Nach einem Jahr Krieg in ihrer Heimat: So geht es Dresdens Ukrainern
Dresden - Vor einem Jahr begann der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Tausende Menschen aus dem Land fanden inzwischen in Dresden Zuflucht. Und sie nehmen auch hier ihr Schicksal in die Hand. Die Ukrainische Gemeinde gründete ein Koordinationszentrum und das Ukrainische Haus. Von Routine bei der Betreuung der Geflüchteten kann allerdings noch immer keine Rede sein. Vielmehr haben sich die Bedürfnisse der Menschen verschoben.

Die anfängliche Panik über den russischen Angriff ist der Wut gewichen. Ein "Wir müssen es schaffen, dass der Aggressor unser Land verlässt" beschreibt Natalija Bock (48), Sprecherin der Ukrainischen Gemeinde, das Gefühl vieler Geflüchteter heute. "Man lernt mit dem Krieg umzugehen."
Trotzdem, so sagt sie, ist es "zermürbend". Täglich hält sie - wie die meisten Geflüchteten - Kontakt zu ihren Lieben, die in der Heimat geblieben sind, bangt um deren Leben. Auf einer Warn-App werden ihnen die Raketenangriffe angezeigt. Danach folgt ein Anruf: "Lebt ihr?"
Präsident Bidens (80) Besuch in der Ukraine nahmen die Geflüchteten mit Freude auf. "Ein Zeichen der Unterstützung", so Bock. Auch in Dresden fühlen sich die meisten Geflüchteten herzlich aufgenommen und unterstützt.
Die Ehrenamtlichen aus dem Ukrainischen Haus am Neumarkt können sich des Andrangs indes kaum erwehren. Die Deutschkurse haben eine lange Warteliste. Es werden ehrenamtliche Deutschlehrer gesucht. Zudem fehle es an psychologischen Hilfsangeboten, so Bock: "Gerade viele Jugendliche haben Traumata erlitten."
Für professionelle Hilfe werden finanzielle Mittel benötigt. "Wir brauchen mehr Unterstützung von der Stadt."
Auf diese Hilfe ist die Ukraine jetzt besonders angewiesen


Dresden zahlt noch bis Ende Oktober eine Betriebskostenpauschale von 1300 Euro monatlich (ohne Strom).
Die Zukunft ist offen: "In welchem Umfang und in welcher Art die Unterstützung der Landeshauptstadt für das Ukrainische Haus im Quartier QF nach Oktober weitergehen wird, ist noch nicht entschieden", teilte die Stadt mit.
Nach einem Jahr Krieg sind auch die Spenden zurückgegangen. Für konkrete Projekte ist die Bereitschaft jedoch da.
Das bestätigt auch Dmytro Sonkin (42), Mitbegründer der Hilfsorganisation "Hope for Ukraine". Der Verein arbeitet inzwischen vorwiegend mit den Landesärztekammern Sachsen und Hessen sowie dem Weltärzteverband zusammen und organisiert Transporte in die Ukraine.
"Medizin ist jetzt das wichtigste", so Sonkin.
Fleißige Ukrainer: Immer mehr in Lohn und Brot

Dresden als Zufluchtsort vor dem Krieg: Nach Angaben des Rathauses wurden diesen Januar 8911 Ukrainer in der Stadt gezählt. Aber nicht alle von ihnen sind Geflüchtete. Etwa 2000 haben sich zum Teil schon lange zuvor in Dresden angesiedelt.
Unter den Geflüchteten sind die Mehrheit Frauen (66,4 Prozent). Rund 37,2 Prozent der Schutzsuchenden sind zudem Kinder oder Jugendliche.
302 Personen wohnen in von der Landeshauptstadt angemieteten Einrichtungen, davon 65 in Gemeinschaftsunterkünften und 237 in Wohnungen. Der übergroße Rest ist bei Privatpersonen oder Familienangehörigen untergekommen.
Immer mehr haben inzwischen auch Arbeit. Im vergangenen Juli waren allein 1108 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das waren schon 404 mehr als im Februar zuvor. Dazu kommen noch zahllose Ukrainer in geringfügiger Beschäftigung.

Klaus-Peter Hansen (59), Chef der sächsischen Arbeitsagenturen, rechnet mit weiterer Verstärkung des Trends in den Sommermonaten: "Die Ergebnisse belegen, dass die ersten Absolventen aus den Integrationskursen den Übergang in Arbeit gemeistert haben."
Viele werden voraussichtlich in der Gastronomie, im Bildungswesen oder dem Handwerk unterkommen.
Handwerkskammer-Präsident Jörg Dittrich (53): "Im Betriebsalltag stellt die Sprache bei ausländischen Fachkräften oft die größte Barriere dar. Hier gilt es, die Geflüchteten mit Sprachkursen unbürokratisch zu unterstützen."
Hilfe für die Helfer: Dresden und die "Gastfreundschaftspauschale"

Den Tausenden Ukrainern in Dresden ein Dach über dem Kopf zu bieten, war nur durch die Gastfreundschaft vieler Dresdner möglich, die Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen haben. Als Zeichen der Dankbarkeit erhalten sie seit April 2022 eine "Gastfreundschaftspauschale" von der Stadt.
Pro untergebrachter Person und Tag erhalten die Gastgeber auf Antrag 5 Euro. Bis Ende vergangenen Jahres wurde diese Pauschale vom Rathaus in fast 1900 Fällen bewilligt, wie eine Anfrage von Linke-Stadträtin Pia Barkow (37) ergab.
Hinter einer Bewilligung könnten dabei laut Stadtverwaltung mehrere Personen stehen. Insgesamt lebten bzw. leben so etwa drei Viertel der nach Dresden geflüchteten Ukrainer in privaten Haushalten.
Das Fazit der Stadtverwaltung: "Die Gastfreundschaftspauschale ist ein sehr nützliches und wirkungsvolles Instrument."
Es helfe nicht nur bei der Unterbringung, sondern fördere auch "den frühzeitigen Kontakt und Zugang der Geflüchteten zur Stadtgesellschaft und stärkt sie in ihrer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung". Deshalb wird sie auch in diesem Jahr weiter ausgezahlt.

"Das Instrument war genau das Richtige", sagt Barkow und lobt die "unglaubliche Leistung" der Gastgeber. Die können die Pauschale übrigens auch beantragten, wenn sie Geflüchtete aus anderen Teilen der Welt aufnehmen, die in Dresden Asyl suchen.
"Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Praxis als Dresdner Modell fortführen", so Barkow.
Titelfoto: Montage: Thomas Türpe, IMAGO/photothek/Thomas Koehler, Holm Helis