Gedenktafel macht Schicksal zahlreicher Prostituierter in der NS-Zeit sichtbar

Hamburg - Ein Gedenkbordstein vor der Herbertstraße auf St. Pauli erinnert erstmals an das Schicksal der in der berühmten Hamburger Bordellgasse arbeitenden Frauen während der Nazizeit.

Sieghard Wilm, Pastor der St. Pauli-Kirche, steht vor der Enthüllung eines Kantsteins mit Gedenkplatte vor dem Eingang zur Herbertstraße an der Reeperbahn.
Sieghard Wilm, Pastor der St. Pauli-Kirche, steht vor der Enthüllung eines Kantsteins mit Gedenkplatte vor dem Eingang zur Herbertstraße an der Reeperbahn.  © Christian Charisius/dpa

Viele tausend Touristen nutzten die eisernen Tore, die den Blick auf die Gasse versperren, als Motiv für Selfies, sagte Initiator und St. Pauli-Kirchen-Pastor Sieghard Wilm (59) bei der Enthüllung des Messing-Kantsteins an der Ecke Herbert- und Davidstraße.

Aber kaum jemand wisse, dass sie 1933 auf Befehl der NS-Gauleitung errichtet wurden.

"Es entspricht der zynischen und menschenverachtenden Politik des Nationalsozialismus, die Prostitution nicht verboten zu haben, sondern sie kaserniert zu haben", sagte er.

Hamburg: "Christmas Garden" geht in die zweite Saison: Das ist alles neu
Hamburg "Christmas Garden" geht in die zweite Saison: Das ist alles neu

Bei der Feier zum 100. Geburtstag der Herbertstraße vor zwei Jahren sei ihm die Idee gekommen: "Es kann doch nicht sein, dass wir so viele Jahre nach Kriegsende keine Informationstafel oder irgendetwas haben, das darauf hinweist, dass diese Sichtblenden und diese Idee der kasernierten Prostitution von den Nationalsozialisten geschaffen wurden", sagte Wilm.

Millionen von Touristen seien bislang nicht informiert worden. Realisiert wurde der Gedenkkantstein mit der Inschrift "Entrechtet - Ausgegrenzt - Ermordet" jetzt mithilfe des Vereins "Lebendiges Kulturerbe St. Pauli" und mit Unterstützung des Bezirks Hamburg-Mitte.

Die Gedenkplatte liegt nach der Enthüllung vor dem Eingang zur Herbertstraße an der Reeperbahn. Die geprägte Bordsteinkante zum Gedenken an die Sexarbeiterinnen zur NS-Zeit wurde durch die Initiative "Lebendiges Kulturerbe St. Pauli e.V." und "St. Pauli Kirche" ermöglicht und verlegt.
Die Gedenkplatte liegt nach der Enthüllung vor dem Eingang zur Herbertstraße an der Reeperbahn. Die geprägte Bordsteinkante zum Gedenken an die Sexarbeiterinnen zur NS-Zeit wurde durch die Initiative "Lebendiges Kulturerbe St. Pauli e.V." und "St. Pauli Kirche" ermöglicht und verlegt.  © Christian Charisius/dpa

Prostituierte wurden von Nazis zwangssterilisiert und in KZs inhaftiert

Julia Staron, Quartiermanagerin IG St. Pauli und Vorständin lebendiges Kulturerbe St. Pauli, und Ralf Neubauer (SPD, r), Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, bei der Enthüllung der Gedenkplatte am Freitag.
Julia Staron, Quartiermanagerin IG St. Pauli und Vorständin lebendiges Kulturerbe St. Pauli, und Ralf Neubauer (SPD, r), Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, bei der Enthüllung der Gedenkplatte am Freitag.  © Christian Charisius/dpa

"Was noch weniger bekannt ist, sind die Schicksale, die die Frauen, die Sexarbeiterinnen aus der Herbertstraße, zur NS-Zeit erlitten haben", sagte Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (42, SPD).

"Viele kamen ins KZ nach Neuengamme, nach Ravensbrück, wurden zwangssterilisiert, sind gestorben, sind gebrochen aus dem Krieg gekommen." Hier müsse weiter aufgeklärt werden.

Der Stein solle Anstoß bieten - auch für die historische Aufarbeitung, sagte Kulturleben-Vereinsvorstand Julia Staron.

Hamburg: Schreie und "gehäutete" Person auf der Mönckebergstraße
Hamburg Schreie und "gehäutete" Person auf der Mönckebergstraße

"Dieser Stein des Anstoßes bezeichnet nämlich nicht das Ende der Forschung und der Aufklärung, sondern den Anfang. Wir wollen, dass diese Debatte lebendig bleibt."

Internetseite informiert über das Schicksal der Sexarbeiterinnen

Ein QR-Code auf der Gedenktafel führt zu einer Internetseite mit Informationen zur Geschichte der Herbertstraße. Hier sollen auch alle neuen Erkenntnisse über die Schicksale der Frauen veröffentlicht werden. Finanziert werden soll die weitere Aufarbeitung durch eine Crowdfunding-Aktion.

Die Historikerin Eva Decker, die zur Geschichte St. Paulis forscht, verwies darauf, dass die Stigmatisierung und Ausgrenzung der Prostituierten nicht erst mit der Nazi-Herrschaft begonnen habe, "und auch mit Kriegsende noch lange keine Stopp-Taste hatte".

Titelfoto: Christian Charisius/dpa

Mehr zum Thema Hamburg: