Reichsbürger plant Staatsstreich in Sachsen: Diese "Dreigroschenoper" ist radikal anders
Dresden - Wenn Regisseur Volker Lösch ein Theaterstück inszeniert, ist Provokation eingepreist. Nun hat er für das Dresdner Staatsschauspiel Bertolt Brechts Über-Klassiker "Die Dreigroschenoper" radikal umgedeutet und in ein Sachsen von heute verlegt, in dem Reichsbürger und rechtspopulistische Politiker Umsturzträume in die Tat umsetzen wollen. Bejubelte Premiere war am Freitag im Schauspielhaus.
In seinem wohl populärsten Stück klagte Brecht 1928 wütend den Kapitalismus an. Bei Lösch führt der einstige Bettler-Mafia-"Unternehmer" Peachum nun die Partei Perspektive für Deutschland ("PfD") an und will sich zum sächsischen Ministerpräsidenten wählen lassen.
Gangster-Konkurrent Macheath, genannt Mackie Messer, plant hingegen als Reichsbürger den Putsch an die Macht. Zwei Träume von neurechter Machtergreifung stehen einander gegenüber - hier und heute, vor der pittoresken Kulisse des Nymphenbads im Zwinger.
Normalerweise hatten die Aufführungen von Brechts Stücken möglichst originalgetreu zu sein, darüber wachten dessen besonders strenge Erben. In dieser "Dreigroschenoper"-Bearbeitung konnten Lösch, Autor Lothar Kittstein und Staatsschauspiel-Chefdramaturg Jörg Bochow mit deren Genehmigung stark ins Stück eingreifen und um gut ein Drittel mit aktuellem Text ergänzen.
Um die Erfahrung von Löschs skandalöser, teilweise untersagter "Weber"-Inszenierung - für die er 2004 den "Bürgerchor" erfand - ging es dabei nicht, erklärten Bochow und Intendant Joachim Klement.
Es sei gängige Theaterpraxis, sich starke Eingriffe in Texte von Rechteverwaltern genehmigen zu lassen - und wenn man es seriös mache, gelinge es auch.
So kurios sind die Figuren im Theaterstück
Die Umdichtung funktioniert bei allen Stärken und Schwächen des für Lösch typischen Agitprop-Theaters famos. Zu Beginn verdreschen PfD-Kandidat Peachum (Philipp Grimm) und seine Frau Celia (Sarah Schmidt mit Alice-Weidel-Perlenkette) einen Bomberjacken tragenden "Vollidioten aus Pirna", weil man vor der Landtagswahl zwar Wut erregen wolle, aber "maßvoll, nicht radikal".
Anders der von Jannik Hinsch, Spezialist für lauernd gewaltbereite Charaktere, schillernd gespielte Mackie Messer: Der hat ein Sammelsurium aus Querdenker-Witzfiguren um sich versammelt, Schwurbler, Esoterikerinnen, völkische Trachten-Typen und "gelernte" Ost-Revoluzzer. Gemeinsam pöbelt man gegen Syrer, die dritte Klotür oder - natürlich - die Medien. Das ist sehr bissig, mal platt, oft witzig.
Macheath will sich zudem zum Kurfürst von Sachsen krönen lassen und ernennt seine volltätowierte Proll-Gattin, Peachums Tochter Polly (Henriette Hölzel), zur stellvertretenden Kurfürstin.
Wenn Polizeichef "Tiger" Brown (Thomas Eisen) abgezweigte Kalaschnikows ausgibt, vergeht der Spaß: Die Bande hält die Knarren direkt ins Publikum: "Findet ihr uns witzig?"
Doch dann gewinnt die "PfD" mit 58 Prozent die Wahl und will sogleich die "Eliten ans Bundesverdienstkreuz nageln".
Bertolt Brecht dürfte diese "Dreigroschenoper" wohl gefallen
Macheath wird Peachums Mitstreiter. Da stellt sich die Frage, ob die Gründung einer Bank nicht besser sei als ein Banküberfall, neu: "Was ist ein Putsch gegen eine Landtagswahl?"
Das schmerzt so sehr, dass es den Zwickauer Aktivisten Jakob Springfeld (als Ein-Mann-Bürgerchor) kaum gebraucht hätte: Er berichtet am Ende von rechter Drangsalierung und warnt: "Egal ob Grimma oder Dresden: Wer schweigt, stimmt zu!"
Dass Löschs bestürzend aktuelle Polit-Agitation aber auch toll unterhält, liegt an viel Tempo und den unangetasteten, wenn auch in der Dramaturgie umgestellten Weill-Songs (musikalische Leitung: Michael Wilhelmi). Die überragende Henriette Hölzel spielt und singt sich als Polly Peachum solistisch zum Star des Abends, erhält für ihre intensive "Seeräuber-Jenny"-Ballade berechtigten Szenenapplaus.
Der Plan war eine "Repolitisierung" der "Dreigroschenoper". Das ist so aufrüttelnd wie hinreißend gelungen - Brecht dürfte es eigentlich gefallen.
Titelfoto: Sebastian Hoppe