Hauptmanns "Die Ratten" am Staatsschauspiel - Gesellschaft in Schieflage
Dresden - Größtmögliche soziale Gegensätze vereint Gerhart Hauptmann in seiner Tragikomödie "Die Ratten" (1911) unter dem gemeinsamen Dach einer maroden Berliner Mietskaserne.
In einer teilweise modern überschriebenen Fassung von Daniela Löffler (auch Regie) hatte das Stück am Samstag Premiere im Schauspielhaus.
Trotz exzellenter Schauspielleistungen bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück.
Hauptmanns naturalistischer Realismus ist nie ein Quell der Freude, das Stück "Die Ratten" ein besonders veritabler Runterzieher, in dem das vom Absturz bedrohte Prekariat auf das Bildungsbürgertum trifft, sauber durch Milieu-Dialekt und Hochsprache getrennt.
Da ist die Tragödie um Putzfrau Jette John (Fanny Staffa mit großem emotionalen Repertoire zwischen Trauer, Verschlagenheit und Wahn), die dem polnischen Dienstmädchen Pauline deren Neugeborenes abluchst und damit eine Spirale auslöst, an deren Ende Kindstod, Mord und Suizid stehen.
Daneben die Komödie um Theaterdirektor Hassenreuter (wuchtig und witzig: Hans-Werner Leupelt), der mit Schauspielschüler Spitta (Jonas Holupirek) über den Gegensatz von Theater und Wirklichkeit streitet.
Das Stück spielt in der Gegenwart
Löffler setzt das Geschehen auf eine schräge Rampe, gerahmt von einer mehrteiligen Metalltraverse, aus der es beharrlich regnet (Bühne: Claudia Kalinski). Hier rutschen die Proletarier immer wieder ab, fallen herunter, klettern wieder hinauf.
Ein treffliches Bild für die Schieflage der Gesellschaft, wenn auch allzu naheliegend. Das Stück ist in die Gegenwart nach der Trump-Wahl verlegt, spielt in einem Dresden mit eingestürzter Carola-Brücke - dennoch bleibt der Berliner Dialekt, was etwas inkonsequent ist.
Die Szenen mit Frau John, der halb debil gezeichneten Pauline und der kränkelnden Nachbarstochter Selma Knobbe (Nihan Kirmanoğlu und Sarah Schmidt spielen das niederschmetternd verzweifelt) schrammen hart am Elendsporno vorbei, wozu der grelle Witz des Komödien-Strangs nicht immer passen will.
Dessen Modernisierung wird schließlich selbstreferenziell: Während Spitta Wahrheit auf die Bühne bringen will, widerspricht Lehrer Hassenreuter: "Realitätsscheiße" wolle keiner sehen, es gäbe draußen genug Krisen.
Das Theater solle unterhalten, man müsse "die Hütte vollkriegen", sonst würden die Häuser bald alle zugemacht - deutlicher Verweis auf die Zwänge kultureller Sparmaßnahmen. Viel Applaus für einen eindrucksvoll gespielten harten Brocken.
Titelfoto: Bildmontage: Sebastian Hoppe, Foto Koch