Deswegen hält Experte Karl Mays Winnetou-Welt für rassistisch
Hamburg - Die beliebteste Fantasiewelt der Deutschen wird gerade massiv kritisiert: Winnetou und dessen Schöpfer Karl May. Anlass dafür ist der neue Film "Der junge Häuptling Winnetou". Nach Kritik an zwei Büchern dazu hat der Ravensburger Verlag diese aus dem Programm genommen. TAG24 hat darüber mit Professor Dr. Jürgen Zimmerer (57) von der Uni Hamburg gesprochen.
Auf Twitter hatte der Historiker mit dem Forschungsschwerpunkt auf Kolonialismus bereits vor Kurzem dargelegt, wieso er Karl May problematisch findet. Zimmerer halte seine Romane für "zutiefst kolonial, vom enthaltenen Rassismus und Antisemitismus ganz zu schweigen. Das Setting ist die genozidale Eroberung der nordamerikanischen Frontier".
Winnetou sei dabei "der mit allen preussischen Tugenden ausgestattete 'edle Wilde'". Andere Native Americans kämen deutlich schlechter weg. Old Shatterhand sei der "imperiale Supermann, spricht alle Sprachen, beherrscht jede Technik, ist allen überlegen, verkleidet sich, dass ihn selbst 'Indianer' nicht erkennen etc. Ein klassisches Motiv aus kolonialen Erzählungen: Der Kolonisator kennt die Kultur der Kolonisierten besser als diese selbst."
Dazu komme eine völkische Aufladung. Die Figur Old Shatterhand "ist nicht nur als Weißer allen überlegen (einzige Ausnahme Winnetou), sondern als Deutscher auch allen Weißen".
Das Fazit des Historikers: "Karl May ist eine faszinierende Quelle, aber als Kinderbuch ungeeignet, und das betrifft schon die Story an sich! Deshalb war Ravensburger schlecht beraten, gerade das neu erzählen zu lassen."
Jürgen Zimmerer erklärt seine Karl-May-Kritik auf Twitter
Ravensburger nimmt neue Winnetou-Bücher aus dem Programm
Sollte Karl May gecancelt werden?
Immerhin habe der Verlag schnell und richtig reagiert, so Zimmerer im Gespräch mit TAG24. "Aber warum wurde das Buch vorher nicht ausreichend geprüft? Warum wurde der Film mit öffentlichen Geldern gefördert? Und warum wird der Verlag für seine richtige, wenn auch späte Entscheidung nun an den Pranger gestellt?"
Die Karl-May-Bücher hat der Historiker wie unzählige andere auch in seiner Kindheit gelesen. Erst im Erwachsenenalter griff er wieder zu. "Es war keine schöne Erfahrung", sagte Zimmerer. "Vom Nostalgie-Gefühl blieb nichts mehr übrig." Heute frage er sich: "Wie konnte ich nur auf so etwas Holzschnittartiges hereinfallen?" Die heutige Jugend sei da glücklicherweise schon viel weiter, lasse sich den Rassismus und auch die Frauenfeindlichkeit nicht bieten.
Doch man darf Zimmerer in seiner Kritik nicht falsch verstehen. "Keiner will Winnetou verbieten oder wegsperren!" Die Texte sind sogar kostenlos auf der Seite der Karl-May-Gesellschaft zu finden. "Ich finde es richtig, wenn man es heute Jugendlichen zeigt. Es ist eine hervorragende Quelle, um zu erzählen, wie Kolonialismus funktioniert hat. Allerdings müsse diese Lektüre beispielsweise von Lehrer*innen begleitet werden."
Unkritische Folklore-Veranstaltungen wie die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg sollten aber infrage gestellt werden.
Titelfoto: -/dpa