Von Mirjam Uhrich
Oldenburg/Hamburg - Ein Historiker der Universität Oldenburg hat eine Reisetruhe mit Hunderten Briefen aus dem 18. Jahrhundert entdeckt. Der Fund sei wie eine Zeitkapsel, meint Lucas Haasis, Forschungskoordinator des Projekts "Prize Papers". Es handle sich um das Archiv eines Hamburger Kaufmanns, das auf Reisen verloren gegangen war.
Die rund 2.480 Briefe, Rechnungen und Notizbücher stammen demnach von dem Kaufmann Nicolaus Gottlieb Lütkens (1716-1788).
Sein Porträt hängt noch immer im Hamburger Rathaus und die goldene Vertäfelung eines seiner Zimmer wird nach wie vor im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe aufbewahrt.
Als Kaufmann sei Lütkens damals viel auf Reisen gewesen, erklärte der Historiker. Als er 1745 zu seiner Hochzeit wieder nach Hause reiste, soll er seine Geschäftsunterlagen und persönlichen Briefe in eine Reisetruhe gepackt haben.
Er soll seine Mitarbeiter gebeten haben, die Kiste während der Reise im Laderaum seines Schiffes "Die Hoffnung" zu verstecken.
Das Schiff sei jedoch von einem britischen Kaperschiff im Ärmelkanal gekapert worden. Lütkens habe die Truhe und ihren Inhalt nie wieder gesehen, rekonstruierte Haasis.
Der Fund der Briefe sei etwas Besonderes, sagte Haasis. Es passiere sehr selten, dass solche großen und über Jahrhunderte unangetasteten Bestände - die noch dazu komplett erhalten seien – gefunden würden. In der Truhe befanden sich auch Briefe an seine zukünftige Frau Ilsabe Engelhardt.
Darin entschuldigt er sich, dass er die Hochzeit wegen Geschäften in Frankreich immer wieder verschoben hat. "Ich schicke tagtäglich Seufzer nach ihnen", schrieb Lütkens etwa im April 1745 seiner Verlobten.
Jahrelange Suche nach Nachfahren: Ein Traum geht für den Forscher in Erfüllung
Der Forscher entdeckte die Briefe im Rahmen des Oldenburger Projekts "Prize Papers", das von der Göttinger Akademie der Wissenschaften gefördert wird.
Seit 2018 untersuchen Wissenschaftler rund 500.000 Dokumente im Londoner Nationalarchiv, um sie zu digitalisieren und zugänglich zu machen.
Die historischen Unterlagen stammen alle von Schiffen, die die Briten in den Jahren 1652 bis 1815 kaperten.
Nach der Entdeckung der Briefe suchte Haasis in Deutschland lange nach Nachkommen des Kaufmanns – ohne Erfolg. Der Grund: Die Familie Lütkens floh während des Zweiten Weltkriegs nach London und nahm dabei nur eine Teekiste, Silberlöffel und einen Siegelstempel mit.
Durch Zufall sei eine Nachfahrin des Kaufmanns, eine Londoner Lehrerin, auf die Forschungen des Historikers aufmerksam geworden und habe sich bei ihm gemeldet. Der Stempel ist noch immer im Besitz ihrer Familie - und stimmt mit den Wachssiegeln auf den Briefen überein.
"Ich konnte es gar nicht glauben", meinte Haasis. Nach der jahrelangen vergeblichen Suche nach Nachfahren sei für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen.
Die Briefe werden nun in der "Prize Papers" Kollektion des Nationalarchivs aufbewahrt – und der Forscher und die Nachfahrin des Kaufmanns planen schon ein nächstes Treffen in Hamburg.