Einer der letzten Buchenwald-Überlebenden: Was der Ex-KZ-Häftling Dresdner Schülern rät

Dresden - Er ist einer der letzten Überlebenden: Von Mai 1944 bis April 1945 wurde Andrei Iwanowitsch Moiseenko (98) im Konzentrationslager Buchenwald gefangen gehalten. Vor rund 70 Bühlauer Gymnasiasten erzählte er nun seine Geschichte.

Ermutigte die Schüler, nie mit dem Lernen aufzuhören: Buchenwald-Überlebender Andrei Iwanowitsch Moiseenko (98) holte mit 24 Jahren abends seine Schulbildung nach, studierte dann Ingenieurswesen. Seit einigen Jahren lernt er Deutsch.
Ermutigte die Schüler, nie mit dem Lernen aufzuhören: Buchenwald-Überlebender Andrei Iwanowitsch Moiseenko (98) holte mit 24 Jahren abends seine Schulbildung nach, studierte dann Ingenieurswesen. Seit einigen Jahren lernt er Deutsch.  © Petra Hornig

Moiseenko wurde 1926 in Budjonnowka in der Sowjetunion (heute Ukraine) geboren. Mit 15 wurde er als Vollwaise nach Nazi-Deutschland verschleppt, war erst Zwangsarbeiter in Leipzig, 1944 folgte die Verlagerung ins KZ Buchenwald.

"Für eine gesunde Psyche muss man Gedanken an diese Zeit beiseiteschieben", sagt der Zeitzeuge. Und trotzdem berichtet er: "Wir waren von der Außenwelt abgeschottet, nachts wurden Mithäftlinge verschleppt und erschossen."

Auch Moiseenko selbst sollte auf einem Todesmarsch nach Dessau exekutiert werden. Gerade noch rechtzeitig wurde die Gruppe am 14. April 1945 von US-Soldaten befreit.

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Sein Leben nach Krieg und Armeedienst hat er nach einem Leitsatz ausgerichtet. "Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet und gelernt. Das ist mein Lebensmotto."

Andrei Iwanowitsch Moiseenko ist einer der letzten Buchenwald-Überlebenden

In der Bühlauer St. Michaelskirche fand das Zeitzeugengespräch statt. Die Reihen waren gut gefüllt.
In der Bühlauer St. Michaelskirche fand das Zeitzeugengespräch statt. Die Reihen waren gut gefüllt.  © Petra Hornig

Er holte seine nach der siebten Klasse abgebrochene Schulbildung neben der Arbeit in einer Konstruktionsfirma nach, schrieb sich dann für ein Ingenieursstudium ein.

"Von 8 bis 17 Uhr war ich auf der Arbeit, von 18 bis 22 Uhr habe ich gelernt", erinnert er sich. Und er ist heute noch wissbegierig, lernt seit einigen Jahren Deutsch.

Das Leben der Schüler, denen der 98-Jährige gestern gegenübersaß, ist zweifellos leichter als seines damals. Doch der rüstige, alte Mann mit der adretten Kleidung wirkt nicht verbittert, sondern lebensbejahend. Auch die Hoffnung an eine bessere Welt hat er nicht aufgegeben: "Wenn Sie arbeiten und lernen, kann sich auf der Welt etwas zum Guten verändern", appelliert er an seine jungen Zuhörer.

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Elftklässler Paul Kempe (18) zeigte sich tief beeindruckt. "Ich rede mit meinen Großeltern über die DDR, aber ich habe keine Verwandten mehr, die den Nationalsozialismus miterlebt haben. Das passiert viel zu selten, mit Zeitzeugen zu reden."

Und Mitschüler Richard Schneer (18) ergänzt: "Wenn jemand vor einem steht, der aus seiner Erfahrung redet, realisiert man erst, dass die Geschichte wirklich passiert ist."

Zuhören statt stolpern, findet TAG24-Redakteurin Karoline Bernhardt

Die Elftklässler Paul Kempe (18) und Richard Schneer (18) vom Gymnasium Bühlau waren vom Besuch des Zeitzeugen beeindruckt.
Die Elftklässler Paul Kempe (18) und Richard Schneer (18) vom Gymnasium Bühlau waren vom Besuch des Zeitzeugen beeindruckt.  © Petra Hornig

Zeitzeugen zuzuhören, die aus erster Hand über vergangenes Unrecht berichten, ist wichtig. Wer den Schrecken der Nationalsozialisten nachvollziehen will, kommt um Schilderungen Betroffener nicht herum. Und seien es solche, deren Erinnerungen in Dokumentarfilmen aufgezeichnet sind.

"Stolpersteine" hingegen: na ja. Die Absicht ist aller Ehren wert: Die Opfer der Nazis sollen aus der Anonymität herausgeholt werden, Passanten im wahrsten Sinne des Wortes über die Wohnorte der Ermordeten "stolpern".

Nur die Wirkung ist fraglich. Die Gedenksteine finden sich seit Jahren im Stadtbild zahlreicher Städte. Allein in Chemnitz und Dresden sind jeweils mehr als 300, in Leipzig sogar mehr als 700 "Stolpersteine" zu finden. Einige von ihnen wurden erst in jüngerer Zeit verlegt. Trotzdem steigen etwa antisemitische Straftaten rasant, das politische Klima ist aufgeheizt.

Persönliche Gespräche mit echten Menschen zu organisieren, ist aufwendig und nicht mehr lange möglich. Doch es macht Eindruck.

Die Dresdner Schüler, die am Montag mit dem Buchenwald-Überlebenden Andrei Iwanowitsch Moiseenko redeten, werden die Begegnung sicher lange im Gedächtnis behalten. Schön wäre es, wenn Gedenkminuten an "Stolpersteinen" da mithalten könnten. Aber können sie halt nicht.

Titelfoto: Montage: Petra Hornig

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