Dresden auf Platz 1: In keiner anderen Stadt Deutschlands werden Politiker häufiger bedroht
Dresden - Eine neue Studie der Heinrich-Böll-Stiftung hat ergeben, dass 60 Prozent der befragten KommunalpolitikerInnen bereits Opfer von Bedrohungen geworden sind. Nirgends ist der Anteil dabei so hoch wie in Dresden. TAG24 hat einmal nachgefragt, welche Erfahrungen Dresdner Politiker vor Ort genau gemacht haben.
Insgesamt wurden für die Studie mit dem Titel "Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik" mehr als 2000 Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker aus 80 deutschen Großstädten befragt.
60 Prozent von ihnen gaben dabei an, schon Opfer von Androhungen, Beleidigungen und tätlichen Angriffen gewesen zu sein. "Die Bedrohungserfahrungen sind Teil des Alltags in der kommunalen Politik", schlussfolgert der Politikwissenschaftler und Studienleiter Andreas Blätte (46).
Beeindruckend: Einerseits wollen mehr als 90 Prozent von ihnen trotz solcher Übergriffe weiter Politik machen. Andererseits sei es laut Blätte ein "alarmierender Befund", dass 4,7 Prozent aus Selbstschutz oder aus Sorge um die Familie über einen Rückzug aus der Kommunalpolitik nachdenken.
Dresden ist dabei die Stadt mit dem höchsten prozentualen Anteil solcher Vorfälle (knapp vor Erfurt und München). Hier gaben 29 von insgesamt 33 Befragten an, bereits mit Anfeindungen konfrontiert worden zu sein.
"Ich lasse mich nicht davon abhalten, das Richtige zu tun"
TAG24 hat deshalb bei zwei Dresdner KommunalpolitikerInnen nachgefragt, welche Erfahrungen sie mit solchen Übergriffen gesammelt haben und wie sie damit umgehen. Anne Herpertz (24) von den Piraten und Holger Zastrow (53) von der FDP geben einen exklusiven Einblick.
Wie ernst nehmen die Dresdner KommunalpolitikerInnen eigentlich gegen sie gerichtete Androhungen, sei es online oder im realen Alltag? Was war die gefährlichste Bedrohung, der sie ausgesetzt waren, und welchen Grund sehen sie dafür, dass gerade Dresden die Stadt mit den meisten Bedrohungen gegenüber PolitikerInnen ist?
Die aktuelle Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Anne Herpertz, stand bei der letzten Bundestagswahl für den Wahlkreis Dresden II - Bautzen II als Direktkandidatin der Piraten zur Wahl, arbeitet im Dresdner Stadtrat für die Dissidenten-Fraktion und engagiert sich zusätzlich gegen Rechtsextremismus.
Herpertz war dabei schon häufiger einer Bedrohungssituation ausgesetzt, lässt sich jedoch nicht einschüchtern: "Trotz möglicher Gefahren lasse ich mich nicht davon abhalten, das Richtige zu tun und ein Statement gegen Rechtsextreme zu setzen", sagte Herpertz gegenüber TAG24.
Anne Herpertz wurde in Mickten von Neo-Nazis angegriffen
Die 24-Jährige berichtet dabei von einer Situation, als sie am Straßenbahnhof Mickten beim Aufhängen von Wahlplakaten von offenkundigen Neo-Nazis angegriffen wurde. Vor ihren Augen seien ihre Plakate beschädigt worden.
Während Herpertz sich von Online-Anfeindungen wie "links-grün versifftes Pack" nur selten runterziehen lässt, sorgt sie sich vielmehr um ihre Sicherheit, wenn es darum geht, reale Bedrohungen gerichtlich aufzuklären. Nach einer Zeugenaussage gegen einen Neo-Nazi habe sie um ihre private Sicherheit gefürchtet.
Für Herpertz, die in ihrem Wahlkreis 2021 1,4 Prozent der Stimmen erhielt, erklärt sich die hohe Anzahl von Vorfällen gegenüber PolitikerInnen in Dresden durch eine geringe Sorge vor möglichen Konsequenzen durch die Polizei. Gerade im Internet stelle sich die Polizei "machtlos".
Dresden: "Der Schmelztiegel unterschiedlicher Sichtweisen"
Holger Zastrow, der Fraktionsvorsitzende der FDP im Dresdner Stadtrat, empfiehlt PolitikerInnen, sich generell ein "dickes Fell" anzulegen und nicht jeden Kommentar persönlich zu nehmen. Es gehöre schließlich zur Öffentlichkeitsarbeit dazu, dass man nicht nur Zuspruch ernte.
Der gelernte Industriekaufmann aus Laubegast ist seit der Wende politisch aktiv und zähle all die negativen Kommentare, falschen Presseberichte und Respektlosigkeiten schon gar nicht mehr.
Als "Androhungen" würde er diese Aktionen jedoch nicht bezeichnen. Für Zastrow stellt die Stadt Dresden schließlich einen "Schmelztiegel unterschiedlicher Sichtweisen" dar, in dem die Konfliktaustragung auch auf offener Straße dazugehöre.
Die politische Kultur der "ostdeutschesten Metropole Deutschlands" stehe dabei einerseits in direkter Verbindung zur Rolle Dresdens während der Wende und den Gegensätzen danach. Andererseits liege es auch daran, dass Dresden gerne für "effektvolle Inszenierungen von allen Seiten" verwendet werde, so der 53-Jährige gegenüber TAG24.
Titelfoto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa, Eric Münch (ue), Thomas Türpe