Gar nicht so unvollendet wie gedacht: Herrndorfs "Bilder deiner großen Liebe" in Hamburg
Hamburg - "Bilder deiner großen Liebe" ist der unvollendete Roman des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf (†48, "Tschick"), der jetzt als szenische Lesung auf die Hamburger Theater-Bühne kommt.
Die Aufführungen finden am Samstag, dem 9. März, und am Sonntag, dem 10. März, im Turm der St. Georgskirche statt. Eine kleine Bühne, zwischen 40 und 45 Menschen passen in den Zuschauerraum.
Eingeschränkt wird die Inszenierung der Bagonghi Compagnie unter der Regie von Hans Happel und Philipp Roth vermutlich nicht. Eine Treppe, die weiter in den Kirchturm hinaufführt, wird einfach als zweite Ebene für die Schauspielenden genutzt.
Im Mittelpunkt des Stücks steht natürlich Isa, gespielt von Camille Glaesener, ein etwa 14-jähriges Mädchen auf einer Wanderung, einer Odyssee, bei der sie nach ihrer Herkunft, nach ihren Verwandten sucht.
Eine Rolle, die Glaesener sehr genau studiert hat. "Man versucht ihrer Innenwelt, die so schön beschrieben ist, gerecht zu werden und so wenig wie möglich selbst reinzupfuschen", erklärte sie TAG24 im Gespräch. Sie halte sich mit ihrer Rolle an Herrndorfs Beschreibung. "Viel muss man deshalb auch gar nicht machen."
Ihr sei es wichtig gewesen, Isa zu verstehen. Das habe sie geschafft. Und: Sie mag sie. "Ich glaube, wenn man mit ihr Kaffee trinken würde, hätte man einen guten Tag", so Glaesener.
Herrndorf hält der Gesellschaft einen Spiegel vor das Gesicht
An der Sprache wie auch am Text wurde nichts verändert, betonte Regisseur Happel im Gespräch.
Das sei auch vom Rowohlt-Verlag erwünscht gewesen. Aber es musste gekürzt werden, sonst wäre der Text natürlich zu lang geworden. Herrndorfs Stoff habe sich dafür allerdings als dankbar gezeigt.
"Einzelne Begriffe wie 'taubstumm' sollen und werden in der heutigen Zeit nicht mehr verwendet. Die Beleidigungen, die vorkommen, wurden auch beibehalten. Es wurde aber über die Begriffe gesprochen", so Camille Glaesener.
"Auch in meinem eigenen Monolog spreche ich über mein Jungfernhäutchen, und da kann man schon überlegen, inwieweit das heute noch so gehen würde." Richtiger Begriff wäre in dem Fall Hymen.
Nichtsdestotrotz blieben die Vokabeln erhalten. "Herrndorf stellt die Menschen so dar, wie er sie erlebt hat, und dadurch kommt dieser Roman ja auch zu dieser Authentizität. Dass er der Gesellschaft dadurch einen Spiegel vorhält", ergänzte Philipp Roth.
Ein Spiegel von vor rund zehn Jahren. Keinen der heutigen Zeit. Zumindest, was das Vokabular angeht.
Regisseur Hans Happel begeistert: "Ein ganz großes Buch"
Herrndorf selbst bezeichnete denn Roman damals als Fortsetzung für seinen Bestseller "Tschick". Formulierte es auch so in seinem Online-Tagebuch, das später unter dem Titel "Arbeit und Struktur" veröffentlicht wurde.
Regisseur Hans Happel sieht das wie auch schon Herrndorfs Biograf Tobias Rüther (50) im Interview anders.
Isa habe er aus dem Roman "Tschick" herausgenommen und aus ihr eine ganz große Figur gemacht. "Bilder deiner großen Liebe" sei ein ganz neuer, ganz eigener Roman. Mit einer sensibleren und schöneren Sprache, so der Regisseur. "Ein ganz großes Buch."
Passender wäre vermutlich der Begriff "Spin-off", da die beiden Hauptfiguren aus "Tschick" ebenfalls in "Bilder deiner großen Liebe" auftreten und andersherum, ergänzte Roth im Gespräch. Ob Herrndorf den Begriff Fortsetzung vielleicht nur verwendete, weil er das Buch nach dem Bestseller schrieb?
Dies lässt sich alles nur noch vermuten. Herrndorf beging am 26. August 2013 in Berlin, mutmaßlich in der Nähe des Strandbads Plötzensee, Suizid. "Bilder deiner großen Liebe" blieb unvollendet.
"Die Tatsache, dass der Roman unvollendet geblieben ist, ändert nichts daran, dass das Buch - so, wie es jetzt vorliegt - doch eine sehr geschlossene Form ist. Und ich finde nicht, dass dem Roman irgendetwas fehlt. So, wie das Buch ist, ist es ein fertiger Roman", so Happel.
Karten für die Vorstellung am Samstag erhaltet Ihr unter yesticket.org. Für Sonntag sind keine Tickets mehr verfügbar.
Titelfoto: Tom Linardatos