Deutschlandkonzert von Asaf Avidan beginnt mit Gänsehautmoment: "Konnte nicht essen, nicht schlafen"
Hamburg - Mit seinem "Reckoning Song" schaffte Asaf Avidan (43) vor mehr als zehn Jahren seinen internationalen Durchbruch – seitdem ist viel passiert. Am gestrigen Dienstag trat der israelische Folksänger im Zuge seiner "Ichnology"-Tour in Hamburg auf. Ein Abend mit Zwischentönen.
"One day baby, we'll be old. Oh Baby, we'll be old. And think of all the stories, that we could have told." – die Zeilen, die hierzulande viele mit einem Dance-Remix des Berliner DJs Wankelmut (36) verbinden und die auch der Poetry Slammerin Julia Engelmann (31) eine große Fangemeinde verschafften, stammen ursprünglich von Asaf Avidan.
Doch der Singer-Songwriter schaut heute eher mit gemischten Gefühlen auf seinen bislang größten Hit: Er möge die Version des Songs nicht besonders, erklärte er immer wieder in Interviews. Die herunter gekürzte Botschaft sei zu einfach, habe zu wenig künstlerischen Anspruch.
Er selbst fand über Liebeskummer zur Musik, zuletzt verarbeitete er eine Midlife-Crisis in seinem Studioalbum "Anagnorisis" (2020). Damit begann sich der in Jerusalem geborene Musiker mit der einzigartigen Stimme der Musik noch einmal von Grund auf neu anzunähern.
Für die ersten Stücke am Klavier wurde der Hamburger Kampnagel am Dienstagabend in völlige Dunkelheit getaucht, bevor der Blick auf ein intimes Wohnzimmer-Setting frei wurde. Dann nahm Asaf Avidan in einem Ohrensessel Platz und richtete ernste Worte an sein Publikum.
Als er Anfang Oktober bereits für seine aktuelle Tour auf der Bühne gestanden hatte, wurde auch er von den Anschlägen der Hamas in seiner Heimat überrumpelt: "Der Schock, die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit. Das war zu viel für mich", berichtete er.
Er sei immer wieder gefragt worden, ob er die Tour abbrechen wolle. "Ich wurde krank, ich konnte nicht essen, nicht schlafen."
Asaf Avidan in Hamburg: "Kunst ist die perfekte Sprache"
Doch als Künstler sehe er sich in der Pflicht weiterzumachen, auch wenn es ihm denkbar schwerfalle. "Wir müssen uns daran erinnern, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Und Kunst ist die perfekte Sprache dafür. Mit ihr können wir unsere eigene Zerbrechlichkeit spüren, bevor sie in Wut übergeht."
Energiegeladen und intim zugleich, die Stimme mal brüchig und mal voller Kraft demonstrierte der Multiinstrumentalist in den folgenden zwei Stunden genau das: ein weites Spektrum an künstlerischen Zwischentönen, die er mal in Rockstar-Attitüde mit einem Fuß auf dem Klavierhocker, mal nur als großer Schatten eines in sich gekehrten Gitarristen verkörperte.
Der Abend endete schließlich wie mit einem Sinnbild seiner Eingangsworte: mit geloopten Schmerzensschreien und – in absoluter Dunkelheit.
Nach seinem Auftritt in Hamburg gibt Asaf Avidan in diesem Jahr noch zwei weitere Deutschland-Konzerte: Am 20. November ist er im Admiralspalast in Berlin, am 21. November in der Lichtburg in Essen zu sehen.
Titelfoto: DPA/EPA/Martial Trezzini