Neue Semperoper-Intendantin: "Welt nicht in Schwarz und Weiß aufteilen"
Dresden - Nora Schmid (45) aus Bern (Schweiz) war Anfang der 2010er-Jahre schon einmal an der Semperoper, als Chefdramaturgin und Persönliche Referentin der damaligen Intendantin Ulrike Hessler (1955-2012). Seit dieser Saison ist sie selbst Intendantin am Semperhaus. Im Vorfeld der ersten Premiere ihrer Intendanz, Arrigo Boitos "Mefistofele" (28. September), sprachen wir mit ihr unter anderem darüber, wie man in politisch unruhigen Zeiten ein Opernhaus führt.
TAG24: Frau Schmid, Ihre erste Premiere als neue Intendantin der Semperoper steht an. Wie ist es um Ihre Nervosität bestellt?
Nora Schmid: Ein gewisses Maß an Nervosität gehört dazu, wenn etwas beginnt. Das ist ganz natürlich. Aber stärker verankert bei mir ist eine andere Empfindung. Vergangenes Wochenende haben wir am Samstag die Saison mit einer Auftaktveranstaltung eröffnet und am Sonntag zum Tag der offenen Tür eingeladen. An die 10.000 Menschen sind unserer Einladung gefolgt, ich bin mit vielen von ihnen ins Gespräch gekommen. Das hat mir gezeigt, wie hoch das Interesse ist an dem, was wir tun, und wie groß die Ausstrahlung der Semperoper auf die Menschen ist. Das hat mir zusätzliche Energie und Freude gegeben.
TAG24: Machen Sie sich keine Gedanken darüber, was bei der Premiere alles schiefgehen könnte?
Schmid: Solche Gedanken hat man immer, vor jeder Produktion. Die Berufserfahrung sagt, dass schiefgeht, was man für sicher hielt, und dass sicher klappt, wo es Zweifel gab. Das ist Theateralltag. Da gibt es keine Fernsteuerung. Loslassen können, Vertrauen haben, darauf kommt es an. Das kann ich ganz gut.
Schmid: "Zuhören können, klar kommunizieren, verbindlich sein"
TAG24: Die Semperoper ist Ihre zweite Opernintendanz. Was war das Wichtigste, das Sie in Graz, während Ihrer ersten Intendanz (2015-2023), gelernt haben und Ihnen jetzt in Dresden hilft?
Schmid: Da gibt es vieles, am wichtigsten ist wohl dieses: zuhören können, klar kommunizieren, verbindlich sein. Nur so kann im Haus Vertrauen entstehen. Eine wichtige Lehre war mir außerdem die Corona-Pandemie. Etwas auf die Beine stellen müssen, wenn eigentlich nichts mehr geht, kann Energie und Einfallsreichtum freisetzen. Seither frage ich nicht mehr danach, was alles nicht gehen könnte. Etwas geht immer, und das gilt es zu tun.
TAG24: Dresden ist zurzeit ein politisches Minenfeld. Ihre Arbeit, wie die Ihrer Kolleginnen und Kollegen in den anderen Theatern, steht unter Beobachtung der AfD. Man verwahrt sich dort "gegen die zunehmende Ideologisierung des Kulturbetriebs" - gemeint ist etwa linkes und identitätspolitisches Gedankengut - "besonders dann, wenn Steuermittel für politisch einseitige Projekte verwendet werden", wie es heißt. Wie werden Sie sich da positionieren?
Schmid: Ich setze voll auf die verbindende Kraft des Musiktheaters. Wir werden zeigen, was wir können! Die Semperoper gehört zu den kulturellen Leuchttürmen nicht nur in Sachsen, sondern im Grunde weltweit. Wir beschäftigen 830 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 40 Ländern - Menschen, die verschieden sind und unterschiedliche Haltungen vertreten, wie es auch für unser Publikum und überhaupt für die Gesellschaft gilt. Eine Opernaufführung knüpft bei jedem, der sie erlebt, an individuelle Lebenserfahrungen an. Alle gesellschaftspolitische Debatten haben an Schärfe zugenommen, in dieser aufgeheizten Atmosphäre plädiere ich, die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufzuteilen. Kunst kann Beträchtliches leisten, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Ich sehe darin eine meiner Hauptaufgaben.
Leute wollen wegen AfD nicht mehr die Semperoper besuchen
TAG24: Die AfD hat mit den Landtagswahlen an Stärke gewonnen. Fürchten Sie einen wachsenden Einfluss der Partei auf Sachsens Kulturpolitik?
Schmid: Ich gehöre eher nicht zu den Menschen, die sich schnell fürchten. Wir sollten den Dingen nicht vorgreifen. Die Verhandlungen um eine Regierungsbildung beginnen gerade erst. Welche Rolle die AfD spielen wird, ist noch gar nicht greifbar. Was mich betrifft, kann ich die Dinge nur so nehmen, wie sie kommen. So viel kann ich aber sagen: Ich werde niemandem ein Gespräch verweigern und meine Haltung jedem gegenüber offen vertreten. Ich tue das derzeit auch in der Beantwortung kritischer Besucherzuschriften.
TAG24: Was kritisieren diese Leute?
Schmid: Sie teilen uns mit, nach der Landtagswahl und dem hohen Stimmenanteil für die AfD nicht mehr nach Dresden reisen und nicht mehr die Semperoper besuchen zu wollen.
TAG24: Was antworten Sie ihnen?
Schmid: Dass dies nicht der richtige Weg ist, mit politischen Lagen umzugehen; dass wir alle miteinander das Gespräch suchen müssen - durchaus auch den Streit; dass wir nicht in unseren festen Positionen verharren dürfen; dass Dresden nach der Wahl wie vor der Wahl eine wunderbare Stadt ist und die Semperoper eine Institution, die wunderbare Kunst bietet und immer eine Reise wert ist.
Schmid: "Ich bin Intendantin, keine gewählte Politikerin"
TAG24: Als wie politisch sehen Sie Ihre Arbeit?
Schmid: Was ich schwierig finde, ist jede Form von didaktischem Theater. So was wird es bei uns nicht geben. Wir werden die Menschen nicht von der Bühne herunter erziehen oder belehren. Eher geht es darum, Stücke zu finden, die aus sich heraus Themen aufgreifen, die anschließen an heutige Lebenserfahrungen und die zum Denken einladen.
TAG24: Sind es bestimmte Stücke, die Sie meinen?
Schmid: Es beginnt gleich mit unserer ersten Premiere, Arrigo Boitos "Mefistofele". Das ist der klassische "Faust"-Stoff, mit leichten Abwandlungen - ein Stoff, der uns zu jeder Zeit viel zu sagen hat. Oder nehmen Sie die "Fidelio"-Inszenierung von Christine Mielitz von 1989, die wir wiederaufnehmen - damals von ungeheurer Brisanz und noch immer fesselnd. Als weiteres Beispiel führe ich Kaija Saariahos zeitgenössische Oper "Innocence" an, die im März von Lorenzo Fioroni inszeniert werden wird. Ein junges Stück, 2021 erst uraufgeführt. Es geht darin um eine Hochzeit und ein dunkles Familiengeheimnis: Der Bruder des Bräutigams hatte Jahre zuvor an einer Schule ein Massaker verübt, nun sind Angehörige der Opfer in die Hochzeitsfeier involviert. Die Braut weiß von alledem nichts. Es ist ein brisanter Stoff, der unmittelbar mit unserer Gegenwart zu tun hat.
TAG24: Wie politisch darf Oper sein? Wie politisch muss sie sein?
Schmid: Musiktheater ist auf eine bestimmte Weise immer politisch, weil es eben von den Lebensverhältnissen der Menschen erzählt. Ich möchte aber den politischen Aspekt nicht zu sehr in den Vordergrund gerückt sehen. Ich bin Intendantin, keine gewählte Politikerin. Mit unserer Kunst schaffen wir einen offenen Raum für Emotionen und Reflexionen. Das, was jede und jeder dabei erlebt und daraus für sich mitnimmt, zielt auf den Kern unseres Tuns.
Titelfoto: Bildmontage: Robert Michael/dpa, Thomas Türpe