Amoklauf in Hamburg: Philipp F. (†35) hielt sich offenbar für "auserwählt"
Hamburg - Am 9. März tötete Philipp F. (35) bei einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg sieben Menschen und anschließend sich selbst - er hielt sich offenbar für "auserwählt" von Gott. Das legen gemeinsame Recherchen des "funk"-Formats "STRG_F" und t-online nahe.
Demnach habe ein psychiatrisches Gutachten, das nach dem Amoklauf von den ermittelnden Behörden in Auftrag gegeben wurde und "STRG_F" vorliegt, ergeben, dass der Schütze offenbar unter einer Persönlichkeitsstörung "mit narzisstischen Anteilen" litt.
Das Gutachten basiere dabei auf der Analyse des Buches, das F. kurz vor der Tat veröffentlicht hatte. Noch unklar sei, ob er auch an einer Form der Schizophrenie litt, mit der möglicherweise Wahnvorstellungen und Halluzinationen einhergingen.
Weiteren Aufschluss über seinen psychischen Zustand könnte nun ein Interview mit einer Sexarbeiterin geben, zu der F. offenbar ging, und der er sein Buch gewidmet haben könnte. Große Teile des Buches handelten demnach, neben religiösen Abhandlungen, von Prostitution.
Konkret beschreibe F. in dem Buch seine Vorstellungen, wie Religiosität und Prostitution in Einklang gebracht werden könnten. So erlaube Gott nur Männern von "hohem Rang" den Sex mit einer Prostituierten und man gehöre nur zu den "Auserwählten", wenn die Sexarbeiterin den Besuch auch genieße.
Vor diesem Hintergrund konnte "STRG_F" eine Sexarbeiterin ausfindig machen, die nach eigener Aussage dreimal von F. in einem Hamburger Bordell besucht wurde. Im Interview erklärte die Frau, dass es dem Amokläufer sehr wichtig gewesen sei, dass sie auch "Spaß habe".
Reportage von "STRG_F" zum Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Hamburg
Philipp F. schrieb in seinem Buch, dass Gott ihm eine Mission gegeben habe
Der Verdacht, dass sich F. als "Auserwählter" sah, sei durch eine ausführliche Analyse des Buches erhärtet worden. So ende das Buch mit einem lateinischen Text, der übersetzt hieße: "Ich kam, ich sah, ich kämpfte, ich leistete Widerstand, ich kämpfte, ich siegte. Ich bin Geschichte geworden. Ich bin der große Sohn der Himmel."
Laut Walther Ludwig, Professor für Lateinische Philologie, sei der Plural "Himmel" dabei besonders interessant, da sich dahinter vermutlich eine Anspielung auf das Matthäus-Evangelium verstecke, in dem sich Jesus selbst als Sohn des "Vaters, der in den Himmeln ist", bezeichne. Laut Ludwig mache sich F. damit zum "Bruder von Jesus".
Darüber hinaus schreibe F. in dem Buch an anderer Stelle, dass Gott sich ihm gezeigt habe und ihm eine "Mission" gegeben habe, "um die Lügen der Religionen offenzulegen und die Wahrheit ans Licht zu bringen". Zudem habe ihm eine Stimme zugeflüstert.
Gegenüber "STRG_F" erklärte ein naher Verwandter von F. zudem, dass die Familie Veränderungen bei dem späteren Amokläufer festgestellt und ihn gebeten habe, sich Hilfe zu holen - der habe das aber nicht wahrhaben wollen.
Das Gutachten komme abschließend zu dem Schluss, dass - sollte tatsächlich eine Schizophrenie vorgelegen haben - sich daraus "eine grundsätzliche Gefährlichkeit ableiten" ließe.
Titelfoto: Jonas Walzberg/dpa