Thielemanns Abschied: Was er an Dresden vermissen wird und was jetzt geplant ist
Dresden - Noch dreimal Thielemann, dann ist Schluss. Der 2012 begonnene Vertrag des Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle endet mit der laufenden Spielzeit, weil die Sächsische Staatsregierung es so wollte.
Zum Finale im 12. Symphoniekonzert, mit drei Aufführungen am Sonntag, Montag und Dienstag, wird das größte Konzertbesteck gezückt. Mahlers voluminöse 8. Symphonie, zuletzt aufgeführt am 30. Juni 1932 unter Leitung des bald darauf vertriebenen Fritz Busch, soll letzter Höhepunkt der Ära Thielemann sein.
Obwohl der Abschied kein selbstgewählter ist, zeigt sich der 65-Jährige im Gespräch mit TAG24 bester Stimmung.
Christian Thielemann: Dankbarer Abschied und ein optimistischer Blick voraus
TAG24: Herr Thielemann, noch ein Symphoniekonzert, dann ist Ihr Dresdner Engagement Geschichte. Mit welchen Empfindungen werden Sie Dresden hinter sich lassen?
Christian Thielemann: Ich lasse Dresden nicht hinter mir, sondern scheide lediglich aus einer Funktion aus. Ich gehe mit den schönsten Gefühlen der Dankbarkeit.
TAG24: Ihre letzte Tournee mit der Staatskapelle mussten Sie absagen, weil Sie erkrankt waren. An Ihrer Stelle dirigierten zwei junge Frauen, die international immer mehr von sich reden machen: Mirga Gražinytė-Tyla und Marie Jacquot. Was halten Sie von den Damen?
Ich freue mich, wenn solche Talente in die Musikwelt hineinwachsen. Umso mehr, weil es so viele Talente gar nicht gibt. Einen erkrankten Kollegen zu vertreten, wie in diesem Fall mich, kann wichtig sein für eine Karriere. Wäre ich bei der Staatskapelle damals nicht für meinen Vorgänger Fabio Luisi eingesprungen - wer weiß, ob ich den Weg nach Dresden gefunden hätte? Mein neues Engagement als GMD der Berliner Staatsoper kam zustande, nachdem ich für Daniel Barenboim eingesprungen war.
TAG24: Wäre die Damen jede für sich geeignet als Chefdirigentin der Staatskapelle?
Das zu beurteilen, wäre vermessen. Dafür kenne ich Frau Gražinytė-Tyla und Frau Jacquot nicht gut genug. Es wird sich weisen.
Überraschendes Ende nach 14 erfüllten Jahren
TAG24: Gibt es Momente, die Ihnen mehr als andere in Erinnerung geblieben sind aus den zurückliegenden zwölf Jahren mit der Staatskapelle?
Korrektur, es waren 14 Jahre! Vor Vertragsbeginn 2012 war ich zwei Jahre kommissarisch tätig. Es ist übrigens die zweitlängste Amtszeit eines Chefdirigenten der Staatskapelle. Außer Ernst von Schuch, der auf mehr als 40 Jahre kam, war kein Chefdirigent länger im Amt. Und was haben wir nicht alles musikalisch abgegrast in dieser Zeit! Da fällt es mir schwer, etwas Bestimmtes herauszuheben. Wir haben alle Beethoven-Sinfonien aufgeführt und aufgenommen, ebenso die Sinfonien von Bruckner, Schumann und Brahms; die Silvesterkonzerte mit den 20er-Jahre-Programmen sind zu nennen, zuletzt noch einmal Wagners "Ring", der "Tristan" und "Frau ohne Schatten" von Strauss. Was sollte da noch kommen? Ich gehe zu einem Zeitpunkt, an dem wir, die Staatskapelle und ich, auf dem Zenit angekommen sind.
TAG24: Ein Moment, den Sie schwerlich vergessen werden, wird jener gewesen sein, als Sie erfahren haben, dass der Freistaat Ihren Vertrag kein weiteres Mal verlängern wird.
Ich habe Verständnis dafür, dass man angesichts einer Amtszeit von 14 Jahren fragt, wann wohl der richtige Zeitpunkt gekommen ist, sich zu trennen. Ich habe ja selbst darüber nachgedacht. So unvermittelt, wie es dann kam, war es aber doch überraschend für mich.
TAG24: In einem unserer früheren Interviews sprachen Sie von drei Jahren, die Sie gern weitergemacht hätten.
Vielleicht. Das wäre eine Frage von Verhandlungen gewesen. Solche gab es nicht.
TAG24: Wer hat Ihnen das Aus mitgeteilt?
Der Ministerpräsident.
TAG24: Wie hat er Ihnen das Ende der Zusammenarbeit begründet?
Er hat keine Gründe genannt, er hat es mir mitgeteilt. Das war alles.
Überraschung statt Enttäuschung und ein Neuanfang in Berlin
TAG24: Vom Projekt "Semper2030", das die Kulturministerin der Öffentlichkeit zur Begründung auftischte, war später nicht mehr die Rede. War das bloß eine Vorspiegelung, um Sie loszuwerden?
Das weiß ich nicht. Ich kenne dieses Projekt nicht.
TAG24: Wie tief saß die Enttäuschung?
Es war wirklich mehr Überraschung als Enttäuschung. Die Nachricht war kaum öffentlich geworden, als noch am selben Abend mein Telefon läutete. Du wirst bald viel Zeit haben, hieß es, und es purzelte Angebot auf Angebot herein. Innerhalb von zwei Wochen war mein Kalender für drei Jahre gefüllt. Da war gar keine Zeit, enttäuscht zu sein.
TAG24: Sie haben nach der Entscheidung eine Zeitlang geschwiegen, danach kein böses Wort über die Angelegenheit verloren, stattdessen die gute Zusammenarbeit mit der Staatskapelle beschworen. Mussten Sie sich sehr zusammenreißen?
Überhaupt nicht. Ein Vertrag läuft aus. So ist der Lauf der Dinge. Ich bin völlig im Reinen damit.
TAG24: Die Dinge haben sich gefügt für Sie: Mit der neuen Spielzeit sind sie neuer Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. Hat der Freistaat Sachsen Ihnen mit der Nichtverlängerung des Vertrags am Ende einen Gefallen getan?
Ich bin tatsächlich froh darum, wie alles gekommen ist. Als ich für Daniel Barenboim in Berlin an der Staatsoper einsprang und anschließend mit dem Orchester eine Asien-Tournee absolvierte, war kein Gedanke an eine feste Position. Das Angebot an mich ergab sich aus der guten Zusammenarbeit. Ich habe mit Freude zugesagt.
TAG24: Anfang Juni erhielten Sie die Sächsische Verfassungsmedaille für Ihre kulturellen Verdienste um den Freistaat. Eine Auszeichnung aus schlechtem Gewissen Ihnen gegenüber?
Nein, das glaube ich nicht. Von allen Politikern in Sachsen war Landtagspräsident Matthias Rößler, der mir die Auszeichnung verliehen hat, derjenige, den ich am häufigsten in der Oper gesehen habe. Er ist sehr theateraffin. Vielleicht hat das eine Rolle gespielt.
TAG24: Wenn Sie jetzt gehen: Bleibt kein Groll?
Keine Spur. Ich kann einfach nichts Schlechtes sehen. Sie sprechen mit einem hochzufriedenen Menschen!
Wird Thielemann nach Dresden zurückkehren?
TAG24: Zum Abschied dirigieren Sie Mahlers gigantische 8. Symphonie. Mahler ist ein Komponist, dessen Werke Sie selten dirigieren. Was nimmt Sie ein für dieses Werk?
Es ist ein Werk, bei dem man unter anderem Organisieren lernt. Es ist so groß, bedeutend und vielfältig, man muss so viele Elemente, darunter drei Chöre, zusammenhalten. Ich habe es vor einigen Jahren schon einmal in München aufgeführt. Es hat etwas Sportives, auch Mathematisches. Und es ist Goethe! "Faust" - der Schluss des zweiten Teils. Was kann man sich Größeres vorstellen für ein Abschiedskonzert? Es ist ein Geschenk.
TAG24: In ein paar Wochen sind Sie GMD in Berlin. Neben Ihren Chefpositionen waren immer die Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker und die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth Ihre musikalischen Ankerplätze. Bleibt es dabei?
Dabei bleibt es. Die Lindenoper und die Staatskapelle Berlin haben natürlich Vorrang. Dann sind da das Orchester des Bayerischen Rundfunks, das Concertgebouw-Orkest in Amsterdam, die Wiener und Berliner Philharmoniker, ab nächstes Jahr bin ich auch wieder in Bayreuth. Mit einigen Partnern habe ich Verabredungen bis 2030.
TAG24: Haben Sie kein Interesse, als Gastdirigent nach Dresden zurückzukommen? Oder will die Kapelle nicht? Termine gibt es bisher keine.
Zur neuen Saison beginnt auch bei der Staatskapelle ein neuer Chefdirigent. Der muss alle Möglichkeiten haben, sich künstlerisch zu entfalten. Da passt es nicht, wenn ständig noch der Vorgänger aufkreuzt. Meine Verpflichtungen ließen das in den kommenden Jahren auch gar nicht zu. Bis ins Jahr 2029 ist mein Terminkalender prall gefüllt. Mal schauen, was dann ist. Natürlich möchte ich irgendwann wiederkommen.
Vermissen wird Thielemann nicht nur die Musik
TAG24: Abgesehen von der Musik: Was von Dresden wird Ihnen am meisten fehlen?
Außer dem Klang der Kapelle? Es ist das Publikum. Zuletzt beim "Ring", beim "Tristan" und bei "Frau ohne Schatten" waren es solche Eruptionen von Begeisterung im Saal, wie ich es sonst nur aus Wien kenne. Was noch? Meinen Arbeitsweg werde ich vermissen, wie ich mit dem Fahrrad auf diesen wunderschönen Theaterplatz, mit diesem herrlichen Operngebäude, zufahre. Die Museen werden mir fehlen, in denen ich oft gewesen bin, meine Dresdner Freunde und letztlich die Stadt an sich. Dresden ist wirklich ein Traum.
Titelfoto: Montage: Markenfotografie, Soeren Stache/dpa