Hamburger Hafen-Treff macht Trucker glücklich: "Odo's Kaffeeklappe" stillt nachts den großen Hunger
Hamburg - In "Odo's Kaffeeklappe" gibt es belegte Brötchen bis zum Abwinken – und das auch schon nachts um 3 Uhr. Der Hafen-Treff ist Versorger und Kummerkasten zugleich. Doch vor allem die sinkende Nachfrage wird für den Betrieb immer häufiger zum Problem.
Wenn die meisten ins Bett gehen, beginnt für ihn der Arbeitstag: Kurz vor 23 Uhr erreicht Odo Wehr (51) mit seinem Kleintransporter die Buchheisterstraße nahe dem Hamburger Hafen-Terminal "Steinwerder".
Einsam und verlassen steht dort ein kleiner, schwarzer Container. Zwei Fenster, zwei Türen – allesamt mit Stahlgittern verriegelt. Odo schließt auf, knipst Licht und Leuchtreklame an. Unverkennbar prangt über dem Eingang nun in großen Lettern: "ODO'S KAFFEEKLAPPE".
Für den Co-Chef, der gemeinsam mit Kollege Toby Duschat (33) den Betrieb führt, kann die Nacht damit starten. Bis 3 Uhr muss er zahlreiche Brötchen vorbereitet haben. Sie werden für die Auslage, aber auch für Bestellungen gebraucht, die täglich auf kleinen Zetteln an der Wand hängen.
"Wir sind Hafenversorger, liefern Essen also auch aus, verkaufen es mit unserem Wagen oder bieten es zur Abholung an", erklärt Odo. Durch strukturiertes Arbeiten will er pünktlich fertig werden. Für ihn beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.
Die Vorbereitung für den späteren Verkauf beginnt
Während es sich draußen kurz vor Mitternacht angenehm abgekühlt hat, staut sich im 18 Quadratmeter großen Container die Hitze – zwei Öfen laufen auf Hochtouren.
Mit Schweißperlen auf der Stirn flitzt Odo zwischen Kühlung und Arbeitsfläche hin und her. "Als Erstes müssen Kaffee gemacht und Brötchen sowie Croissants gebacken werden", sagt der 51-Jährige hektisch.
Superschnell schiebt er Bleche in den Ofen. Kurze Zeit später landen goldgelbe Brötchen in roten Kisten.
Mit Messer und Spachtel bewaffnet geht es für Odo schließlich ans Aufschneiden und Beschmieren. Neben Butter kommen Ei-Scheiben, Kochschinken, Leberwurst, Zwiebelmett, Camembert oder Salami mit Käse auf die Hälften.
"Kaffeeklappen" haben ihren Ursprung im 19. Jahrhundert
"Weil heute Fischtag ist, gibt es auch Fischstäbchen-Brötchen", verrät Odo, der aufgrund von Lieferschwierigkeiten und Kundennachfrage immer wieder sein Angebot anpassen muss. "Wir reagieren auf Veränderungen. Das, was ich bekomme, kriegen dann auch die Leute."
Regionalität ist ihm dabei wichtig: Bestimmte Produkte – so etwa Hackfleisch, Mett und Leberwurst – stammen von benachbarten Schlachtern aus seinem Wohnort Bienenbüttel. "Die Qualität schmeckt man", weiß der Vater von vier Kindern. "Das ist das Besondere an der 'Kaffeeklappe'."
Odo's Hafen-Treff knüpft an eine lange Tradition an. Als "Volkskaffeehalle" oder umgangssprachlich "Kaffeeklappen" wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts einfache Lokale für Arbeiter bezeichnet. Sie besaßen die namensgebenden Klappen, durch die Speisen und Kaffee von der Küche in den Gastraum gereicht werden konnten.
Erste Verpflegungsstätten dieser Art fanden sich unter anderem in Hamburg, wo sie im Freihafen bis Mitte der 1980er-Jahre beliebter Anlaufpunkt für die Angestellten waren.
Stress für Odo um halb zwei
Mit ähnlichem Konzept knüpfte Odo ab 2001 an diese Tradition an: "Früher hießen wir nur 'Kaffeeklappe'. Um den Namen persönlicher zu gestalten, kam später dann das 'Odo' davor", erzählt der einstige Außendienstler.
Auch heute noch schauen in der "Kaffeeklappe" viele Hafen-Mitarbeiter vorbei. Zur Kundschaft gehören mittlerweile ebenfalls Bus- und Trucker-Fahrer, die im Nah- oder Fernverkehr unterwegs sind.
Leicht gestresst schweift Odo's Blick zur Uhr über der Eingangstür. Es ist kurz nach halb zwei – nur noch wenig Zeit bleibt, um das Essen für die Auslage und die Bestellungen fertig zu bekommen.
"Ich muss noch Leberkäse, Buletten, Rührei und Spiegeleier braten", sagt Odo, während er im Akkord Eier aufschlägt und den Inhalt in Schüsseln sowie Pfannen gleiten lässt. Ein leises "Puh" ist hinter der Theke zu vernehmen. Immer wieder eilt Odo schnellen Schrittes zur Kühlung.
Kunden-Zustrom durch Entlassungs-Welle gedämpft
Obwohl offiziell noch gar nicht geöffnet, betritt Kunde Joachim Ramm (58) gegen 2 Uhr den Hafen-Treff. Der Revierfahrer eines Sicherheitsdiensts holt sich schon seit vielen Jahren bei Odo etwas zum Essen, um gestärkt in die zweite Hälfte der Schicht zu starten.
"Ein Ei-Brötchen bitte", sagt der 58-Jährige und zahlt dafür 1,90 Euro. Kurze Zeit später verschwindet er wieder für seine nächste Kontroll-Tour in der Dunkelheit.
"Hieran sieht man gut, dass die Kunden meistens nicht viel Zeit haben. Manche kommen schon vor 3 Uhr – die können dann eben das mitnehmen, was schon fertig ist", erzählt Odo.
Wie viel Kundschaft er heute kriegen wird, weiß der 51-Jährige nicht. Dies hängt auch vom Verkehr und den Wasserständen auf der Elbe ab.
Generell hat der Kunden-Zustrom jedoch nachgelassen, sagt Odo: "Wir haben hier derzeit die größte Krise seit 2008. Das Speditionsgeschäft ist seit November 2022 dermaßen runter, sodass bis zu 20 Prozent an Fahrern abgebaut wurden. Davon bin ich abhängig."
Für Odo zählt die Leidenschaft
Auch der Verein Hamburger Spediteure (VHSp) beobachtet stark sinkende Umschlags-Mengen. Zunehmend würde der Hafen massiv an Ladung gegenüber den West- und Osthäfen, wie zum Beispiel Rotterdam oder Danzig verlieren.
Die Performance der Hansestadt halte dem Wettbewerb nicht mehr stand. "Mittlerweile steckt kein lohnendes Geschäft mehr dahinter – es ist nur noch Leidenschaft", erzählt Odo.
Über vier Stunden steht der Co-Chef der "Kaffeeklappe" nun schon in der Küche. Ganze 100 bis 120 Brötchen gingen für die erste Verkaufs-Phase, die Auslieferung und die Abholung durch seine Hände.
Fast pünktlich kann Odo die Vorbereitungen gegen 3.30 Uhr beenden. Er entspannt sich und widmet sich den Kunden, die mittlerweile in höherer Frequenz in die "Kaffeeklappe" kommen.
Hafen-Treff ist einziger Anlaufpunkt in der Nacht
So schaut auch Trucker-Fahrer Justin Cranney (30) vorbei, der auf dem Weg nach Hause bei Odo einen Zwischenstopp eingelegt hat. "Das ist immer ein Pflichttermin, wenn ich hier vorbeikomme", sagt der 30-Jährige.
Alle zwei Wochen kommt auch Kraftfahrer Jörg Lütjens (56) im Hafen-Treff vorbei. Vor der Arbeit schnappt er sich dort noch ein paar Brötchen. "Um die Uhrzeit kriegt man sonst nichts", zeigt sich Jörg dankbar.
Auch Schlosser Martin Hövermann (50) weiß den nächtlichen Einsatz seines Kumpels Odo zu schätzen: "Hier kann ich mir früh mein Essen für die Schicht besorgen. Die Tankstelle macht erst später auf."
Während die meisten Kunden den Imbiss nach weniger als einer Minute schon wieder verlassen, verweilt so mancher Stammgast für einen Schnack auch mal länger bei Odo.
Betrieb soll noch möglichst lange fortbestehen
"Meine Aufgabe hier ist, Blödsinn zu sabbeln und dann wieder zu gehen", sagt etwa Berufskraftfahrer und Odo's Kumpel Thomas Rothe (56), der schon seit 15 Jahren in der "Kaffeeklappe" vorbeikommt und sich dabei gerne über seinen Aufreger des Tages unterhält – heute: "Radfahrer, die Probleme mit Lkws haben und ihn anzeigen wollen."
Darüber könnte Thomas gefühlt noch eine ganze Stunde erzählen, doch nach 15 Minuten ruft die Arbeit – er muss los.
Auch Odo wird kurz nach 6 Uhr aufbrechen – für den Rest des Tages übernimmt bis 14 Uhr sein Kollege Toby den Verkauf.
Beide wollen den Betrieb noch möglichst lange am Leben erhalten. Denn ihnen ist bewusst, dass es im Hafen nachts sonst keine Verpflegung mehr geben würde. "Die Leute sind dankbar für diesen Treffpunkt und wissen unser Angebot sowie die Arbeit dahinter zu schätzen", freuen sich Toby und Odo.
"Das ist hier wie eine große Familie."
Titelfoto: Montage: Maximilian Schiffhorst (3)