Umstrittene Lesung im Stadtmuseum: Uwe Steimle zitiert aus Werk von Nazi-Opfer Klemperer

Dresden - Nach anfänglichem Widerstand findet zum morgigen Jahrestag der Reichspogromnacht eine umstrittene Lesung der Fraktion der "Freien Wähler Dresden" im Stadtmuseum statt. Unter anderem Uwe Steimle (60), Arnold Vaatz (68, CDU) und Antje Hermenau (59) sollen aus Victor Klemperers "LTI" lesen.

Im Stadtmuseum soll am morgigen Donnerstag die umstrittene Lesung stattfinden.
Im Stadtmuseum soll am morgigen Donnerstag die umstrittene Lesung stattfinden.  © Steffen Füssel

Der rechtsextreme Vordenker Götz Kubitschek (57) frohlockt: "Es liegt nahe, mit Klemperers Analysebesteck die Sprache der engen Debattenräume der BRD zu untersuchen", schreibt er zur geplanten Lesung, vergleicht damit sein Spektrum wenig versteckt mit den Opfern der NS-Diktatur.

Susanne Dagen (51, Freie Wähler Dresden), die dazu einlädt, ist Kubitschek bestens bekannt: Seine Ehefrau und die Stadträtin haben ein gemeinsames Videoformat.

Auch die Vorleser sind Stars am rechten Rand: Seit 2017 muss sich Satiriker Steimle gerichtsfest die Bezeichnung "völkisch-antisemitischer Jammerossi" gefallen lassen, tritt mit Reichsbürgern auf und verbreitet entsprechende Thesen.

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Die ehemalige Grünen-Spitzenkandidatin Hermenau präsentiert bei Twitter die Verschwörungstheorie vom "Great Reset", Vaatz wähnt sich in einer Diktatur.

Gegen die Veranstaltung im Stadtmuseum hatte sich im Vorfeld Widerstand geregt: Zunächst untersagte der Reclam-Verlag die Lesung. Dann verweigerte Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (46, Linke) die Räume, begründete das mit der Befürchtung der Holocaust-Opfer-Verunglimpfung.

Klemperer-Lesung auch ohne Steimle möglich

Ex-Fernsehstar Uwe Steimle (60) trägt die Bezeichnung "völkisch-antisemitischer Jammerossi" mittlerweile selbst auf einem eigens gedruckten T-Shirt.
Ex-Fernsehstar Uwe Steimle (60) trägt die Bezeichnung "völkisch-antisemitischer Jammerossi" mittlerweile selbst auf einem eigens gedruckten T-Shirt.  © Screenshot/YouTube

Es folgte die Kehrtwende beim Verlag, Klepsch bekam Post von Bürgermeister-Kollege Jan Donhauser (54, CDU).

"Die Zusagen von Arnold Vaatz und Antje Hermenau als Lesende belegen, dass in Dresden bekannte Demokraten an der Veranstaltung mitwirken und es sich somit nicht um eine 'neurechte' Veranstaltung handelt", so die Begründung des OB-Vertreters, der den Saal wieder freigab.

Ihre Position dazu machte Kulturbürgermeistern Klepsch auch danach nochmal klar: "Mir ging es um die 'wehrhafte Demokratie', wenn Akteure durch eine Fraktion in ein städtisches Haus geholt werden, die die Meinungsfreiheit und die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzweifeln und T-Shirts mit antisemitischem oder völkischem Inhalt zur Schau tragen."

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Übrigens: Wer Klemperer am Donnerstag ohne Steimle & Co hören will - Mitglieder vom Ensemble des Staatsschauspiels lesen ab 19.30 Uhr aus "LTI" in der Synagoge Dresden-Neustadt.

Ein Zwischenruf: Victor Klemperer und sein LTI

Victor Klemperer schrieb "LTI".
Victor Klemperer schrieb "LTI".  © Montage: dpa/Aufbau-Verlag, Archiv

Victor Klemperer (1881-1960) hatte das "Pech", Jude zu sein - und das Glück, die Nachstellungen und Mordversuche der Nazis, wenn auch nur knapp, in Dresden zu überleben.

Nach dem Krieg schrieb der Dresdner Romanist und Literaturwissenschaftler ein Schlüsselwerk über die verräterische Sprache der Nazis: LTI. Das steht für "Linqua tertii imperii" (Lateinisch), auf Deutsch: "Die Sprache des Dritten Reiches".

Seine Analyse in 34 Kapiteln zeigt: Schon die Wortwahl kündigte das Unheil an - und war Unheil selbst. Die Sprache befeuerte die Verunglimpfung der Juden und aller Andersdenkender, ebnete in den Köpfen den Weg zum Menschheitsverbrechen Shoa.

Zur Sprache eines Uwe Steimle, der auf seinem Internetauftritt schon mal einen "Reichstags Brand" bewarb und sich gleich noch über die damit provozierte Empörung lustig machte, hätte Sprachwissenschaftler Klemperer vermutlich genauso etwas zu sagen gehabt wie über die Wortwahl der neu-rechten Volksgenossen unserer Tage.

Titelfoto: Montage: Steffen Füssel, Screenshot/YouTube

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