Nach Kritik um Karl-May-Bücher: Jetzt äußern sich seine Verteidiger
Dresden - Karl May war immer ein schwieriger Zeitgenosse und ist es geblieben. Doch hatten es seine Verteidiger selten so schwer, waren seine Gegner selten so aggressiv wie heute.
Schon zu Lebzeiten stand May in der Kritik, weil er etwa seine in "Reiseerzählungen" beschriebenen Abenteuer im Wilden Westen oder Orient nicht selbst erlebt, geschweige denn die betreffenden Regionen besucht hatte. Er sei ein Schwindler, Lügner, Fantast, so lauteten Vorwürfe gegen ihn.
Aktuell richtet sich die Kritik auf das anscheinend überkommene Bild, das der Autor in seinen Büchern etwa vom Leben der US-amerikanischen Ureinwohner vermittelt. Im Zuge der Studien zum Postkolonialismus ist Mays Romane betreffend die Rede von "kultureller Aneignung" und "kolonialistischer Erzählweise".
Vergangenes Jahr nahm der Ravensburger Verlag zwei neu erschienene Bücher flugs vom Markt, nachdem Shitstorms sich daran entzündet hatten.
Die organisierten Freunde des Autors, Karl-May-Gesellschaft e. V. und Karl-May-Stiftung, befinden sich in der Defensive. Offenbar ist mehr denn je in Begründungspflicht, wer sich zu May bekennt.
So gründeten Stiftung und Gesellschaft Ende 2022 die Arbeitsgemeinschaft "Karl May vermitteln", die sich nun mittels eines Positionspapiers zum Thema äußert, nachdem man im März in Kooperation mit der Universität Potsdam im interdisziplinären Symposium "Kulturelle Repräsentation bei Karl May" die argumentativen Grundlagen legte.
May sei unvermeidlich in der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts verhaftet
Als Mitgestalter der Rezeptionsgeschichte des meistgelesenen Autors deutscher Sprache sei man sich, vor allem im Hinblick auf seine bis heute einflussreiche Auseinandersetzung mit fremden Kulturen, einer besonderen Verantwortung bewusst, heiß es in einer "Gemeinsamen Stellungnahme zur 'Winnetou'-Debatte". Die Bewertung Mays und seines Werks fällt darin bei aller Zwiespältigkeit des Urteils positiv aus.
May sei unvermeidlich in der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts verhaftet, heißt es: "Er akzeptierte und reproduzierte die Normen und Pauschalisierungen seiner Zeit, darunter auch koloniale Muster, die heute mit Recht als problematisch empfunden werden."
Gleichzeitig habe er als Ergebnis autodidaktischer Studien in zunehmendem Maße rassistische Vorurteile, imperialistisches Hegemoniedenken und religiöse Intoleranz reflektiert.
Besonders eindringlich prangerten seine Romane "den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas und das Verbrechen der Sklaverei" an.
Werke von Karl May für "kritische Reflexion kolonialer Muster" geeignet
Ungewöhnlich an Mays Texten, heißt es weiter, sei die häufige Thematisierung von Behinderungen und nicht-binären geschlechtlichen Identitäten innerhalb der Gruppe der Protagonisten.
Hierin spiegelten sich die persönlichen Erfahrungen des Autors, "der sowohl als Kind einer armen Weberfamilie als auch im Alter nach dem Bekanntwerden seiner Vorstrafen sozialer Diskriminierung ausgesetzt" gewesen sei.
Die Diskriminierungserfahrung solch gesellschaftlicher Minderheiten mit den von May mitverantworteten Unregelmäßigkeiten seines Lebens gleichzusetzen - daran mag sich Zweifel entzünden.
"Aufgrund ihrer spezifischen künstlerischen Ambivalenz halten wir die epischen Werke Karl Mays, in ihrer originalen Gestalt ebenso wie in medialen Weiterentwicklungen, für besonders geeignet, eine kritische Reflexion kolonialer Muster und Ressentiments anzuregen", resümiert die "Gemeinsame Stellungnahme".
Anzunehmen ist, dass Karl May in streitbarem Gespräch und das Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft "Karl May vermitteln" nicht unwidersprochen bleibt.
Titelfoto: Bildmontage: Karl-May-Verlag/dpa