Konstantin Wecker: "Das haben wir alten Säcke der jungen Generation eingebrockt"
Dresden - Mit "Utopia 2.0 - Wir werden weiter träumen" knüpft der Liedermacher Konstantin Wecker (76) in diesem Herbst an sein umjubeltes Programm "Utopia" an. Vor seinem Auftritt in Dresden am 16. Oktober hatte der aus München stammende Musiker Zeit für ein Gespräch mit TAG24.
TAG24: Sie haben für Ihre aktuelle Tournee Sozialtickets verschenkt, um auch Menschen, die sich keine Eintrittskarte leisten können, den Besuch Ihrer Konzerte zu ermöglichen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Konstantin Wecker: Ich habe gemerkt, dass immer mehr Menschen gar nicht das Geld haben, um sich ein Konzertticket zu kaufen. Die Leute müssen derzeit unglaublich viel Geld für Nahrung und alles Mögliche ausgeben. Deshalb möchte ich denen, die sich vielleicht durch mein Konzert auch stärken und ermutigen lassen, die Möglichkeit bieten, hinzugehen.
Ich wollte so etwas schon immer machen. Deshalb habe ich mit meinen Veranstaltern gesprochen und bin sehr froh, dass sie da mitziehen.
Natürlich gibt es ein Risiko, dass auch Menschen davon profitieren, die sich eine Konzertkarte leisten können. Aber bei meinem Publikum halte ich es für ziemlich gering. Und die Milliardäre, die immer alles umsonst haben wollen, die sitzen sowieso nicht bei mir im Publikum. (lacht)
TAG24: Das ist eine sehr große Wertschätzung Ihrerseits etwa gegenüber Arbeitslosen, Geflüchteten oder Obdachlosen. Wie empfinden Sie den Umgang mit benachteiligten Gruppen hierzulande?
Konstantin Wecker: Mittlerweile immer schlimmer. Das ist natürlich ein Kapitalismusproblem und ich glaube, dass es viel zu wenig thematisiert wird. In den vergangenen Wochen und Monaten hat man gemerkt, dass es Versuche der Ampelregierung gab, den Ärmsten mehr Geld zu bieten. Viel rausgekommen ist dabei nicht. Auch der Umgang mit Geflüchteten ist eine Katastrophe.
Hilft Kultur im Kampf gegen die AfD?
TAG24: Im Zusammenhang mit der Sozialticket-Aktion habe ich die Formulierung "illegalisierte Menschen" gelesen.
Konstantin Wecker: Kein Mensch ist illegal. Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz, der übrigens von einem Holocaust-Überlebenden gesagt wurde. Menschen werden illegalisiert, das trifft den Punkt.
TAG24: Sollte Ihre Initiative "Kultur für alle" dann nicht eigentlich Aufgabe des Staates sein?
Konstantin Wecker: Das wäre dringend notwendig. Gerade in Zeiten, in denen die Menschen unglaublich verunsichert sind. Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn mehr Kultur im Angebot wäre - für alle -, dann würden wir auch nicht mehr mit 20 Prozent AfD-Wählern kämpfen müssen.
Denn durch diese Kulturlosigkeit wird auch immer wieder die unglaublich wichtige Erinnerung an den Holocaust geschwächt.
Kunst kann auch Mut machen, zu sich selbst zu stehen und zu dem, was man in seinem tiefsten Inneren empfindet und nicht irgendeiner Ideologie hinterherzulaufen.
TAG24: War Ihre Familie persönlich vom Holocaust betroffen?
Konstantin Wecker: Nein, das war sie nicht. Aber meine Eltern, und das ist das große Glück meines Lebens gewesen, waren keine Nazis. Sie waren zwar keine Widerstandskämpfer, aber sie widerstanden in ihrem Herzen und in ihrem Humanismus.
Der Liedermacher unterstützt die Klimaschützer der Letzten Generation
TAG24: Was sorgt Sie, mit Blick auf Deutschland und die Welt, derzeit besonders?
Konstantin Wecker: Als Pazifist sorgen mich besonders dieses Bejubeln des Kriegerischen und die Militarisierung. Widerstand muss sein. Keine Frage. Aber gewaltfrei.
TAG24: Ihnen ist Gerechtigkeit sehr wichtig, eine gerechtere Welt. Wie soll die aussehen?
Konstantin Wecker: Vor allem muss es das geben, was in jedem Menschen wohnt: Mitgefühl. Und Liebe. Je älter ich werde, umso wichtiger erscheint mir das. Die Frage ist, wie man den Zugang dazu findet. Mitgefühl ist etwas, was wir ganz, ganz dringend brauchen. Und ein liebevolles Miteinander. Und jetzt kommt ein ganz entscheidender Punkt: in einer herrschaftsfreien Welt.
Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr bekennender Anarchist. "Der wahre Künstler muss Anarchist sein." Das Zitat stammt von dem US-amerikanischen Schriftsteller und Maler Henry Miller und ich habe es mir mein Leben lang gemerkt.
Seit Tausenden von Jahren wird unsere Welt kaputt gemacht von Typen wie Caligula, Trump, Putin und wie sie alle heißen. Es sind zu 99,99 Prozent Mannsbilder. Auch heute. Wir haben zwar eine starke Frauenbewegung, Gott sei Dank. Aber wir haben noch nicht annähernd eine wirkliche Gleichheit zwischen Mann und Frau. Und erst in einer wirklich gleichberechtigten Welt haben wir eine Chance auf dieses liebevolle Miteinander.
TAG24: Haben Sie in "Utopia 2.0" auch bayrische Stücke im Programm?
Konstantin Wecker: Ja! Das Lied heißt "Der Baum". Das habe ich vor 40 Jahren geschrieben. Es ist ein sehr klimabewegtes Lied. Damals ging es um Wackersdorf. Außerhalb Bayerns werde ich das Lied etwas verhochdeutschen. (lacht)
TAG24: Ist das nicht ein Wahnsinn: Vor 40 Jahren haben Sie sich schon mit dem Klima beschäftigt und jetzt sind wir noch immer nicht weiter ...
Konstantin Wecker: Deshalb bin ich auch solidarisch mit den jungen Klimaschützern der Letzten Generation, weil ich es für einen Wahnsinn halte: Wir alten Säcke haben ihnen das eingebrockt und es kann sein, wie der Dalai Lama einmal zu Recht sagte, dass die Menschheit in 50 Jahren gar nicht mehr atmen kann, also unsere Kinder und Enkel. Es ist verrückt, was da passiert.
Termine und Tickets
Konstantin Wecker ist noch bis 30. November auf "Utopia 2.0"-Tour. Dabei handelt es sich jedoch um keine reine Fortsetzung von "Utopia", sondern um eine konsequente Weiterentwicklung des Programms aus dem Jahr 2021 - mit noch nie gehörten Arrangements und aktuellen Gedichten und Gedanken.
Am heutigen Sonntag tritt er in Erfurt auf, am Montag in Dresden sowie am 21. November in Leipzig. Alle weiteren, bundesweiten Termine und Tickets unter wecker.de. Auf der Homepage erfahrt Ihr auch, wie Ihr die Sozialtickets bekommt.
Titelfoto: Thomas Karsten, Daniela Pfeil