Im "Schwarzen Kanal" durfte Ede nach Herzenslust sudeln: Vor 65 Jahren startete die Propaganda-Sendung

Dresden - Jeden Montagabend durfte der artige Bürger der DDR auch Bilder aus dem Westfernsehen gucken. Damit er die Botschaften aus dem Land des Klassenfeindes richtig zu interpretieren verstand, erklärte ein gewisser Karl-Eduard von Schnitzler, auch "Sudel-Ede" genannt, wie schlimm es im kapitalistischen Westen zuging.

Der Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler (* 28. April 1918; † 20. September 2001), flimmerte mit dem schwarzen Kanal mehr als 1500-mal auf den Mattscheiben.
Der Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler (* 28. April 1918; † 20. September 2001), flimmerte mit dem schwarzen Kanal mehr als 1500-mal auf den Mattscheiben.  © picture alliance/ZB

Vor 65 Jahren, am 21. März 1960, ging im DDR-Fernsehen erstmals "Der schwarze Kanal" auf Sendung. Dass Schnitzler bei der Bevölkerung zu den meistgehassten Systemvertretern gehörte, wurde ihm erst mit den Leipziger Montagsdemonstrationen klar.

Im Kalten Krieg gehörte Fernsehpropaganda zu den wichtigsten Waffen im Kampf der Systeme. Man strahlte seine Programme weit in das Feindesland hinein. Der Westen etwa erreichte alles - "außer Raum Dresden" (ARD).

Dem Politbüro missfiel besonders die Sendung "Die Rote Optik", in der das Westberliner Studio des NDR aller Vierteljahre für eine Dreiviertelstunde Fernsehbilder aus der DDR als Propaganda entlarvte. Vor 65 Jahren wurde dann zurückgeschossen.

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"Der schwarze Kanal" nutzte ebenfalls Fernsehbilder des Klassenfeindes. Doch Schnitzler schnitt die kurzen Sequenzen teils aus dem Zusammenhang heraus und stückelte sie ideologisch ummantelt wieder so aneinander, dass es für seine bissige Polemik brauchbar war: Im Westen lauert das Böse wie Massenarbeitslosigkeit und Ausbeutung, es gibt profitgierige Großunternehmer, alte und neue Nazis.

Kurz: Die werktätigen Massen werden geknechtet und das friedliche Volk der DDR verleumdet.

Der bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) war lange Schnitzlers Lieblingsfeind.
Der bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) war lange Schnitzlers Lieblingsfeind.  © Imago/United Archives
Als in den 1980er-Jahren Mittelstreckenraketen stationiert wurden, tobte die Propagandaschlacht im TV besonders heftig.
Als in den 1980er-Jahren Mittelstreckenraketen stationiert wurden, tobte die Propagandaschlacht im TV besonders heftig.  © Imago/United Archives

Gegenstück zum "Schwarzen Kanal"startete 1969 im ZDF

Das ZDF-Magazin mit Moderator Gerhard Löwenthal sendete von 1969 bis 1987 Ostthemen.
Das ZDF-Magazin mit Moderator Gerhard Löwenthal sendete von 1969 bis 1987 Ostthemen.  © Imago/United Archives

Der feinen Klinge zog Schnitzler den Säbel vor. Kanzler Adenauer war bei ihm "der verrückte Alte", Präsident Lübke "die missglückte Hindenburg-Imitation" und der Westberliner Oberbürgermeister "Willy Weinbrandt".

Er glorifizierte den Berliner Mauerbau und nannte den 18-jährigen Peter Fechter, der beim unbewaffneten Fluchtversuch am Checkpoint Charlie vor laufender Kamera verblutete, einen "angeschossenen Kriminellen".

Als vermeintliches Gegenstück zum "Schwarzen Kanal" ging 1969 "der radikale Konservative" Gerhard Löwenthal mit dem ZDF-Magazin auf Sendung. Auch wenn dieser "Kalte Krieger" die Reportagen aus dem Ostblock nicht fälschte, ging auch er meinungsstark und oft polemisierend vor. Im Osten hatte er durchaus Fans, in der BRD war seine Sendung recht umstritten.

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Die knappe halbe Stunde des adligen Kanalarbeiters schaute man im Osten, wenn man nicht schnell genug ab- oder umgeschaltet hatte, höchstens mal als Realsatire. Die Einschaltquoten nach dem beliebten Montagsfilm stürzten auf sieben Prozent ab. Schnitzler galt den meisten nur als eifernder Lügner.

Schnitzler kam immer davon

Andrang von arbeitslosen BRD-Bürgern beim Arbeitsamt - für Schnitzler war das immer ein gefundenes Fressen.
Andrang von arbeitslosen BRD-Bürgern beim Arbeitsamt - für Schnitzler war das immer ein gefundenes Fressen.  © imago/Klaus Rose
Bei den Montagsdemonstrationen entlud sich auch der Zorn auf Schnitzler, einem der meistgehassten Vertretern des Systems.
Bei den Montagsdemonstrationen entlud sich auch der Zorn auf Schnitzler, einem der meistgehassten Vertretern des Systems.  © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Spätestens seit der Söckchen-Affäre seiner Frau Marta Rafael. Die Ossis erfuhren aus dem Westradio, dass sie beim Einkauf in einem Westberliner Kaufhaus als Ladendiebin verhaftet worden war. Die Tasche voller Kosmetik und West-Illustrierten hatte sie bezahlt, doch zwei Paar Damensocken heimlich vorbeischmuggelt.

Das Politbüro kaufte selbst in Westberlin ein, das konnte man Schnitzler nicht ankreiden. Doch dass durch den Diebstahl die offenbare Scheinheiligkeit an die große Glocke gehängt wurde, nahmen ihm die Genossen übel. Vielmehr jedoch seine Angewohnheit, in Westberliner Bars regelmäßig hackevoll vom Hocker zu purzeln.

Doch Schnitzler kam immer davon. Man brauchte ihn. Während die greiser werdenden Politiker um Honecker nur abgestandene Parolen vom Sieg des Sozialismus und aneinandergereihte dürre Floskeln in die Kameras zu leiern vermochten, schmetterte Schnitzler die Kampf-Posaune.

Nur selten musste von Schnitzler, der sich als Urenkel von 99-Tage-Kaiser Friedrich III. ausgab, seine Tiraden zensieren. Als die DDR einen überlebenswichtigen Kredit benötigte, durfte er seinen Lieblingsfeind, den "Kommunistenfresser" Franz Josef Strauß, nicht mehr attackieren.

Als Löwenthal 1987 - gegen seinen ausdrücklichen Willen - mit 65 in den Ruhestand versetzt wurde, feierte die Stasi das wie den Sieg im Propagandakrieg. Und Schnitzler ließ es sich nicht nehmen, dem nun stummen Widersacher noch so manchen Tritt in den Hintern nachzuschicken.

Titelfoto: picture alliance/ZB

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