Wieso verstecken wir uns vor der Kamera? Eine Ausstellung über Machtgefälle in der Fotografie
Hamburg - Am Donnerstag eröffnet eine neue Ausstellung im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg. Mit "How To Look at a Camera" präsentiert die italienische Künstlerin Linda Fregni Nagler (47) im Rahmen der Reihe "Fotografie neu ordnen: Blickinszenierung" historische Fotografien, die durch ihre eigene Art und Weise ein Machtgefälle zwischen Fotograf und Model zeigen und die Frage aufwerfen: "Wieso kehren wir der Kamera den Rücken zu?"
Zu Beginn des Presserundgangs der neuesten Ausstellung im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg (kurz: MK&G) begrüßte Kuratorin Dr. Esther Ruelfs (49) die italienische Künstlerin und verlor ein paar Worte zum Hintergrund der Ausstellung, bevor die Künstlerin selbst erklärte, womit sich ihre Arbeit beschäftigt.
Gemeinsam mit dem MK&G präsentiert sie ihre erste Einzelausstellung in Deutschland "How To Look at a Camera", die im Rahmen der Ausstellungsreihe "Fotografie neu ordnen: Blickinszenierung" stattfindet. Linda Fregni Nagler ist die fünfte Künstlerin dieser Reihe, die ihr Projekt vorstellt.
Generell freut sich das Museum aktuell sehr darüber, einige Projekte von Frauen ausstellen zu können, hieß es.
"Das besondere ist, dass diese Ausstellung im Grunde genommen zwei Gruppen verschränkt", sagte Ruelfs zum Auftakt der Führung. Zum einen die historischen Werke der Sammlung des MK&G, zum anderen Werke und Bilder, die die Künstlerin selbst ausgewählt hat. In beiden Fällen handelt es sich um historische Vorlagen, um sehr kleinformatige, zufällige Aufnahmen, sogenannte "objet trouvé". Die meisten davon stammen vor allem aus dem 19. Jahrhundert. Häufig kauft die Künstlerin diese Zufallsfunde auf eBay, um sie dann neu zu interpretieren und aufzuarbeiten. "Es ist immer ein Prozess des Suchens und Findens", so die Künstlerin. So wie bei ihrer nun aktuellen Ausstellung in Hamburg - sowohl im Netz als auch in den Tiefen der Museums-Sammlung gesucht, gefunden und neu rekonstruiert.
Grob gesagt geht es um das Anschauen und Angeschaut-Werden, um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Trotz optischer Unterschiede in den Bildern einen sie sich wiederum auf einer Ebene. In jedem einzelnen geht es in einer bestimmten Art um das Gefühl von Ungleichheit und Machtgefälle und die Frage: Wieso dreht man sich weg, wenn man fotografiert wird? Wieso kehrt man der Kamera den Rücken? Welche Beziehung herrscht zwischen Fotograf und Model?
Der Ursprung ihrer Arbeit mit diesem komplexen Thema liegt in einer historischen Aufnahme einer Gruppe blinder Brasilianer (s. u.).
Ein Einblick in die Ausstellung von Linda Fregni Nagler im MK&G Hamburg
Linda Regni Nagler: "Es gibt so viele fantastische Bilder!"
Fregni Nagler selbst lebt in Mailand und unterrichtet dort an der Accademia Di Brera und der Universität IULM Fotografie. Sie wurde 1976 in Stockholm geboren und hat später anfangs selbst in Mailand an der Accademia Di Brera studiert - allerdings Malerei.
Später studierte sie visuelle Kunst bei Jimmi Durham an der Fondazione Ratti, bis sie sich dann letztlich noch für ein Film- und Fotografie-Studium in Cuba entschied. Bislang hat sie schon einige Einzelausstellungen in vielen Orten Europas veröffentlicht.
Häufig nimmt die studierte Fotografin durch ihre Projekte auch die Rolle einer Sammlerin und Kuratorin ein. Auf Nachfrage, ob sie denn trotzdem noch selbst fotografiere, antwortete die 47-Jährige: "Ja, aber es gibt so viele fantastische Bilder, die ich nutzen kann, dass ich wirklich sehr selten fotografiere. Als ich angefangen habe, habe ich meine Fotos noch selbst gemacht, doch dann kam diese Begegnung mit der Vergangenheit und da hat sich diese große Liebe für das Objekt entwickelt. Man muss sich das so vorstellen: Man kauft ein Bild im Internet, für wenig Geld, dann kommt das an und ist mini-klein und dennoch kann man aus diesem Material so viel ableiten und in die Gegenwart übersetzen."
Fregni Nagler nimmt sich inzwischen also gerne historischen Bildern an und übersetzt diese in die aktuelle Realität. Betrachter werden zum Nachdenken angeregt und es stellen sich plötzlich Fragen wie: Wieso wurde dieses Foto überhaupt aufgenommen? Wen zeigt es und wieso?
Sie entzieht den Werken mit ihrer Arbeit teilweise sogar den Kontext, öffnet damit ganz neue Interpretationsmöglichkeiten und lässt sie dadurch fast schon grotesker und poetischer wirken.
Ankündigung der Ausstellung auf Instagram:
Eine ruhige, aber sehr komplexe und vielschichtige Ausstellung, die viel Raum bietet, um sich neben der Historie auch auf neue Aspekte und Einordnungen einzulassen. Ab dem kommenden Freitag, dem 30. Juni 2023, können Fotografie-Interessierte ein Jahr lang die Ausstellung der italienischen Künstlerin im MK&G Hamburg besuchen. Die offizielle Eröffnung findet am morgigen Donnerstag um 19 Uhr statt.
Normale Eintrittskarten für das Museum können online oder direkt vor Ort erworben werden. An mehreren Tagen bietet das Museum auch Führungen durch die Ausstellung der Künstlerin an. Die Termine sind ebenfalls auf der Webseite veröffentlicht.
Die Ausstellung findet Ihr in der zweiten Etage des großen historischen Gebäudes in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs.
Titelfoto: Montage: Andrea Rossetti/Linda Fregni Nagler, Alice Nägle/TAG24