"Ich fühle mich wie auf einem falschen Planeten": Dieser Mann ist hochsensibel
Dresden - Seinen Fernseher hat er noch nie angemacht. Im Auto muss das Radio aus sein. Unter Menschen zu sein, überfordert Albrecht Eckardt (33) schnell. Noch nie hatte er eine feste Beziehung.
Früher dachte der Dresdner, er sei ein Problemfall. Heute ist ihm klar: Er ist hochsensibel, erlebt die Welt anders. Hochsensibilität ist keine Krankheit, kann aber krank machen. Und jeder Zehnte soll davon betroffen sein.
Albrecht steht vorm Eingang eines Biergartens. Als er die vollen Tische sieht, die lautstarken Gäste hört, macht sich in ihm ein beklemmendes Gefühl breit. Freiwillig würde er sich so einen Besuch nie antun, schon der Gedanke stresst ihn. "Dann fühle ich mich wie auf einem falschen Planeten", sagt der Hochsensible.
Noch kaum erforscht, bezeichnet die Wissenschaft jene Menschen als hochsensibel, die Reize aus der Außenwelt feinfühliger aufnehmen, weniger filtern können. Die Flut an Eindrücken können sie kaum ausblenden. Die Grenzen verlaufen schwimmend, die Abgrenzung zum "normal sein" ist schwierig. Meist haben sie Probleme im Alltag. Zu laut, eng, grell, warm - schon Kleinigkeiten können überfordern.
Albrecht kann es nicht ertragen, wenn das Radio im Auto läuft. Auch nicht als Beifahrer. "Ich höre nicht besser als andere, aber die Geräusche beeinflussen mich. Telefonierende Arbeitskollegen, knarrende Türen, schon ein piepsender Computer kann reichen und ich verliere total den Faden", bedauert Albrecht.
Albrecht Eckardt (33) litt bei einem Spaziergang unter Dauerstress
"Wenn ich sehe, wie andere im abgedunkelten Raum fernsehen, werde ich verrückt." Setzt sich jemand im Bus neben ihn, schlägt sein Herz schneller, fällt das Atmen schwer, läuft der Schweiß.
Als er mal von Reick nach Pappritz spazierte, litt sein Körper unter Dauerstress: "Der ganze Lärm, die vielen Passanten. Ich fühlte mich wie nach einem Marathonlauf." Entspannung findet er nur bei Spaziergängen in der Heide, an der Elbe oder beim heimischen Yoga.
Anders war Albrecht schon immer. In der Kita spielte er nicht mit anderen. In der Schule war er Außenseiter, hatte keine Freunde. Als jeder in seiner Klasse einen Satz sagen sollte, erstarrte Albrecht, als er drankam. Nicht, weil er nichts wusste. Die soziale Situation überforderte ihn. Er quälte sich durch Abi und Mathe-Studium, ging nicht auf Partys, besuchte keine Grillfeste.
Eine Partnerin fand der Programmierer bis heute nicht. "Es macht einsam", sagt er traurig. Wie viele Hochsensible litt er an Depressionen und Burnout. Erst vor zwei Jahren las er über Forschung, hörte von anderen Betroffenen - eine Erlösung!
"Sie hatten ganz ähnliche Lebenserfahrungen gemacht wie ich." Heute betrachte er seine Hochsensibilität als besonderen Persönlichkeitszug, hilft und tauscht sich mit anderen Dresdnern in seiner Selbsthilfegruppe aus.
Hier finden Betroffene Hilfe
Albrecht Eckardt leitet Dresdens erste Selbsthilfegruppe für junge Hochsensible.
Angesprochen sind Frauen und Männer ab 18 Jahren, die sich oft überfordert, rastlos, einsam oder depressiv fühlen oder denen der Sinn im Alltag fehlt.
Die Gruppe wird unterstützt von der städtischen Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS).
15 Dresdner sind schon dabei. Wer Interesse hat, kann sich melden: kiss@dresden.de oder bei Albrecht telefonisch unter 0174/861 71 23.