen. Beispiele sind Salome, Medusa oder die Sirenen, die in der Kunst zwischen 1860 und 1920 als "verhängnisvolle Frauen" vielfältig rezipiert wurden.
Um das 20. Jahrhundert wurde das "Femme fatale"-Bild dann auf lebende Personen projiziert. Meist waren es Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Künstlerinnen. Ein Beispiel ist die Österreicherin Alma Mahler-Werfel (†85), die von ihrem Liebhaber Oskar Kokoschka (†93) nach ihrer Affäre für all sein Unglück verantwortlich gemacht wurde.
Hier waren die Darstellungsweisen vor allem Plakate und Fotografien, die noch einmal aktiv zur Verbreitung der Bilder beigetragen haben. Zwar war die Projektion immer noch eine männliche, aber gleichzeitig eigneten sich die Frauen auch selber Elemente dessen an.
Aber nicht als Zeichen der Unterwerfung, sondern der Selbstermächtigung.
Der Sexismus ist heutzutage immer noch präsent
Die Grenzen zwischen männlichen und weiblichen Identitäten fangen ab dem 20. Jahrhundert an zu verwischen. Es ist nicht nur die Darstellung von Frauen in stereotypischer Männerkleidung, sondern auch Bilder wie "Lili mit dem Federfächer" von Gerda Wegener (†54), die Identitäten jenseits von Mann und Frau sichtbarer machten.
Die dänische Künstlerin malte ihren Ehemann Einar Wegener, der sich später als einer der ersten Transsexuellen einer Geschlechtsumwandlung unterzog und zu Lili Elbe wurde.
Feministische Künstlerinnen der Gegenwart dekonstruieren die "Femme fatale". Eine Bewegung ist die der Selbstdarstellung: "Die Frauen zeigen sich selbst und werden nicht mehr von Männern gemalt", erklärte Ruth Stamm.
Dennoch sei der Sexismus weiterhin präsent in der Kunst, das zeigt auch das Schlusswerk der Ausstellung "Woman Words" von Betty Tompkins (77). Mit Acryl auf Leinwand malte und illustrierte sie die häufigsten Begriffe, wie Frauen heutzutage immer noch bezeichnet werden. Darunter "Slut" und "Bitch", also genau die Stereotypen, die Jahrhunderte zuvor schon genau so gegolten haben.
"Wir können aus der Vergangenheit und aus der Bildgeschichte lernen, wir brauchen das, was damals produziert wurde, um produktiv nach vorne zu blicken", betonte Bertsch.
Die Hamburger Kunsthalle bietet besondere und neue Vermittlungssysteme
Neben dem Thema der Ausstellung gibt es noch weitere Besonderheiten, die von Andrea Weinige am Donnerstag vorgestellt wurden. Neben klassischen Führungen gibt es erstmalig ein "ChatbotModul" in der App der Hamburger Kunsthalle, mit dem Besucher in einen Dialog mit sechs "Femme fatale"-Figuren aus den Kunstwerken der Ausstellung treten können.
Ebenso bietet die Hamburger Kunsthalle zum ersten Mal Audiodeskriptionen an. Zu ausgewählten Exponaten werden ergänzend Tastkopien bereitgestellt, die über das Fühlen von Konturen Menschen mit Blindheit und Seheinschränkungen eine zusätzliche Möglichkeit geben, sich die Ausstellung eigenständig zu erschließen.
Ein kostenloses Begleitheft, das in Zusammenarbeit mit dem "Missy Magazine" entstanden ist, eröffnet intersektionale und (queer-)feministische Perspektiven auf die Ausstellung.
"Femme fatale" wird bis zum 10. April in der Galerie der Gegenwart zu sehen sein. Tickets gibt es ab acht Euro.
Titelfoto: BEGAS HAUS – Museum für Kunst und Regionalgeschichte Heinsberg