"Hinz&Kunzt"-Verkäufer über Hass im Alltag: "Sollte froh sein, dass ich überhaupt noch atme!"
Hamburg - Thomas ist seit fünf Jahren "Hinz&Kunzt"-Verkäufer. Über drei Jahre lang habe er als Obdachloser nur von den Zeitungsverkäufen gelebt, wie er im Gespräch mit TAG24 erzählte. Und das, obwohl er - auch heute noch - tagtäglich Anfeindungen von Vorbeigehenden ausgesetzt ist. "Es muss sich noch viel ändern", so der 53-Jährige.
"Ich habe mein Stand in der Rindermarkthalle und was ich schon an Beschimpfungen über mich ergehen lassen musste: Einer meinte mal zu mir, ich sollte froh sein, dass ich überhaupt noch atme", erzählt Thomas in bitterem Ton.
Oft hätten sich auch schon Kunden der Geschäfte in der Rindermarkthalle über ihn beschwert: "Einfach nur, weil ich da stehe und die Leute morgens begrüße!" Leider gewöhne man sich über die Zeit an den Hass, der einem alltäglich entgegenschlage. "Irgendwann geht das ins eine Ohr rein und direkt wieder raus!"
In all den Jahren habe es aber auch wirklich schöne Begegnungen gegeben. "Ich habe viele Stammkunden, die genau das Gegenteil davon sind. Ein Ehepaar hat mir vor Kurzem sogar eine Regenjacke im Internet bestellt."
Als Obdachloser oder auch als Bedürftiger mit einer Unterkunft fühle man sich oft von der Gesellschaft ausgegrenzt, so der 53-Jährige. Umso mehr weiß er diese kleinen, freundschaftlichen Gesten dieser Menschen zu schätzen. "Sonst fühlt man sich nie irgendwo willkommen, die Einstellung der Leute uns gegenüber muss sich auf jeden Fall ändern, aber wer weiß, ob das je passiert", so Thomas.
Bedürftiger über Winternotprogramm: "Die Regeln müssen da echt noch geändert werden!"
Insgesamt drei Jahre hat Thomas auf den Straßen Hamburgs gelebt, inzwischen habe er eine Unterkunft und beziehe seit Kurzem auch Bürgergeld. Zusammen mit dem Erlös aus den Zeitungsverkäufen reiche das gerade so, um über die Runden zu kommen.
In seinen Augen gibt es inzwischen auch genug Angebote für Bedürftige in Hamburg, zumindest tagsüber. Während seiner Zeit als Obdachloser habe er solche Anlaufstellen wie den Duschbus oft genutzt.
Nachts und gerade im Winter seien die Angebote jedoch rar: "Ins Winternotprogramm gehe ich nicht mehr, ich war vor ein paar Jahren da und es hat nicht mal eine Woche gedauert, dann war ich schon krank", begründet der Hamburger seine Entscheidung.
"Und trotzdem mussten wir morgens um halb zehn schon wieder raus. Das war der Winter, wo minus 15 Grad waren. Also die Regeln müssen da echt noch geändert werden!" Nicht lange irgendwo bleiben zu dürfen, damit kennt sich der 53-Jährige seit seiner Zeit auf der Straße sehr gut aus.
"Wir hatten damals am Fischmarkt sechs Monate unsere Zelte stehen und dann hatten wir auf einmal ein Schreiben der Stadt drin, dass wir gegen das 'Hamburgische Wegegesetz' verstoßen würden. Und dann ist die Müllabfuhr gekommen und hat alles mitgenommen", so Thomas. Danach seien er und seine drei Bekannten bis nach hinter Finkenwerder mit ihrem Lager gezogen und seien dennoch von der Polizei gefunden worden. Also hieß es wieder: umziehen.
"Ich muss immer in der Nähe von Hamburg wegen meines Verkaufsstandes bleiben, ich kann nicht einfach weg, ich bin darauf angewiesen", betont der St. Pauli-Fan.
Thomas hat sich wortwörtlich auf dem Bau kaputtgearbeitet: "Meine Schulter ist aus Metall!"
Ein Vorgehen der Stadt Hamburg, das der 53-Jährige einfach nicht verstehe. "Warum lassen die uns immer vertreiben? Wir haben immer alles sauber gehalten und niemanden gestört."
Allgemein ist Thomas auf die Politiker der Hansestadt nicht so gut zu sprechen: "Sie haben zum Beispiel viele Sitzbänke so umgebaut, dass man nicht mehr darauf liegen kann, oder Eingangsbereiche mit Metall-Knubbeln ausgestattet, dass man dort nicht mehr liegen kann."
Auch von Ämtern wurde der 53-Jährige, der sich 25 Jahre lang auf dem Bau wortwörtlich kaputtgearbeitet hat, in seinem Leben schon oft enttäuscht.
"Ich habe Arthrose in den Gelenken und darf nichts Schweres mehr heben. Meine rechte Schulter ist komplett aus Metall und mein Knie ist auch kaputt", so der gelernte Metallbearbeiter, der seitdem keinen Job mehr findet. "Als ich dann krank geworden bin, gab es Streit mit der Krankenkasse und dem Arbeitsamt. Keiner wollte zahlen und am Ende bin ich dann auf der Straße gelandet!"
Trotz allem blickt Thomas positiv in die Zukunft und hofft, noch lange "Hinz&Kunzt"-Verkäufer bleiben zu dürfen, irgendwann möchte er sich gerne den Traum eines Lastenfahrrads erfüllen. "Aber dafür muss ich noch sehr viele Zeitungen verkaufen", so Thomas amüsiert.
Titelfoto: Madita Eggers/TAG24