Komponist Sven Helbig vor Uraufführung seines neuen Werks in Dresden
Dresden - Der in Eisenhüttenstadt geborene Dresdner Komponist Sven Helbig (57) ist Kunstpreisträger der Stadt und ein internationaler Star. Er arbeitete mit Rammstein und den Pet Shop Boys und ist ebenso in der Klassik zu Hause. 1997 war er Mitbegründer der Dresdner Sinfoniker. Für den Kreuzchor hat Helbig anlässlich des 80. Jahrestags von Kriegsende und Bombardierung Dresdens ein Werk geschrieben, das am 9. Februar in der Kreuzkirche uraufgeführt wird: "Requiem A". Es spielt die Staatskapelle, Solist ist der Sänger René Pape (50), Helbig selbst übernimmt die Elektronik.
TAG24: Herr Helbig, das "A" im Titel Ihres Requiems steht für Anfang. Was fängt an mit Ihrer Komposition?
Sven Helbig: Das "A" steht auch für Atem - als Symbol des Lebendigen - oder Aufbruch. Mein Requiem reagiert auf die Rückkehr des Krieges nach Europa und stellt die Frage, auf welche Weise die Menschen aus dieser ewigen Spirale von Gewalt und Vergeltung herausfinden können. Mit Wende und Wiedervereinigung hielt ich den Krieg in Europa für überwunden, nun ist er ganz real wieder da und beschäftigt unsere Debatten in der Politik, im Freundeskreis, im Alltag. Wieso werden wir diese alten Gespenster nicht los? Was könnte am Anfang stehen, Gewalt und Unversöhnlichkeit zu überwinden? Darum geht es.
TAG24: Das Requiem gehört zu den traditionellsten Formen der Musik. Was interessiert einen zeitgenössischen Komponisten an dieser Musikform?
Ich begebe mich sehr überlegt in diese Tradition. Keine andere Musikform setzt sich so fundiert mit Tod, Vergänglichkeit und Tröstung auseinander wie diese. Diese strenge Form kommt meiner Arbeitsweise entgegen. Ich beschäftige mich seit langer Zeit mit dieser Thematik, aber bis etwas Musik wird, müssen sich Gedanken, Überlegungen und Ideen in mir so stark angereichert haben, bis etwas Wahrhaftiges herausfällt. Erst dann beginne ich mit der kompositorischen Arbeit. Eine Form wie die des Requiems zwingt zum Inhalt, das tut meiner Arbeit gut.
TAG24: Die Tradition des Requiems ist eine zutiefst christliche. Inwieweit ist Ihr Werk vom christlichen Glauben berührt?
Für mich ist das Christliche zunächst ein Kulturgut, das alles durchdringt, was wir künstlerisch tun. Es ist so stark, dass es stehen bleibt, auch wenn der Glaube durch das wissenschaftliche Weltbild ins Wanken geraten ist.
Komponist Sven Helbig bezeichnet sich als "Agnostiker"
TAG24: Wie ist Ihre eigene Glaubensposition und wie beeinflusst sie Ihre Komposition?
Ich bezeichne mich als Agnostiker. Ich vermute durchaus ein höheres Prinzip, das außerhalb des Menschlichen liegt, aber nicht zwingend Gott genannt werden muss. Ich bin aber voller Ehrfurcht vor dem Phänomen des Gottesglaubens, auch vor der Erhabenheit, die viele Kirchenbauten ausstrahlen. Es spricht daraus die Sehnsucht des Menschen nach einer höheren Antwort.
TAG24: In christlicher Tradition geht es im Requiem letztlich um Erlösung. Kann Ihr Requiem damit etwas anfangen?
Es geht mir mehr um den Blick auf jene Menschen, die nach Erlösung suchen, und darum, dass die Sehnsucht nach Erlösung missbraucht werden kann. Im Sanctus ist dieses Motiv bestimmend.
TAG24: Sie mischen liturgische Texte mit selbst verfassten Texten. Wovon handeln diese?
Sie suchen alle den Weg aus der Trauer ins Leben. Ich sehe diese neuen Texte als Ergänzung zur traditionellen Liturgie - Altes und Neues in Einheit, so wie auch eine kriegsversehrte Stadt wie Dresden aus Alt und Neu besteht.
Sven Helbig arbeitet mit Kreuzchor und Staatskapelle zusammen
TAG24: Sie hätten für die Texte auch einen Dichter hinzuziehen oder auf bestehende Dichtung zurückgreifen können, wie Benjamin Britten es im "War Requiem" tat. Stattdessen haben Sie sich für die eigene Autorenschaft entschieden. Steckt ein bisschen Richard Wagner in Ihnen? Der traute nur sich selbst.
So weit würde ich nicht gehen. Fremde Texte bedeuten fremde Perspektiven. Dann geht es um Erfahrungen, die andere Menschen gemacht haben, nicht ich. Vergänglichkeit, Tod und Trauer sind Themen, die alle betreffen, doch sie sind für jeden Menschen sehr persönlich. Das Persönliche, so weit es um mich geht, kann nur ich selbst formulieren.
TAG24: Wann haben Sie mit der Arbeit begonnen - hatten Sie einen Kompositionsauftrag?
Es gab keinen Auftrag. Ich habe vor einem Jahr begonnen, weil mich das Thema so sehr bewegt hat.
TAG24: Wie ist die Zusammenarbeit mit Kreuzchor und Staatskapelle zustande gekommen?
Ich habe dem Kreuzchor das Projekt angeboten, Kreuzkantor Martin Lehmann fand mein Konzept überzeugend und sagte: Ja, das machen wir! In diesem Zug haben wir auch das Interesse der Staatskapelle gewinnen können. Ich freue mich sehr darüber, dass mir, der ich nicht aus der liturgischen Welt komme, so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Und ich denke, es ist ein schönes Signal aus Dresden, an diesem Tag etwas Neues zu versuchen.
Weltstar René Pape ist Teil des Musik-Projekts
TAG24: Wie haben Sie René Pape für das Projekt gewonnen? Der Mann ist ein Weltstar.
Wir kennen uns schon recht lange. Als er hörte, woran ich arbeite, wollte er unbedingt mitmachen. Pape war früher Kruzianer, da passt es umso besser. Ich hatte eigentlich keinen Solisten vorgesehen, aber weil ich ihn gern dabeihaben wollte, habe ich ihm zwei Bassarien geschrieben. Wenn ich daran denke, wie er sie mir vorgesungen hat, bekomme ich eine Gänsehaut.
TAG24: Das Requiem wird auch Aufführungen in Wien und Coventry erleben. Wie kam es dazu?
Die Aufführung in Coventry kam durch Vermittlung von Kreuzkantor Lehmann zustande. In Wien traf ich zufällig Jan Nast, den Intendanten der Wiener Symphoniker, der nach einem Projekt suchte für den 8. Mai, den Jahrestag des Kriegsendes. Da spricht vorher Bundespräsident Van der Bellen. Ein hoch angebundener Festakt, viel Verantwortung, das lastet wie ein Zementsack auf meinen Schultern.
TAG24: Uraufführung ist in Dresden. Was bedeutet das für Sie?
Ich bin ein Dresdner Komponist, habe aber lange zu kämpfen gehabt, in der Stadt wahrgenommen zu werden. Das liegt auch daran, dass ich international viel unterwegs bin. Vor einigen Jahren war ich auf Einladung von Jan Vogler Composer in Residence beim Moritzburg Festival, vor zwei Jahren habe ich für die Staatsoperette die Ballettmusik "Alice im Wunderland" geschrieben. Das hat in der Stadt Aufmerksamkeit erfahren, die Aufführungen sind gut verkauft. Da bin ich zum ersten Mal mit einer größeren Arbeit in Dresden angekommen. Das Requiem ist im klassischen Bereich meine bisher gewichtigste Komposition. Sie in Dresden uraufführen zu dürfen, ist sehr wichtig für mich.
Titelfoto: Bildmontage: Norbert Neumann, C. Weingard