Messer-Mord in Dresden: Verdächtiger Islamist wurde am Tag der Tat observiert
Dresden - Der mutmaßliche Islamist und Tatverdächtige im Fall der tödlichen Messerattacke von Dresden ist auch am Tag der Tat observiert worden.
Zum genauen Zeitpunkt wurden bei einer Pressekonferenz am Donnerstag keine Angaben gemacht.
Dirk-Martin Christian: "Wir hätten diese Tat nicht verhindern können."
Es sei sehr, sehr bitter, wenn man heute feststellen müsse, dass trotz dieser Maßnahmen die schreckliche Tat nicht verhindert werden konnte, sagte Dirk-Martin Christian, Chef des Landesverfassungsschutzes, in Dresden.
Eine Rund-um-die-Uhr Bewachung sei rechtlich möglich, aber nicht vorgesehen gewesen.
Anfang Oktober waren in Dresden zwei Touristen Opfer einer Messerattacke geworden. Ein 55-Jähriger aus Krefeld starb, ein weiterer Mann (53) aus Köln überlebte schwer verletzt (TAG24 berichtete).
Die Ermittler vermuten einen radikal-islamistischen Hintergrund. Am Dienstag wurde ein 20-jähriger Tatverdächtiger aus Syrien festgenommen (TAG24 berichtete).
Zudem war der Tatverdächtige offiziellen Angaben zufolge bereits während der Haft mehrmals aufgefallen.
Der junge Mann sei mehrmals Thema in Fallkonferenzen gewesen, sagte der Chef des Landeskriminalamtes (LKA), Petric Kleine. So sei etwa im Juli die Gefahr, dass der Mann erneut Straftaten begehen könnte, von Experten als hoch eingeschätzt worden. Dementsprechend wurde ein Maßnahmenplan für die Zeit nach der Entlassung entwickelt.
Behörden verteidigen Vorgehen
Sachsens Behörden haben ihr Vorgehen im Fall der tödlichen Messerattacke von Dresden verteidigt. Man habe sich gefragt, ob es einen Fehler im System gab und ob die Tat habe verhindert werden können, sagte Kleine.
Der Maßnahmenkatalog habe eine enge Betreuung, nicht aber eine enge Bewachung vorgesehen. Die Tat sei nicht auszuschließen gewesen. Aus Sicht des LKA seien alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden.
"Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit", sagte Dirk-Martin Christian dazu.
Den Angaben zufolge ist der Tatverdächtige, ein 20-jähriger Syrer, in seinen ersten Tagen nach der Haftentlassung von einem Entlassungshelfer begleitet worden. Er sei am Tag der Tat und auch am Tag danach seiner Meldepflicht nachgekommen.
Wann die Radikalisierung des Mannes begann, sei unklar. Sie habe sich in Dresden fortgesetzt, sagte Kleine.
In der Haft hat der Tatverdächtige zwei Mal Mitarbeiter der JVA angegriffen.
Christian nannte den Täter einen extremistischen Islamisten. Das sei durch das tatsächliche Handeln des Beschuldigten in der Haft bestätigt worden. Über Details und Zeiträume der Observation könne er nichts sagen: "Das ist jetzt hier nicht der richtige Ort."
Dresdens OB Dirk Hilbert äußert sich
Am Donnerstagnachmittag äußerte sich auch Dresdens Oberbürgermeister, Dirk Hilbert (48), bei Facebook zu der Tat.
Er schrieb: "Meine Gedanken gelten zu allererst den beiden Opfern dieser feigen Tat und ihren Angehörigen. Ich hoffe sehr, dass sie in diesen schweren Tagen Trost finden."
Und weiter: "Mein Dank gilt der Dresdner Polizei und Staatsanwaltschaft, die schnell und professionell ermittelt haben. Nun muss der Generalbundesanwalt die Ermittlungen fortführen und die Hintergründe restlos aufklären."
Sein Appell an die Menschen in Sachsens Landeshauptstadt: "Auch wir als Dresdner Stadtgesellschaft stehen unter Schock, dass eine solche Tragödie im Herzen unserer Stadt geschehen kann. Sollte sich die Tat tatsächlich als ein religiöser Terrorakt erweisen, zeigt sich einmal mehr, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist, gegenüber denjenigen die sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer gemeinschaftlichen Werte befinden."
"Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir gerade jetzt nicht pauschale Urteile fällen. Hunderte Flüchtlinge aus Syrien - Männer, Frauen und Kinder - haben sich in unserer Stadt ein neues Leben aufgebaut und halten sich selbstverständlich an Recht und Gesetz. Hass, Ausgrenzung oder gar Gewalt sind nie eine angemessene Reaktion, auch nicht auf vermeintlichen islamistischen Terror."
Vielmehr müsse laut Hilbert nun "der Rechtsstaat seine Regeln und sein Handeln gründlich hinterfragen, um die Menschen in unserem Land zu schützen – und zwar alle Menschen, egal wo sie herkommen, welcher Religion sie angehören oder welchen Status sie haben."
Update, 22. Oktober, 15.45 Uhr: Thüringens Innenminister zu Messerattacke in Dresden: "abscheuliche Tat"
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hat die tödliche Messerattacke auf Touristen in Dresden als "abscheuliche Tat" bezeichnet.
"Islamistischer Terrorismus stellt weiterhin eine große Gefahr, auch in Deutschland dar", zitierte ihn eine Ministeriumssprecherin am Donnerstag. Die Sicherheitsbehörden seien aufgerufen, den Kampf gegen Terrorismus jeglicher Ausprägung weiter zu intensivieren. Maier ist auch Vorsitzender der Innenministerkonferenz.
Update, 22. Oktober, 16.33 Uhr: Wöller fordert Konsequenzen
Als Konsequenz auf die tödliche Messerattacke hat Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) gefordert, Gefährder und schwere Straftäter auch nach Syrien abzuschieben.
Einen generellen Abschiebestopp für Betroffene dürfe es nicht mehr geben, sagte Wöller. "Der Umgang mit Gefährdern, die nicht abgeschoben werden können, ist ein deutschlandweites Problem. Im Fall von Syrien gilt wegen des Bürgerkrieges ein genereller Abschiebestopp." Mehr dazu lest Ihr >>> hier.
Update, 22. Oktober, 16.48 Uhr: Abdullah A.H.H. hatte keinen Flüchtlings-Status mehr
Die Ermittler sind überzeugt, dass der 20-jährige Syrer Abdullah A.H.H. die Tat am Abend des 4. Oktober in der Dresdner Innenstadt begangen hatte.
Der Tatverdächtige ist nach Angaben der Dresdner Behörden seit 2015 in Deutschland. 2019 wurde ihm der Status als Flüchtling aufgrund seiner Straftaten allerdings aberkannt. Wegen des geltenden Abschiebestopps nach Syrien konnte der Mann nach Behördenangaben bisher nicht außer Landes gebracht werden.
Update, 22. Oktober, 17.38 Uhr: Syrer radikalisierte sich unter Augen der Behörden
Petric Kleine, Chef des Landeskriminalamtes Sachsen (LKA), ist sich sicher: Die tödliche Messerattacke von Dresden hätte nur durch die Abschiebung von Abdullah A.H.H. verhindert werden können. Versäumnisse der Sicherheitsbehörden sieht er nicht. Wie es zu der Attacke kommen konnte, obgleich der Tatverdächtige sogar am Tag des Angriffs observiert wurde, bleibt offen.
Der Tatverdächtige aus Dresden ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Fall: ein Gescheiterter, ohne familiären Halt und berufliche Perspektive. Ähnlich wie der abgelehnte Asylbewerber aus Tunesien, Anis Amri, der im Dezember 2016 in Berlin einen Weihnachtsmarkt angriff und zwölf Menschen tötete. Auch der 30-jährige irakische Islamist, der im vergangenen August auf der Berliner Stadtautobahn sein Auto zur Tatwaffe machte, hatte in Deutschland nie wirklich Fuß gefasst.
Der junge Syrer war schon im August 2017 von sächsischen Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft worden und vorbestraft. Bis vor kurzem verbüßte er eine Haftstrafe.
"Auch aufgrund seines Verhaltens in der Haftzeit war erkennbar geworden, dass er sich nicht vom Islamismus losgesagt hatte, sondern unverändert extremistisches Gedankengut vertrat. Es bestand daher für uns alle eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er sich auch nach der Haftentlassung erneut in der extremistisch-islamistischen Szene bewegen würde", räumt Dirk- Martin Christian ein, Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Update, 22. Oktober, 17.48 Uhr: Warum wurde der Gefährder nicht rund um die Uhr bewacht?
Warum wurde der Mann, von dessen Gefährlichkeit man ausging, nicht rund um die Uhr bewacht? Dirk Münster, Leiter des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum im LKA, verweist auf die Möglichkeiten. Eine 24-Stunden-Bewachung an sieben Tagen durch die Polizei sei rechtlich nicht möglich. Man könne das machen, "aber dürfen darf ich es nicht".
Der Maßnahmenkatalog für den Syrer, der früher auch deshalb vor Gericht stand, weil er für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) warb, habe eine enge Betreuung, nicht aber eine enge Bewachung vorgesehen. Die Einstufung als Gefährder gebe den Behörden keinen Freifahrtschein.
Update, 22. Oktober, 17.53 Uhr: Mehr als 600 islamistische Gefährder im Land
Mehr als 600 islamistische Gefährder zählen die deutschen Sicherheitsbehörden aktuell, die Zahl in Sachsen liege im unteren zweistelligen Bereich, hieß es.
Ein Teil dieser Islamisten, denen man einen Terroranschlag zutraut, sitzt in Haft. Andere halten sich im Ausland auf. Zu denen, die in Deutschland sind, gehören Deutsche, Doppelstaatler und Ausländer - auch solche, die als Asylbewerber ins Land gekommen waren.
Nach dem Anschlag Amris auf den Berliner Weihnachtsmarkt hatten die Behörden ihre Anstrengungen zur Abschiebung islamistischer Gefährder verstärkt. Doch das Geschäft ist mühsam. Identitäten müssen geklärt, Passersatzpapiere beschafft, Herkunftsländer überzeugt und Flugplätze organisiert werden. In das Konfliktgebiet Syrien wird ohnehin nicht abgeschoben - ein Umstand der auch Straftätern vertraut ist. Die deutsche Botschaft in Damaskus ist geschlossen.
Update, 22. Oktober, 17.56 Uhr: Heiko Maas aufgefordert, Abschiebeverbot nach Syrien zu prüfen
Nicht nur der sächsische Innenminister, Roland Wöller (CDU), will die jetzige Straftat nun zum Anlass nehmen, dieses Verbot infrage zu stellen (mehr dazu lest Ihr >>> hier). "Der Abschiebestopp nach Syrien muss jetzt auf den Prüfstand", forderte auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU).
Zum Schutz der deutschen Bevölkerung müsse jede Möglichkeit genutzt werden, ausländische Gewalttäter und vor allem auch Gefährder los zu werden.
Außenminister Heiko Maas (SPD) müsse erklären, "warum Schweden und Dänemark Abschiebungen nach Damaskus für möglich halten, er aber nicht" - und er muss ein Konzept vorlegen, wie Abschiebungen von syrischen Gewalttätern und Gefährdern mit Blick auf das aktuelle deutsch-syrische Verhältnis mittelfristig in der Praxis durchgeführt werden können.
Update, 22. Oktober, 18.34 Uhr: Joachim Herrmann (CSU): "Bundesregierung muss Voraussetzungen für Rückführungen schaffen"
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) äußerte sich in "Die Welt": "Die Bundesregierung, allen voran das Auswärtige Amt, muss endlich die Voraussetzungen dafür schaffen, Rückführungen nach Syrien oder in Drittstaaten zu ermöglichen - natürlich unter Beachtung der Menschenrechte und bei differenzierter Betrachtung des Einzelfalls."
Der auf der Innenministerkonferenz erneut bis Jahresende verlängerte generelle Abschiebestopp nach Syrien dürfe kein Freibrief für gewalttätige und bereits verurteilte Straftäter sein, so Herrmann. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD), teilte mit, er stelle den Abschiebestopp nicht in Frage.
Update, 22. Oktober, 18.38 Uhr: Albrecht Pallas (SPD): "Vorurteilen gegenüber Geflüchteten widersprechen"
Auch der sächsische SPD-Politiker Albrecht Pallas appellierte an die Bürger, Vorurteilen gegenüber allen Geflüchteten deutlich zu widersprechen: "In unserer Stadt leben hunderte Menschen aus Syrien, die sich selbstverständlich an Recht und Gesetz halten. Eine zügige und lückenlose Aufklärung des Verbrechens und des Motivs ist jetzt das vordringliche Ziel der Strafverfolgungsbehörden."
Dass dabei auch die mutmaßlichen Verbindungen zu islamistischen Strukturen in den Blick genommen werden, sei selbstverständlich. Genau deshalb habe die Bundesanwaltschaft das Verfahren übernommen.
Update, 22. Oktober, 19.34 Uhr: Seehofer fordert Prüfung von Abschiebungen nach Syrien
Nach der tödlichen Messerattacke von Dresden hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefordert, eine Ermöglichung von Abschiebungen nach Syrien zu prüfen. "Ich werde sehr dafür eintreten, dass wir überprüfen, ob man nicht nach Syrien in die befriedeten Gebiete abschieben kann, aber bisher war die Einschätzung des Auswärtigen Amts eine andere", sagte Seehofer.
Auf die Frage, warum bei der Überwachung offenkundig viel schief laufe, sagte der Politiker: "Zur Überwachung müssen Sie die Behörden im Freistaat Sachsen fragen." Und weiter: "Es geht ja hier offensichtlich um einen syrischen Staatsangehörigen. Und dort ist ja entschieden worden, solange dort die Sicherheitssituation so ist, kann man dort Leute nicht abschieben, weil sonst Gefahr bestünde für ihr Leib und ihr Leben."
Auf die Nachfrage, ob auf diese Weise Gefahr für Menschen in Deutschland entstehe, sagte Seehofer: "Wir müssen halt rechtsstaatliche Regeln einhalten." Menschenrechtler hatten darauf verwiesen, dass das syrische Regime Menschen systematisch foltere.
Titelfoto: xcitePRESS (Archiv)