"Invasion der Sexindustrie": Wie Pornos und Sexshops die DDR überfluteten
Leipzig - Sexshops, Porno-Videotheken und Co. erlebten schon vor der Wende einen regelrechten Boom in Deutschland. Und in der DDR nach dem Mauerfall? Ob die Ostdeutschen wirklich so prüde waren, wie das sozialistische Regime es gern gehabt hätte, verrät der erste Teil der MDR-Dokumentation "Sexshop DDR – Wildwest nach der Wende".
"Dong, dong, dong ... Es rappelt im Karton ..." Wer kennt sie nicht, die Werbung des Onlineshops für Sexspielzeug EIS.de, die, genauso wie der Amorelie-Spot, tagtäglich über die Bildschirme flimmert.
Heute ist das für viele Menschen gar nichts Besonderes mehr. Denken wir aber rund 30 Jahre zurück, war die Berliner Mauer gleichzeitig so etwas wie ein "antipornografischer Schutzwall". Sexshops und Porno-Videotheken waren damals undenkbar.
Doch als die Mauer im Jahr 1989 fiel, sollte sich das schlagartig ändern. Schon wenige Monate danach sahen westdeutsche Unternehmer wie Beate Uhse (†81) die Möglichkeit, von der Neugier und dem Nachholbedarf der Ostdeutschen zu profitieren und versorgten sie mit kostenlosen Katalogen.
Das Geschäft sollte sich lohnen, denn zwischen Januar und Mai 1990 konnte der 1962 gegründete und weltweit erste Sexshop 80.000 neue Kundenanschriften hinzugewinnen.
Viele nutzten auch die plötzliche Reisefreiheit und statteten der berühmten Hamburger Reeperbahn und der Herbertstraße einen Besuch ab. Eine "Invasion in die Kultstätten der westdeutschen Sexindustrie" hatte begonnen.
So manch einer kam mit seinem Begrüßungsgeld von 100 D-Mark in die Hansestadt, um eine Waschmaschine zu kaufen und fuhr mit leeren Taschen, aber auch ohne Waschmaschine nach Hause zurück, erzählt eine damalige Prostituierte. Viel zu verlockend waren die neuen Eindrücke.
Videotheken mit versteckten Pornoregalen eröffneten massenweise
Natürlich wollte auch der Playboy ins Ostgeschäft einsteigen und schon in der Januarausgabe 1990 erschien mit der Magdeburger Zahnarzthelferin Anja Kossak das erste Playmate der DDR auf der Titelseite des Magazins.
Für die damals 21-Jährige war nicht nur das Fotoshooting in aller Öffentlichkeit eine neue Erfahrung, sondern auch die mediale Aufmerksamkeit. "Das war schon eine Umstellung, plötzlich so im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen."
Zwar schlug ihr auch Ablehnung entgegen, und manche Menschen machten sie mitverantwortlich für den moralischen Verfall der DDR, dennoch hielt sie selbst die DDR-Bürger für weniger spießig als die der Bundesrepublik.
Die ehemalige Pornodarstellerin Dolly Buster (51), die damals schnell viele Fans in der DDR gewinnen konnte, geht noch einen Schritt weiter: "Ich würde behaupten, dass die Frauen aus dem Osten deutlich emanzipierter waren", was für sie aber normal gewesen sei. Zu dieser Zeit kauften auch wesentlich mehr Frauen in Sexshops ein als im Westen.
Obwohl es anfangs schwer war, eigene Ideen rund um das Geschäft mit Sex und Erotik anzukurbeln, eröffneten ab 1990 nach und nach Videotheken im Osten Deutschlands, die auch, diskret im hinteren Teil des Ladens, Pornofilme anboten.
Potenzielle Kunden gaben freimütig zu, dass sie ein Recht auf das hatten, was ihnen 40 Jahre lang vorenthalten wurde.
FKK war für DDR-Bürger das Normalste der Welt
Doch die Händler standen zu Beginn oft noch vor einem viel größeren Problem, denn die innerdeutsche Grenze bestand auf dem Papier noch.
Trotz nicht mehr allzu strenger Kontrollen war nach den Zollgesetzen der DDR die Einfuhr von Pornografie verboten. Es blieb daher nur zu hoffen, dass einzuführende Ware nicht genauer überprüft wurde.
Kein Wunder also, dass immer mehr Amateurpornos produziert wurden. So begann beispielsweise schon bald die Reihe "Intimes aus der DDR", in der Produzent Michael Schey alias Harry S. Morgan (†65) mit freizügigen Paaren aus Ostdeutschland diverse Sexstreifen drehte.
Wenige Tage nach der Währungs- und Sozialunion im Juli 1990 eröffnete in der Reginenstraße im Leipziger Stadtteil Gohlis der allererste Sexshop der DDR.
Trotz großen Andranges stieß diese "Sexwelle" nicht bei jedem auf Gegenliebe. "Der wilde Westen, der sich momentan hier durchsetzt, in Form eines wilden Ostens, ist katastrophal", sagte ein Teilnehmer einer Demonstration gegen die Eröffnung. Man müsse versuchen, solche Läden und Angebote zu verhindern.
Dennoch waren Pornografie, Sex und vor allem Nacktsein für viele DDR-Bürger kein Problem. So war die Freikörperkultur (FKK) im sozialistischen Staat seit den 70er-Jahren weit verbreitet, und eher die Westdeutschen störten sich bei Urlauben an der Ostsee an dieser "schrecklichen, scheußlichen" Sitte.
Was ehemalige DDR-Bürger damals erlebt haben und welche Schattenseiten das neue Sexgeschäft mit sich brachte, seht Ihr in der zweiteiligen Doku "Sexshop DDR – Wildwest nach der Wende" in der MDR-Mediathek.
Titelfoto: Bildmontage / Screenshots/MDR-Mediathek