Seiltanz über den Welten: Nobelpreisträger Orhan Pamuk mit Schau und Buch für Dresden

Dresden - Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk (71), Literaturnobelpreisträger des Jahres 2006, schenkt Dresden ein neues Buch. Das allein schon wäre Auszeichnung genug, und doch ist die Schrift "nur" Beiwerk als literarisch kommentierender Katalog zur von ihm mitkuratierten Ausstellung "Orhan Pamuk. Der Trost der Dinge" im Semper-Kabinett der Gemäldegalerie Alte Meister.

In der Mixed-Media-Arbeit "Ich, der Seiltänzer" (2023) kondensiert Orhan Pamuk sein Wandeln zwischen Ost und West.
In der Mixed-Media-Arbeit "Ich, der Seiltänzer" (2023) kondensiert Orhan Pamuk sein Wandeln zwischen Ost und West.  © Petra Hornig

Zu sehen sind tiefgründig-faszinierende Collagen aus Objekten, Bildern und Texten.

Die Schau geht zurück auf Pamuks Roman "Das Museum der Unschuld" (2008). Darin erzählt er die zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte des 30-jährigen Kemal und seiner jüngeren Cousine Füsun. Nach deren Tod entwickelt Kemal eine Sammelbesessenheit für Alltagsgegenstände, die er in ihrem ehemaligen Haus ausstellt. 2012 richtete Pamuk in Istanbul das gleichnamige "Museum der Unschuld" ein, in dem selbst gesammelte Objekte in Vitrinen arrangiert, einem lebendigen Museum.

Für das Dresden-Projekt hat der Autor 41 der 78 als "Kabinette" bezeichneten, mit selbst gesammelten Fotos, Fläschchen, Hygieneartikeln, Knöpfen, Pässen oder Taschenuhren dekorierten Vitrinen - mitunter modifiziert - im Zwinger nachbauen lassen. Immer nach seinen genauen Skizzen.

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In dieser Größenordnung ist die Präsentation erstmals außerhalb Istanbuls zu sehen.

Ein Akt der Balance

Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk (71) erklärt die Ausstellung "Der Trost der Dinge."
Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk (71) erklärt die Ausstellung "Der Trost der Dinge."  © Petra Hornig

19 Kabinette wurden neu entwickelt: Auf Anfrage der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) hatte Pamuk Anfang des Jahres Dresden besucht und sich mit Werken der SKD-Sammlungen auseinandergesetzt. Derart inspiriert entstanden neue Collagen, die mit Motiven seiner Literatur verwoben sind.

"Orhan Pamuks Romane erzählen von der Suche nach Identität zwischen Orient und Okzident, beschreiben dabei die Sehnsucht nach Synthese von alten und modernen Traditionen", sagt SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann (58).

So zeigt etwa die Arbeit "Ich, der Seiltänzer" (2023) eine solche Figur über einem chinesischen Hund aus der Porzellansammlung und dem Bild "Hund, kleinwüchsiger Mann und Junge" von Johannes Fijt (1611-1661). Es gehe darum, schreibt Pamuk, nicht zwischen den Kunstauffassungen des Westens und des Ostens in die Tiefe zu stürzen.

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Zwischen beiden Welten müsse der Seiltänzer hin- und herlaufen. "Das", so Pamuk, "ist meine Auffassung von Kunst und Literatur!"

Die Kraft der Dinge

Installationen in Vitrinen: Der Autor hat seinen Spitznamen "Krähe" in "Krähe und der Friedhof" (2023) verewigt.
Installationen in Vitrinen: Der Autor hat seinen Spitznamen "Krähe" in "Krähe und der Friedhof" (2023) verewigt.  © Petra Hornig

So beschäftige er sich in seinem Roman "Das neue Leben" (1994) mit der Darstellung islamischer Engelsdarstellungen in Rilkes "Duineser Elegien" und verknüpfe sie nun in der Ausstellung mit dem Gemälde "Gebet des heiligen Bonaventura um die Wahl des neuen Papstes" (1628/29) von Francisco de Zurbarán in postmoderner Weise.

Der besondere Wert von Museen sei ihm klar geworden sowie der Zusammenhang von Objekten aufeinander und zu Menschen und deren Gedanken und Sorgen: "Das nenne ich die Kraft der Dinge - eine tröstende Kraft gegen die vergehende Zeit."

Nachzulesen im Buch "Der Trost der Dinge. Dresdner Ausgabe", erschienen im Hanser Verlag, (30 Euro). Die Schau - begleitet von einem Audioguide über die eigenen Smartphone-Kopfhörer - wird flankiert von in der Corona-Zeit entstandenen Fotografien in der "Home Edition" im Studiolo des Residenzschlosses und läuft bis 7. April 2024. Danach wechselt sie als Wanderausstellung nach München und Prag.

Pamuk wurde als erster türkischer Schriftsteller mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, nach Norwegen ging die Ehrung jedoch bereits mehrfach - so auch in diesem Jahr.

Nobelpreis für Literatur 2023

Vergangenes Jahr nominiert für den International Booker Prize, dieses Jahr Gewinner des Nobelpreises: Jon Fosse (64).
Vergangenes Jahr nominiert für den International Booker Prize, dieses Jahr Gewinner des Nobelpreises: Jon Fosse (64).  © David Cliff/AP/dpa

Der norwegische Schriftsteller Jon Fosse (64) wird dieses Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Das gab die Schwedische Akademie am gestrigen Donnerstag bekannt.

Fosse erhalte die Auszeichnung für seine innovativen Theaterstücke und seine Prosa - damit gebe er "dem Unsagbaren eine Stimme", sagte der Ständige Sekretär der Akademie. "Ich bin überwältigt und sehr froh und dankbar", sagte der glückliche Geehrte.

Feierlich überreicht werden die Nobelpreise am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).

Dotiert sind die Auszeichnungen dieses Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) pro Kategorie.

Titelfoto: Bildmontage: Petra Hornig//Petra Hornig

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