"Die Verteidigung der Kindheit": Als Martin Walser über Dresden schrieb

Dresden - Martin Walser war einer der prominentesten deutschen Schriftsteller, bewundert wie umstritten. Am vergangenen Freitag starb er im Alter von 96 Jahren. Unter den vielen Romanen, die er während 70 Jahren schrieb, gibt es einen, der Dresden besonders nah ist.

Martin Walser (†96) 2003 bei einem Dresden-Besuch vorm Hotel Kempinski.
Martin Walser (†96) 2003 bei einem Dresden-Besuch vorm Hotel Kempinski.  © DPA

Stirbt ein berühmter Autor, rücken seine Bücher stärker in den Blick. Die Verlage werfen die Druckpressen an, um Nachauflagen auf den Markt zu bringen. Der Tod ist immer auch Geschäft, was nicht so unanständig ist, wie es klingt, denn worin lebt ein Autor fort, wenn nicht in seinen Büchern, die gekauft und gelesen werden wollen.

Viele Walser-Bücher haben Karriere gemacht, etwa "Ein fliehendes Pferd", "Ein springender Brunnen" oder "Tod eines Kritikers". Dazu gehört "Die Verteidigung der Kindheit" von 1991, Walsers Dresden-Buch und einer der ersten Romane, die sich nach der Wiedervereinigung mit der deutsch-deutschen Geschichte beschäftigten.

Nicht von eigenem Erleben geht der Autor in dem biografischen Roman aus, Vorbild seines Helden Alfred Dorn ist der Dresdner Manfred Ranft (1929-1987), der während des Bombenangriffs auf Dresden nicht nur seine Großeltern verlor, sondern auch sämtliche Erinnerungsstücke an die Kindheit. Später studierte er in Leipzig, ging nach Berlin und schließlich nach Wiesbaden, reiste aber immer wieder nach Dresden, um der Mutter nah zu sein, die ihm Ein und Alles war.

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Fieberhaft versuchte Ranft und versucht Dorn im Buch, durch Sammeln von Fotos und Dokumenten die persönliche Vergangenheit zu rekonstruieren - auf der Suche nach der verlorenen Kinderzeit. Als die Mutter stirbt, verliert Dorn den Lebensinhalt, er stirbt an einer Überdosis Schlaftabletten.

Das Dresden Buch in der Erstausgabe von 1991.
Das Dresden Buch in der Erstausgabe von 1991.  © -

Martin Walser: Noch vor dem Mauerfall kam er nach Dresden

Walser reiste während der Recherchen zum Buch häufig nach Dresden. Angetragen worden war ihm der Stoff, wie er berichtete, 1988, als zwei alte Damen bei ihm klingelten und ihm von Dresden erzählten und von Manfred Ranft. Die Erzählungen elektrisierten ihn, er erwarb Ranfts Nachlass. Er sei noch vor dem Mauerfall nach Dresden gefahren und habe alle möglichen Leute, die mit Ranft zu tun hatten, aufgesucht, sagte er in einem Interview mit der "Zeit".

Von der Familie habe niemand mehr gelebt, "nur eine Tante, die habe ich dann auch aufgesucht. In Dresden bin ich auch all die Wege von Manfred Ranft abgegangen. Ich habe damals eine Liebesmühe verwendet, die mir heute selbst kaum mehr vorstellbar ist. Ich wollte eben eine vollkommene Vertrautheit mit allem."

"Die Verteidigung der Kindheit" gehört, wie Kurt Vonneguts "Schlachthof 5" oder Harry Mulischs "Das steinerne Brautbett", zu den relevanten literarischen Zeugnissen, die Dresdens Geschichte in und nach dem Krieg reflektieren. Das Militärhistorische Museum widmete diesem Thema 2015 die Ausstellung "Schlachthof 5 – Dresdens Zerstörung in literarischen Zeugnissen".

Martin Walser hat sich eingeschrieben in die Dresdner Stadtgeschichte.

Titelfoto: Montage: dpa/-

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