Kunstvoll impfen in Hamburg: "Wir sind für alle da, ohne Ansehen der Person!"
Hamburg - Eine Vernissage im Impfzentrum? Ungewöhnlich, aber sehenswert! Über mehrere Wochen haben sich verschiedene Streetart-Künstler in den neuen Räumen des Impfzentrums der Hansestadt Hamburg mit ihren farbenfrohen Kunstwerken verewigt. Es geht um Attraktivität für die Besucher, eine bessere Nachbarschaft, aber auch um die Kunst an sich, die erstaunlich viel mit dem Akt des Impfens gemein hat.
Anfang März ist das Impfzentrum von Hamburg-Hamm nach Rothenburgsort umgezogen. Am neuen Standort arbeiten nun alle Abteilungen des Instituts für Hygiene und Umwelt (HU) unter einem Dach. Um diesen für seine Besucher attraktiver zu machen, kam laut Geschäftsführer Dr. Ansgar Ferner schnell die Idee auf, die Räume bunter zu gestalten.
Kunst an Orte zu bringen, wo niemand mit ihr rechnet, und die Leute auch mit Themen zu konfrontieren, mit denen sie sich vielleicht gar nicht beschäftigen wollen, ist die Motivation vieler der 13 Künstler:innen, die ab sofort im Impfzentrum mit ihren Werken vertreten sind.
In Absprache mit den Impfärzten - die ein Mitspracherecht hatten - wurden alle Zimmer, die Flure, der Wartebereich und selbst die Toiletten kunstvoll verschönert.
Dabei gehe es aber nicht darum, für Privatpatienten ein schöneres Ambiente, sondern ein Impfzentrum für alle anzubieten:
"Wir machen zum Beispiel auch Impfprogramme für Schulen und soziale Einrichtungen sowie für Obdachlose und andere Leute, die nicht mal eben eine Impfung vom Hausarzt bekommen", betonte Ferner bei der Vernissage im Impfzentrum am gestrigen Dienstag.
"Die Streetart verbindet die Kunst mit dem Ansehen unseres Impfzentrums!"
Ideengeberin und Leiterin des Technik-, Gebäude- und Energiemanagements, Katharina Knothe, schloss sich ihrem Chef an und ergänzte: "Ich wurde auch oft gefragt: 'Warum Streetart und nicht Plakate an den Wänden?' Streetart ist niedrigschwellig und für alle da. Das verbindet die Kunst hier auch mit dem Ansehen unseres Impfzentrums, wir sind für alle da, ohne Ansehen der Person."
Knothe ist Hobby-Fotografin und war während der Pandemie viel in den Straßen Hamburgs unterwegs, wie sie im Gespräch mit TAG24 verriet. So habe sie sich ein großes Netzwerk mit Kontakten von Streetart-Künstlern aufgebaut.
"Ich habe dann ein paar für unser Projekt angefragt und war ehrlicherweise ganz überrascht, dass alle Ja gesagt haben!"
Künstler Lapiz betont: "Es ist keine Deko-Kunst!"
Einer der Künstler ist Stencil (Schablonen-) Künstler Lapiz. Der Wahl-Hamburger malt eigentlich am liebsten in Großformaten, aktuell gestaltet er zum Beispiel den S-Bahnhof Veddel, für das Impfzentrum hat er aber gerne eine Ausnahme gemacht.
"Bunter und schöner ist die eine Sache, aber hier wurde uns auch die Möglichkeit geboten, was zu machen, was wirklich eine Aussage hat. Es ist keine Deko-Kunst", betonte Lapiz im Gespräch mit TAG24.
Neben einem kleinen Mädchen, die eine Weltkugel abhorcht, hat sich das Impfzentrum auch für Lapiz' sozialkritischen "Impfreisenden" entschieden. Auf dessen Koffer kleben die Fahnen der Länder, die keinen Corona-Impfstoff erhalten haben.
Ein allgemeines Problem, weiß der ehemalige Immunologe: "Statt sich hier zum Beispiel gegen Gelbfieber impfen zu lassen, könnte man ja auch einfach Bolivien durchimpfen. Man macht es sich aber einfach und gibt den Reisenden aus den Industrieländern den Impfstoff, damit die sicher reisen können. Es gibt ja ganz viele Krankheiten, die man eigentlich ausrotten könnte, aber sagen wir mal so, die Motivation ist anscheinend nicht so hoch."
Sein Kunstwerk soll die Besucher zum Nachdenken anregen: "Dass die Leute sich auch mal damit beschäftigen, warum sie sich überhaupt für ihre Reise impfen lassen müssen!"
Die Kunstwerke nehmen den kleinen Gästen die Angst vor der Spritze
Gerade für Kinder haben die bunten Wände laut Katharina Knothe noch eine ganz andere Wirkung: Sie nehmen die Angst vor der Spritze. Anstatt sich auf de kommenden Schmerz zu konzentrieren, zählen sie jetzt beispielsweise die zahlreichen Spritzen, die der "Medusa" als Haarschmuck dienen.
Ein Kunstwerk der Künstlerin Maaike Dirkx: "Mein Schwerpunkt in den letzten Jahren ist das moderne Pin-up und ich habe mir Gedanken gemacht, wie ich das so verwandeln kann, dass es hier hereinpasst. Ich wollte schon das Thema Impfen mit aufnehmen und gleichzeitig über das Pin-up etwas Positives vermitteln."
Ein weiterer bei Kindern sehr beliebter Raum ist passenderweise das Familienzimmer. Der bunteste Raum im ganzen Zentrum.
Fast jeden Fleck Wand haben die Künstler angry_koala und HkdNs als Gemeinschaftsprojekt mit witzigen Tierchen mit großen Augen besprüht.
"Es ist auch wichtig, sich für die Leute im Stadtteil zu öffnen!"
"Wir malen ja immer unsere Wimmelbild-Geschichten mit lauter bunter Farben. Oft wird Graffiti immer noch mit Vandalismus in Verbindung gebracht und wir dachten uns: Dann lass uns bunte Tierchen malen und alle erreichen", so angry_koala.
"Die meisten können schon mit Tags nichts anfangen, ich liebe Typo, aber um andere auch mal anzustiften, nicht nur auf ihr Handy zu gucken, musst du halt Grenzen durchbrechen."
Daneben, Kunst zugänglicher zu machen, gehe es aber auch um eine gute Nachbarschaft, gerade weil der neue Standort des Impfzentrums in Rothenburgsort sich noch nicht so herumgesprochen habe: "Wir sind noch viel zu wenig im Stadtteil bekannt", so der stellvertretende Geschäftsführer der HU, Jochen Riehle, gegenüber TAG24.
"Wir machen etwas für die Bürger, deswegen ist auch wichtig, sich nicht nur für die wissenschaftliche Welt, sondern auch für die Leute im Stadtteil zu öffnen!" Und was bietet sich da besser an als die ungewöhnliche Kombination von Streetart im Impfzentrum?
Die Kunstwerke sind auch ohne Impftermin während der allgemeinen Sprechzeiten zugänglich. Weitere Informationen unter hamburg.de/impfzentrum.
Titelfoto: Madita Eggers/TAG24