Unglaublich, wie lang dieses Stück im Dresdner Schauspielhaus dauert

Dresden - Lang? Ja. Zu lang? Auch. Alles in allem aber: großartig. Frank Castorfs Inszenierung des Büchner-Dramas "Dantons Tod" in Verkreuzung mit Heiner Müllers "Der Auftrag" ist ein Ereignis, bei dem sich das Durchhaltevermögen, das es erfordert, unbedingt lohnt.

Marin Blülle, Franz Pätzold (Robespierre), Jannik Hinsch (v.l.).
Marin Blülle, Franz Pätzold (Robespierre), Jannik Hinsch (v.l.).  © Sebastian Hoppe

Gut sechseinhalb Stunden Nettospielzeit, dazu eine Pause, anschließend bleibt nur das Taxi oder der Nachtbus. Tief in der Nacht erst war der Premierenbesucher zu Hause, so ermüdet wie überwältigt und erfüllt.

"Danton. Kühnes, vortreffliches Stück, mir seinem Geiste nach ungeheuer sympathisch", schwärmte Thomas Mann. Wer wollte ihm widersprechen? Das Stück hat, was für große Literatur gilt: Es ist seiner Zeit konkret verhaftet und zeigt darüber hinaus.

Ein weiteres Zitat illustriert das, es stammt von Elias Canetti: "Die größte Konzentration von allen Dichtern, die ich kenne, hat Büchner. Jeder Satz von ihm ist mir neu. Ich kenne jeden, aber er ist mir neu."

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Auch dieser Revolutionsstoff ist von steter Aktualität, besonders in politisch wilden Zeiten wie den heutigen, und es bedarf keiner tagespolitischen Theater-Klimmzüge, um das herauszuarbeiten. Castorff baut größtenteils auf den originalen Text, bei Büchner wie bei Müller.

Café und Ladengeschäft sind Schauplätze

Sechseinhalb Stunden lang müssen die Schauspieler abliefern.
Sechseinhalb Stunden lang müssen die Schauspieler abliefern.  © Sebastian Hoppe

Als Büchner den "Danton" 1835 beendete, lag die Französische Revolution keine 50 Jahre zurück, war Napoleons Herrschaft über Europa beendet, der "Code Napoleon" weit verbreitet, befand Deutschland sich in der nervösen Zeit des Vormärz und der steckbrieflich gesuchte Büchner auf der Flucht nach Frankreich.

Die Revolution strahlte aus, lockte mit den Idealen von Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit und Demokratie und verschreckte als Gewaltherrschaft, deren Hauptinstrument die Guillotine war. Der heute gebräuchliche Ausdruck Terror findet seinen begrifflichen Ursprung im "Terreur" (Schrecken) jener Zeit der Jahre 1793/94.

Schauplatz auf der Bühne ist das Café Procope im Quartier Latin, ein uraltes Pariser Etablissement, das es wirklich gibt, sowie ein angrenzendes Ladengeschäft samt Dachterrasse.

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Beinah scheint es, als befände man sich in der romantischen Pariser Kulisse von Billy Wilders "Irma la Douce". Nur entpuppt sich das Ladengeschäft als Waffenlager. Hier agieren sie, Danton, seine Gattin Sophie, Robespierre, Saint-Just, Delacroix, Desmoulins und seine Frau Lucile, Philipeaux, Hérault und so weiter.

Lange Aufführungsdauer sorgt für Entladung des dramaturgischen Akkus

Auf der Dachterrasse des Café Procope Jannik Hinsch als Danton, auf der Großbildleinwand Friederike Ott.
Auf der Dachterrasse des Café Procope Jannik Hinsch als Danton, auf der Großbildleinwand Friederike Ott.  © Sebastian Hoppe

Titelheld Danton verliert am Ende unter der Guillotine sein Haupt, wenig später auch sein Antipode Robespierre (doch gehört das nicht mehr zum Stück). Es geht um die harte Auseinandersetzung darüber, ob sich mit Gewalt eine bessere Gesellschaft herbeibluten lässt oder nicht. "Büchner sah den Menschen an sich selbst scheitern", so sagte es Friedrich Dürrenmatt.

Wie ein Motto zieht sich Heiner Müllers Merksatz "Die Revolution ist die Maske des Todes, der Tod ist die Maske der Revolution" durchs Stück. Mit Müllers "Der Auftrag" gräbt Castorf dem Büchner-Stoff echten Mehrwert ein. In diesem Theatertext von 1979 soll die Revolution von den drei Abgesandten Sasportas, Galloudec und Debuisson nach Jamaika getragen werden, wodurch dem Stoff eine kolonialistische Bedeutungsebene zuwächst, die anschlussfähig ist an die Debatte über den Postkolonialismus.

Das Spiel findet vor gemaltem Bühnenhimmel einer Flusslandschaft statt im Café Procope sowie darin und drumherum, meist mit Livekamera auf Großbildleinwand übertragen, dazu ein Soundtrack aus Elektronik und Chanson (Musik: William Minke). Bildhafter Theaterzauber entsteht, wenn die Szenerie sich um sich selber drehend in die Unterbühne abtaucht und von dort aus wieder aufscheint (Bühne: Aleksandar Denić).

Dem Ensemble gebührt sportliche wie künstlerische Bewunderung. Das Spiel ist, in den Ensembleszenen wie den Monologen, vorzüglich, genannt an dieser Stelle seien vertretungsweise Danton Jannik Hinsch (der ans Hamburger Thalia Theater wechselt), Robespierre Franz Pätzold (den Dresden-Debütanten, den man stehenden Fußes ins Ensemble engagieren sollte), Friederike Ott, Nadja Stübiger oder Torsten Ranft, nicht zuletzt wegen des gesächselten Fahrstuhlmonologs Heiner Müllers, der doch immer ein Kabinettstück ist.

Einzig zu bemängeln ist das Zeitmaß der Aufführung, gar nicht mal der reinen Dauer wegen, auch nicht, weil man als Besucher zu lange auf den Nachtbus warten muss, sondern entscheidend deshalb, weil sich zum immer weiter herausgeschobenen Finale hin der dramaturgische Akku spürbar entladen hat.

Daran ließe sich arbeiten. Ovationen vom Publikum.

Titelfoto: Sebastian Hoppe

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