Dresden - Choreograf John Neumeier (85) kehrt mit einer neu inszenierten Fassung seines Balletts "Nijinsky" aus dem Jahr 2000 an die Semperoper zurück.
Choreograf John Neumeier ist eine Legende in seinem Fach. Von 1973 bis 2024 war er Ballettdirektor und Chefchoreograf des Hamburg Balletts.
Auch an der Semperoper hat der US-Amerikaner oft gearbeitet. Nun kehrt er mit einem sehr persönlichen Stück zurück, hat in Dresden sein Ballett "Nijinsky" aus dem Jahr 2000, das er selbst zu den Top Ten seiner Werke zählt, neu eingerichtet. Die Premiere ist am Freitag.
Mit Dresden verbindet Neumeier eine lange Beziehung, bereits 1965 war er als Tänzer zu erleben, arbeitete später immer wieder als Choreograf an der Semperoper, die ihn 2002 zu ihrem Ehrenmitglied ernannte.
Wie erlebt er die Rückkehr?
Neumeier: "Heute hat es natürlich wenig zu tun mit der Company, die ich vor 22 Jahren kannte. Außer den wirklich hervorragenden Werkstätten, der intensiven Arbeit der Werkstätten - Bühnenbeleuchtung und Kostüme - das ist gleich geblieben. Die neue Company ist sehr neugierig, sehr interessiert. Noch gefällt mir nicht alles, doch bis zur Premiere sind es noch ein paar Tage. Aber ein Künstler, der mit allem zufrieden ist, ist wahrscheinlich kein Künstler. Es ist sehr schön, zurückzukommen."
John Neumeier möchte, dass seine Vision bei "Nijinsky" weiterhin erkennbar bleibt
Dass er "Nijinsky", seine Hommage an die Tanzikone Vaslav Nijinsky (1889-1950), die lebenslang eine große Rolle für ihn spielte, mit einer ihm unbekannten Company einstudiert, sieht Neumeier nicht als großes Wagnis: "Man muss es versuchen. Ich war in dieser Beziehung nie feige."
Jetzt sei das Ballett sicher anders als jenes, das zur Premiere 2000 zu sehen war, aber nicht zu sehr. "Ich nenne es nie Wiederaufnahme, sondern Rekreation. Einstudiert wird das Stück von Assistenten und Ballettmeistern. Mein Job ist es, zu beurteilen, ob ich das für richtig empfinde, was gemacht worden ist. Meine Vision muss erkennbar bleiben."
Bewusste Eingriffe aber lehnt er ab: "Es gibt im Ballett immer andere Nuancen, so wie man im Sprechtheater Worte eines Satzes anders betont, ohne den Text zu verändern. Die Schritte an sich werden aber nicht verändert. Es kann sein, dass ein Tänzer einen anderen Akzent setzt, aber nur innerhalb dieser Schritte."
Bei einem Werk wie "Nijinsky", das eine Person darstellt, die wirklich gelebt hat, wäre es das Schlimmste, zu versuchen, diesen Menschen zu imitieren. "Das war nie mein Wunsch", sagt Neumeier. "Ich wollte immer den Qualitäten, die ich in ihm sehe, durch andere Menschen ein Leben geben."
John Neumeier fiel der Abschied vom Hamburg Ballett nicht leicht
2024 nahm Neumeier nach 51 Jahren Abschied vom Hamburger Ballett. Spürt er noch Phantomschmerz? "Ja. Ich habe 1969 in Frankfurt angefangen, war somit über 54 Jahre durchgängig Ballettdirektor und hatte immer meinen eigenen Arbeitsplatz, mein Studio, in dem ich kreierte. Mehr als alles andere vermisse ich diesen eigenen Raum."
Als er nach Hamburg ging, wurde das Bundesjugendballett gegründet, die Schule war mit der Company in einem Haus, von jüngeren bis älteren Tänzern.
Neumeier: "Das war für mich der Idealfall, es war dieses Ensemble, für das ich gearbeitet habe. Deswegen blieb ich so lange dort. Jetzt habe ich eine andere Aufgabe, ich reise sehr viel mehr und kann, wie hier, mit anderen Companys arbeiten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Früher dachte ich immer, eigentlich müsste ich zu Hause sein. Jetzt kann ich mich total konzentrieren und ohne Schuldgefühle meiner eigenen Company gegenüber überall arbeiten."
Er könnte sich auch zur Ruhe setzen, doch sein Terminkalender ist bis 2027 gefüllt.
Was treibt ihn an? "Der Drang zur Kreation", sagt der Choreograf. "Weil ich mich in der Arbeit wohlfühle. Und weil ich das Gefühl habe, mit allem, was ich erfahren und gelernt habe, [dass] es eine Verpflichtung für mich ist, dies weiterzugeben und Menschen eventuell weiterhin inspirieren zu können. Wenn man das merkt, hat alles einen Sinn."