Ukraine-Hilfe auf Russisch: Netzwerk in Dresden hilft Kriegsflüchtlingen

Dresden - Der 24. Februar 2022 bleibt Maxim Andreev vermutlich für immer im Gedächtnis. "Dieser Tag war für mich eine Katastrophe."

Der in Dresden lebende Russe Maxim Andreev (34) engagiert sich in einem Netzwerk, das Flüchtlingen aus der Ukraine hilft.
Der in Dresden lebende Russe Maxim Andreev (34) engagiert sich in einem Netzwerk, das Flüchtlingen aus der Ukraine hilft.  © Matthias Rietschel/dpa-Zentralbild/dpa

Der Maschinenbau-Ingenieur aus Moskau, der in einer Dresdner Software-Firma arbeitet, hat manches geahnt, aber einen brutalen Generalangriff seines Heimatlandes auf die Ukraine nicht für möglich gehalten.

"In der ersten Woche nach Kriegsbeginn war ich wie gelähmt und konnte gar nichts machen. Das war emotional unerträglich", sagt der 34-Jährige. Er habe den ganzen Tag nur Nachrichten gelesen - doch dann nur noch ein Bedürfnis gespürt: "Ich wollte unbedingt helfen."

Ähnlich beschreibt Valeria Krieghoff ihre Gefühle. Die 30-Jährige war mit ihrer Familie vor 17 Jahren aus der Stadt Nikolajew im Süden der Ukraine nach Deutschland gekommen. "Ich bin in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Russland nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg nie Krieg führen wird", sagt die Lehrerin an einer Berufsschule.

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Sie habe das Verhalten des russischen Präsidenten Wladimir Putins (69) im Vorfeld zwar als Drohung empfunden, aber nicht an einen massiven Angriff geglaubt. Doch dann sei sie von der Wirklichkeit eingeholt worden.

"Wir sehen uns als praktische Helfer"

Ein Netzwerk aus Ukrainern, Russen, Kasachen, Belarussen, Tschetschenen, Georgiern und Deutschen hilft den ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine.
Ein Netzwerk aus Ukrainern, Russen, Kasachen, Belarussen, Tschetschenen, Georgiern und Deutschen hilft den ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine.  © Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa

Krieghoff und Andreev gehören einem Netzwerk an, das sich in Dresden um Flüchtlinge kümmert. Im ukrainischen Telegram-Kanal sah Andreev, dass am Bahnhof Dresden Dolmetscher für eintreffende Flüchtlinge gebraucht werden.

Anfangs sei es vor allem darum gegangen, deren Weiterreise zu organisieren oder ihnen bei der Wohnungssuche zu helfen. Vor allem mit Ukrainern, aber auch mit anderen Russen, Kasachen, Belarussen, Tschetschenen, Georgiern und Deutschen baute er ein Netzwerk der Hilfe auf. Es umfasst inzwischen mehr als 300 Leute. Andreev spricht von einer "spontanen Selbstorganisation".

"Wir sehen uns nicht nur als Dolmetscher, sondern als praktische Helfer im weiteren Sinne. Manchmal sind wir auch so etwas wie Sozialarbeiter", sagt Andreev.

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Auch Krieghoff sieht die Netzwerker als "Ansprechpartner für alles". Vordergründig stellen sie die Verbindung zwischen Flüchtlingen und Hilfsorganisationen oder städtischen Behörden her. Ein Russe aus Omsk habe im Ankunftszentrum beispielsweise Vorlesungen gehalten, auf welchen Wegen man in Dresden an eine Wohnung kommt und welche Hilfe es vom Sozialamt gibt.

"Fast keiner hat nach der Nationalität gefragt. Anfangs hatte ich Angst, von Ukrainern als Feind betrachtet zu werden. Aber das war unbegründet. Als die Leute erfuhren, dass ich aus Moskau bin, habe ich keine negativen Reaktionen gespürt", sagt Andreev.

Ganz anders seien da bereits vor dem Krieg Gespräche in seinem Familienkreis gelaufen. Manche hätten ihn wegen seiner kritischen Haltung gegenüber Putin für einen Verräter gehalten. "Selbst bei meiner Mutter war das so. Als der Krieg ausbrach, war aber auch sie erschüttert."

Der Ukraine-Krieg entzweit Familien auch in Russland

Viktor, der aus Bela Tserkva, rund 80 Kilometer südwestlich von Kiew, geflüchtet ist, sitzt neben seinem Rollstuhl in der Turnhalle des Gymnasiums Bürgerwiese, die derzeit als Notunterkunft für geflüchtete Menschen aus der Ukraine genutzt wird.
Viktor, der aus Bela Tserkva, rund 80 Kilometer südwestlich von Kiew, geflüchtet ist, sitzt neben seinem Rollstuhl in der Turnhalle des Gymnasiums Bürgerwiese, die derzeit als Notunterkunft für geflüchtete Menschen aus der Ukraine genutzt wird.  © Robert Michael/dpa

Wenn Maxim Andreev über Putin spricht, findet er klare Worte. Spätestens seit der Annexion der Krim sei ihm klar gewesen, dass sich Russland auf einem völlig falschen Kurs befindet. Bis dahin habe er noch auf eine positive Entwicklung in der Heimat geglaubt, wenngleich Putin die Demokratie seit seiner Machtübernahme Schritt für Schritt demontiert habe.

"Schon der Georgien-Krieg 2008 hat mich zum Nachdenken gebracht. Mir war klar, dass wir Russen dort gar nichts zu suchen hatten." Eine militärische Laufbahn wie sein Vater und Großvater habe er deshalb nie einschlagen wollen.

Andreev rettete sich mit einer Promotion vor der Einberufung in die Armee. Nachdem er während des Studiums bereits ein Semester in Dresden studiert hatte, kam er 2015 mit seiner Ehefrau für immer in die Elbestadt. Beide fühlen sich hier gut aufgenommen.

Die Entwicklung im Osten bleibt dennoch allgegenwärtig. Andreev berichtet davon, wie der Ukraine-Krieg auch in Russland Familien und Freunde entzweite. "Bei vielen fruchtet die russische Propaganda." In Gesprächen versuche er die Konfrontation zu vermeiden und spreche das Thema manchmal lieber gar nicht erst an.

Im Netzwerk für die Ukraine-Flüchtlinge gehören die Russen nach Ansicht von Andreev zu den schärfsten Kritikern des Konfliktes. "Wir spüren, wie das Bild Russlands unter diesem Krieg leidet." Putin wirft er ein völlig verqueres Weltbild vor. Er teile die Welt nur in Starke und Schwache ein und wolle zu den Starken gehören.

Nun hofft Andreev darauf, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Da Putin völlig irrational handle, sei es aber schwer, eine Prognose zu geben. "Eine Niederlage wäre der bessere Weg für Russland", sagt Andreev und vergleicht seine Heimat mit Deutschland im Zweiten Weltkrieg.

Allerdings will Dresden ab dem 16. Mai keine Geflüchteten aus der Ukraine mehr aufnehmen. Darüber informierte am Mittwoch Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (45, Linke). Nicht, weil es etwa keinen Platz mehr gibt. Der unfassbare Grund: Das Sozialamt sei angeblich völlig überlastet.

Titelfoto: Montage: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa, Matthias Rietschel/dpa-Zentralbild/dpa

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