Hohe Auflagen und gewalttätige Angriffe: So geht es einem Bauern mitten in Hamburg
Hamburg - Landwirte demonstrierten in den vergangenen Monaten zu Tausenden mit Traktoren in Städten. Warum? Um das zu verstehen, lohnt sich ein Besuch auf einem Bauernhof in Hamburg.
Der Betrieb von Hans-Joachim und Bärbel Krohn in im Stadtteil Eidelstedt ist allein schon wegen seiner Stadtlage etwas Besonderes: Er grenzt westlich ans Autobahnkreuz Nordwest und liegt nur wenige Straßen und Häuserschluchten vom Eidelstedter Platz unvermittelt in einer grünen Oase: dem Landschaftsschutzgebiet mit dem Bach Kollau am Niendorfer Gehege.
Urkundlich erstmals erwähnt wird der Bauernhof im Jahre 1556. Seitdem ist er im Besitz der Familie. Krohn bewirtschaftet heute 60 Hektar.
Doch die Naturidylle mitten in Hamburg ist auch ein Fluch. "Die immer härteren Umwelt- und Düngeauflagen strangulieren dich auf Dauer", sagt Krohn. 2017 wurde ein Teil seines Landes zum Überschwemmungsgebiet erklärt.
"Ich habe deswegen meinen Viehbestand verkleinert, weil ich die Rinder nicht mehr mit eigenem Futter satt kriege." Seit November 2019 liegt der Hof in einem neu deklarierten Wasserschutzgebiet.
Als weiteren Nachteil der Stadtlage nennt Krohn, dass der Landhandel weggezogen ist und manche Lieferanten nur noch für zusätzlichen Fuhrlohn wegen der Verkehrsstaus kommen.
"Unsere Perspektive sieht nicht sehr gut aus, weil wir hier keine Alternativen haben. Wir sind im Landschaftsschutzgebiet. Wir können kaum was machen, uns sind die Hände gebunden", sagt der 57-Jährige nachdenklich.
Leise fügt er hinzu: "Meine Frau Bärbel und ich, wir haben unseren beiden erwachsenen Töchtern davon abgeraten, den Betrieb später einmal weiterzuführen."
Wirtschaftssenator halb bei Umstrukturierung
Nach dem Krieg gab es Kartoffelanbau, Schweine, eine Bullenmast und Milchkühe auf den Hof. "Wir hatten eine sehr kleine Milchquote", sagt Krohn.
Als örtliche Molkereien Pleite gingen und kein Milchwagen mehr wegen des Autobahndreiecks Nordwest kommen wollte, dachte er ans Aufgeben.
Krohn machte das Fachabitur und begann Technischer Betriebswirt zu studieren - "das habe ich abgebrochen, weil ich merkte, wie soll ich sagen (lacht), das ist Ausbeutung am Menschen".
Der Hamburger Wirtschaftsenator Erhard Rittershaus (Amtszeit 1993-1997) propagierte als Zukunft der Landwirtschaft in der Hansestadt "Freizeit und Naherholung", erinnert sich Krohn.
"Wir uns daher mit Beratung für einen Pferdepensionsbetrieb entschieden." Um die landwirtschaftlichen Flächen voll zu erhalten, gibt es weiterhin Rinder - jedoch Mutterkühe statt Milchkühe.
Aber der Umstieg war dornig: "Wir haben dreieinhalb Jahre gebraucht, um die Reithalle und den Pferdestall genehmigt zu bekommen, weil der Bezirk sich gewehrt hat." Nur durch Rittershaus, der sich beim Wort genommen gefühlt habe, sei das über den Senat genehmigt worden.
Kreislaufwirtschaft ist ein landwirtschaftlicher Grundsatz von Krohn. Er bewirtschaftet den Hof seit 1985. Rinder-Gülle landet als Dünger auf den Pferdeweiden, der strohige Pferdemist wird untergepflügt auf den Ackerflächen für Mais. Dieser dient als Futter für die Rinder.
Neue Regeln für Gülle und Pferdemist sind problematisch
Doch dieses Konzept ist durch immer schärfere Auflagen gefährdet: Die im Frühjahr geplante Novellierung der Düngeverordnung würde bedeuten, dass Krohn zwischen 15. September und 31. Januar keine Gülle und keinen Pferdemist ausbringen darf.
Es bliebe nur noch ein sehr kleines Zeitfenster ab dem 1. Februar. Dabei müssen zulässige Witterungsverhältnisse herrschen: Das Gülle-Ausbringen ist bei gefrorenem, schneebedeckten oder wassergesättigten Boden untersagt.
Ein Befuhrverbot soll Bodenverdichtung vermeiden und die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Wird aber Gülle oder Pferdemist zu spät ausgebracht, sind die für die Pflanzen notwendigen Nährstoffe nicht verfügbar.
Außerdem leidet die Qualität des Heus oder der Heulage. Das ist für Krohn "auch eine Frage des Tierwohls".
Wegen des Status als Wasserschutzgebiet könnte eine zweite Pferdemistplatte nötig werden - Kostenpunkt etwa 140.000 Euro. Die Behörden hätten ihm jetzt drei Jahre nach seiner Anfrage in Aussicht gestellt, alternativ auf einem Feld mit einer Plane den Mist zu lagern, wie er dies unter Fachaufsicht bereits erfolgreich testete.
Vielfalt, kurze Wege, viel selber machen - "nachhaltige Landwirtschaft ist mir wichtig", sagt Krohn. Nur Stroh, Kraftfutter und Mineraldünger kauft er zu. Auf der Reithalle hat er Fotovoltaikpaneele für Ökostrom - "ein weiteres kleines Standbein".
Landwirt baut Futter-Pflanze für Tierpark Hagenbeck an
Für den nur fünf Kilometer entfernten Tierpark Hagenbeck baut Krohn Luzerne an. Sie gehören zur Pflanzenfamilie der Leguminosen (Stickstoffsammler). Der Anbau könnte durch neue Auflagen beendet werden.
"Wir dürfen wegen des Status als Wasserschutzgebiet keine reinen Leguminosen mehr anbauen." Ohne Leguminosen wie Klee könnte kein Biolandwirt Pflanzenbau nachhaltig betreiben.
Leguminosen könnten, wie Krohn weiter erklärt, mittelbar zu höheren Nitratwerten im Boden führen. Also müsste der Bauer den Luzerne-Anbau mischen mit Grasanbau.
"Hagenbeck will aber möglichst reine Luzerne..." Der Tierpark lässt bei Krohn zudem frisches Gras schneiden, das buchstäblich taufrisch zu Hagenbeck kommt.
Hauptstandbein ist aber der Pferdepensionsbetrieb mit etwa 30 Tieren. Durch die Deklarierung als Überschwemmungsgebiet und das Aufstauen der Kollau sind einige Weideflächen feuchter und es gibt mehr Zecken und Mücken.
Pferde leiden unter Insekten, durch feuchte oder morastige Weiden steigt die Mauke-Gefahr.
Weiteres Standbein sind 46 Rinder, darunter 15 Mutterkühe. Deren männliche Kälber veräußert Krohn zur weiteren Aufzucht weiter nach Hamburg-Curslack.
Das Schlachtvieh lässt Krohn wegen der kurzen Wege im Nachbarstadtteil Stellingen in einer Schlachterei schlachten.
Acker muss regelmäßig umgebrochen werden
Das Grünland-Umbruchverbot betrachtet Krohn als weiteres Hemmnis. Flächen, die Acker-Status haben, werden automatisch zu Grünland, wenn auf den Ackerflächen fünf Jahre Gras angebaut und der Boden nicht umgebrochen wurde.
"Dann darfst du das Land nicht mehr umbrechen, um beispielsweise Mais anzubauen. Dann ist es Grünland für immer." Denn durch Umbruch werde Nitrat durch Auswaschung freigesetzt und könnte ins Grundwasser gelangen.
"Deswegen bauen wir ja Ackergras an, weil es ein höheres Ertragspotenzial hat. Wir müssen das alle ein bis zwei Jahre erneuern und damit behalten wir den Ackerstatus. Und wir können so den Mist gezielt und effektiv nutzen."
"Der integrierte Pflanzenbau ist mir sehr wichtig", sagt Krohn. "Ich habe keine eigene Pflanzenschutzspritze. Ich will auch gar keine haben."
Beim Maisanbau versuche er so gut wie möglich die Pflanzen mechanisch von Unkraut zu befreien, also zu striegeln. "Bisher haben wir es geschafft, mit der Hälfte oder auch nur einem Drittel der Menge Pflanzenschutzmittel auszukommen. Um eine Spritzung kommen wir aber nicht herum."
Die Gründe: Der Nachbar betreibt eine andere Landwirtschaft, und von den extensiv oder gar nicht bewirtschafteten Ausgleichsflächen für die Autobahn kommen viele Unkrautsamen.
Aggressive Stimmung und Angriffe gegen Landwirte
Probleme bereitet Krohn, mit welcher Aggressivität manche gegenüber Landwirten auftreten. "Es kommt keiner mehr zum Spritzen, weil die Angst haben vor den Menschen. Und der, der den Mais spritzt, kommt nachts - dank GPS ist das möglich. Der letzte ist mir abgehauen, der hatte die Faxen dicke – so angepöbelt zu werden."
Krohn selber erlebte, dass ihm Leute bei Frost die Stalltüren aufrissen, um die Tierhaltung zu überprüfen. Als er Knickpflanzen - selbstgezogene Buchen - umpflanzen wollte, wurde er tätlich angegriffen.
Ein Mann ließ über dem Pferdestall und der Reithalle eine Drohne steigen, die Fluchttiere seien in Panik geraten. Weil er den Mann zur Rede stellte, zeigte ihn dieser wegen Nötigung an.
"Man muss einfach anders miteinander umgehen", sagt Krohn. Und: "Ich habe den Wunsch, dass die Politik irgendwas macht, dass wir hier eine Existenz haben."
Als Hauptproblem für die Landwirtschaft in Hamburg nennt Bauernverbands-Geschäftsführer Carsten Bargmann das Flächenproblem. Wohnungsbau, Gewerbe und Industrie bedeuteten hohen Verdrängungsdruck. Nötig seien bessere Ausgleichsregelungen für wegfallende Pachtflächen.
"Gerade in Zeiten des Klimawandels ist die regionale Landwirtschaft die Antwort. Wir sind Teil der Lösung des Problems - oder wollen wir weiterhin Fleisch und Gemüse etwa aus Südamerika oder China?"
Anzahl der Bauernhöfe sank in den vergangenen Jahren
"Selbstverständlich hat die Agrarwirtschaft in Hamburg eine Zukunft", versichert die Sprecherin der zuständigen Wirtschaftsbehörde, Susanne Meinecke.
Sie verweist auf das "Agrarpolitische Konzept 2025" des Senats. Ziel ist es, in Kooperation mit Niedersachsen und Bremen wieder vollständig in das europäische Fördersystem einzusteigen, um größere finanzielle Förderspielräume zurückzugewinnen.
Das Konzept setzt auf eine "urbane, innovative und nachhaltige Hamburger Agrarwirtschaft".
Es will die Bereiche Tierwohl, Klimaschutz und Biodiversität enger verzahnen, landwirtschaftliche Flächen für Agrarbetriebe sichern, den Öko-Anbau forcieren, die regionale Vermarktung stärken und Hamburg als Bio-Stadt voranbringen.
Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Hamburg ist nach Senatsangaben seit 2010 von 776 auf 625 (Stand 2016) gesunken. Laut Wirtschaftsbehörde gibt es ein paar Milchbetriebe und einen einzigen Schweinebetrieb.
Das Besondere der Landwirtschaft in der Millionenstadt sei die Vielfalt, betont Bargmann und verweist auf Gemüse- und Obstanbau, Gärtnereien und Pferdehöfe.
Bauern streiten sich mit grünem Umweltsenator
Die verschärfte Düngeverordnung bedeutet aus Sicht der Hamburger Bauern praktisch nicht mehr erfüllbare Auflagen.
In einem Brief wandten sie sich jüngst an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), im Bundesrat gegen die geplante Novelle der Düngeverordnung zu stimmen.
Buhrufe und Pfiffe zog sich Kerstan im November vor 5000 demonstrierenden Bauern aus ganz Deutschland - unter ihnen auch Krohn - in Hamburg während der Umweltministerkonferenz zu: Er machte die Landwirte dafür mitverantwortlich, dass die Stadt aus dem Umland Grundwasser als Trinkwasser holen müsse, weil Hamburger Wasser teilweise nicht verwendet werden könne.
Der Bauernverband konterte, dass es nach Angaben von Hamburg Wasser überhaupt kein Problem mit Nitrat, Rückständen von Pflanzenschutzmitteln oder Stickoxiden gebe.
Dies hätte der Senator als Aufsichtsratsmitglied von Hamburg Wasser wissen müssen, sagte Bargmann.
Titelfoto: Daniel Bockwoldt/dpa