30 Jahre deutsche Einheit: Jammert nicht so viel! Ex-Ministerpräsident Biedenkopf liest den Sachsen die Leviten
Dresden - Deutlich und weise statt still und leise - zum 30. Jahrestag des Freistaates meldet sich Alt-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (90, CDU) zurück. "Seinen" Sachsen schreibt er ins Stammbuch: Jammert nicht so viel!
"König Kurt" wirkt körperlich etwas mitgenommen. Kürzlich stürzte er schwer auf dem Dresdner Neumarkt. Aber der Kopf: Hell wie einst, nur dann und wann muss Gattin Ingrid (89) aushelfen.
Er blickt mit Stolz auf das Sachsen von heute. Auch wenn es zwischenzeitlich Jahre gegeben hätte, in denen die nach ihm Amtierenden nur an Macht und Jobs dachten, so Biko.
"Inzwischen bin ich wieder sehr beruhigt", sagt er und nennt als Grund ausdrücklich Ministerpräsident Michael Kretschmer (45, CDU).
Dass auf der anderen Seite in der Gesellschaft wieder mehr Unzufriedenheit herrscht, erklärt er sich so: "Da sind viele Leute dabei, die rumrennen und sagen: Ihr müsst doch eigentlich traurig sein."
Natürlich gebe es viele, die nicht mitgekommen sind. Gerade am Anfang der neuen Zeit: "Dass die Angst hatten, das kann ich so gut verstehen."
Unterschiede zwischen Ost und West akzeptieren
Aber heute?! Natürlich könne er auch die Ängste im Angesicht von Corona verstehen. Jedoch: "Wenn ihr nichts mehr zu tun habt als zu jammern, aber nicht wirklich Gründe habt, vergesst es!"
Wenn er noch im Amt wäre, würde er denen sagen: "Augenblick, worum geht's denn? Erklärt mir mal, warum. Und dann würde ich sagen: Könnt ihr in dem und dem und dem nicht euch selbst helfen?!"
Genau betrachtet sei Jammern ja eine "Entlastung", so Biedenkopf weiter. Aber: "Es ist das Abschieben von Problemen auf andere." Anders würden die Dinge bei wirklich Hilflosen liegen, so BiKo.
Gedanken gemacht zum 30. Jahrestag hat sich auch die heutige Politikergeneration. So ruft zum Beispiel der SPD-Ostbeauftragte, sächsische SPD-Landesvorsitzende und stellvertretende Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (46) dazu auf, Unterschiede zwischen Ost und West zu akzeptieren.
"Ich halte es für fatal, wenn wir glauben, die deutsche Einheit ist dann vollzogen, wenn es keine Unterschiede zwischen Ost und West mehr gibt."
Dass es in Ost und West unterschiedliche Lebenserfahrungen, Biografien und Sichtweisen auf die Dinge gebe, könne durchaus bereichernd sein, betonte Dulig. "Es lebe der Unterschied" - nur bitte nicht bei Löhnen und Arbeitszeiten!
Titelfoto: Amac Garbe