Straftaten verjähren! Krawallmacher vom G20-Gipfel können aufatmen
Hamburg - Ein Ereignis, das alle aufgewühlt und Spuren hinterlassen hat: So beschreibt Hamburgs Innensenator Andy Grote (54, SPD) die Ausschreitungen während des G20-Gipfels vor fünf Jahren in der Hansestadt.
Im Juli 2017 hatten Zehntausende Menschen gegen das Staats- und Regierungstreffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer protestiert. Dabei war es über mehrere Tage zu massiven Ausschreitungen gekommen.
Das mit 31.000 Beamten "größte Polizeiaufgebot seit Bestehen der Bundesrepublik" hatte die Krawalle nicht verhindern können, wie ein Sonderausschuss der Bürgerschaft 2018 feststellte.
Linksradikale Randalierer zündeten zahlreiche Autos und mehrere Gebäude an, attackierten Polizisten und plünderten Geschäfte. Mehr als 600 Polizeibeamte seien verletzt worden, sagte Grote kürzlich in einer Parlamentsdebatte.
Die große Mehrheit der Hamburger habe danach eine sehr klare Erwartung gehabt: "Nämlich diejenigen, die unsere Stadt verwüstet haben, mit Gewalt überzogen haben, sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden."
Die polizeiliche Ermittlungsgruppe "Schwarzer Block" leitete über 3500 Verfahren ein, mehr als 950 gingen an die Staatsanwaltschaft. Die Gerichte sprachen 246 Urteile, wie der Senat kürzlich auf eine Große Anfrage der Linksfraktion der Bürgerschaft mitteilte. Zurzeit seien noch rund 30 Anklagen beim Amtsgericht anhängig, sagte ein Gerichtssprecher.
Fast 200 G20-Gegner griffen Polizeikräfte mit Steinen und Pyrotechnik an
Am Landgericht werden sich voraussichtlich 72 Angeschuldigte in acht Prozessen verantworten müssen. Dabei geht es um eine Auseinandersetzung in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld.
Am Morgen des 7. Juli 2017 hatten sich laut Staatsanwaltschaft 150 bis 200 G20-Gegner aus einem Camp am Volkspark auf den Weg in die Innenstadt gemacht. Einheitlich dunkel gekleidet formierten sie sich zu einem Aufmarsch und bewaffneten sich mit Steinen aus einer Baustelle und mit Pyrotechnik. Sie beschädigten eine Bushaltestelle und bewarfen eine Polizeieinheit aus Schleswig-Holstein mit Steinen. Schließlich wurde der Aufmarsch im Rondenbarg von der Bundespolizei gestoppt.
Mindestens 14 Gipfel-Gegner erlitten teilweise schwere Verletzungen, als sie versuchten, über ein Geländer zu fliehen. Ein Prozess gegen fünf zur Tatzeit Jugendliche hatte im Dezember 2020 begonnen, war dann aber wegen der Corona-Pandemie abgebrochen worden.
Inzwischen haben andere Verfahren für das Landgericht Priorität. Im Zusammenhang mit der Entschlüsselung des Encrochat-Textnachrichtendienstes sind zahlreiche Verfahren wegen Drogen- und Gewaltdelikten ins Rollen gekommen. Sofern die Beschuldigten in Untersuchungshaft sitzen, müssen ihre Prozesse beschleunigt geführt werden.
Geringe Straftaten verjähren zum fünften Jahrestag des G20-Gipfels
Das jahrelange Warten auf einen Prozess sei für alle Beteiligten sehr unbefriedigend, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen. Es sei für die Beweiserhebung ungünstig, aber auch für die Angeschuldigten keine wünschenswerte Situation.
Der fünfte Jahrestag des G20-Gipfels könnte für einen Teil der unerkannten Gewalttäter eine Erleichterung bedeuten. Sofern sie nur geringere Straftaten wie Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte oder Körperverletzung begangen haben, verjähren diese nach fünf Jahren.
Das gelte allerdings nicht für Delikte wie schweren Landfriedensbruch und gefährliche oder gemeinschaftliche Körperverletzung, betonte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Liddy Oechtering. Zurzeit seien noch vier Strafverfahren gegen bekannte und weitere zwölf gegen unbekannte Beschuldigte offen.
Auch der Streit um die Einschränkungen des Versammlungsrechts geht weiter. In zwei Fällen hat das Verwaltungsgericht zugunsten der G20-Gegner entschieden. Die Urteile sind jedoch nicht rechtskräftig, wie der Senat mitteilte. Anfang 2022 hatte sich das Gericht mit anderen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit befassen müssen: Erfolglos klagten Gegner der Corona-Maßnahmen gegen Demonstrationsverbote.
Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel warnte vor Aufrüstungsspirale
Nicht nur die Corona-Verordnungen lassen die Debatten um den G20-Gipfel in einem anderen Licht erscheinen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gilt eine Zeitenwende, die der ehemalige Hamburger Bürgermeister und jetzige Kanzler Olaf Scholz (SPD) proklamiert hat. Aufrüstung, Nato-Erweiterung und Schulterschluss mit den USA lauten die neuen Ziele der Bundesregierung.
Vor dem G20-Gipfel von 2017 hatte der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) in Hamburg vor einer Aufrüstungsspirale gewarnt und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Abschottungspolitik von US-Präsident Donald Trump kritisiert.
Der Hamburger Rapper Samy Deluxe reimte: "Ich will keinen Stress, ich bin Pazifist. Ich will nur, dass Donald Trump sich schnell aus meiner Stadt verpisst." Ein Reim zur angekündigten Teilnahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin am nächsten G20-Gipfel im November in Indonesien fehlt noch.
Erstmeldung, 2. Juli, 8.10 Uhr; Update, 2. Juli, 8.54 Uhr
Titelfoto: Markus Scholz/dpa