Keine Strafanzeigen mehr! Ist Schwarzfahren bald nur noch eine Bagatelle?
Dresden - Wer ohne Ticket in Bus oder Bahn erwischt wird, begeht eine Straftat und kann sogar im Gefängnis landen. Diese Praxis soll es in Dresden nicht mehr geben, beschloss der Stadtrat in seiner letzten Zusammenkunft in "alter" Besetzung.
Bislang fällt Schwarzfahren unter das "Erschleichen von Leistungen" nach Paragraf 265a Strafgesetzbuch, kann mit Geld- oder Freiheitsstrafe (bis ein Jahr) geahndet werden. Wer die gerichtliche Geldstrafe nicht zahlen kann oder will, kassiert eine Ersatzfreiheitsstrafe, wandert meist zwischen 30 und 100 Tagen ein.
Das sei ungerecht und volkswirtschaftlicher Unsinn, so Martin Schulte-Wissermann (53, fraktionslos), der den Antrag mit der mittlerweile aufgelösten Dissidenten-Fraktion eingebracht hatte.
Denn das erhöhte Beförderungsentgelt (60 Euro) verlangten die DVB ohnehin und diese Geldstrafe solle auch weiter fällig werden.
Nun liegt der Ball bei OB Hilbert
Dabei droht den Sündern aber kein Knast (höchstens Gerichtsvollzieher) - anders als bei der aktuell geltenden Praxis der (zusätzlichen) Strafverfolgung. Und diese bindet auch noch Kräfte der Justiz.
So wurden etwa 2021 wegen Schwarzfahrens in Sachsen 8651 Tage Ersatzfreiheitsstrafen verhängt - ein Sträfling kostet den Steuerzahler pro Tag fast 150 Euro.
CDU-Rat Hans-Joachim Brauns (64) hielt die Argumentation für "hanebüchenen Unsinn". Dass die Strafen häufig einkommensschwache Bewohner treffen, wollte er nicht gelten lassen, verwies auf soziale Angebote (etwa Dresden-Pass). Auch die AfD bezeichnete den Antrag als "Schwachsinn".
Linken-Fraktionschef André Schollbach (45) hingegen sprach sich für die Entkriminalisierung aus. Ein Autofahrer, der falsch parke, komme auch mit einem Knöllchen davon und muss kein Gefängnis fürchten. Auch mit den Stimmen der Grünen und SPD fand der Antrag eine knappe Mehrheit.
Heißt: OB Dirk Hilbert (52, FDP) soll bei den DVB nun darauf hinwirken, dass diese künftig aufs Stellen einer Strafanzeige verzichten
Das wahre Problem - ein Kommentar von Erik Töpfer
60 Euro sind viel Geld ..." liest der Fahrgast regelmäßig in Bus und Bahn. Gemeint: Das "erhöhte Beförderungsentgelt", was fällig wird, wenn man beim sogenannten Schwarzfahren erwischt wird. Dass obendrein Knast drohen kann, ist nicht nur vielen nicht bewusst. Es ist ungerecht.
Wer auf den ÖPNV zurückgreift, ist entweder davon überzeugt - gute Anbindung, autofreie Innenstadt, Klima - oder arm. Zumindest ärmer als viele andere. Schließlich will das Auto angeschafft, betankt und geparkt werden. "Es gibt doch auch Fahrräder!", hör ich schon die ersten brüllen. Doch in der fahrradunfreundlichsten Stadt Deutschlands (ja, Dresden!) ist das keine echte Alternative.
1,27 Millionen Fahrgäste haben die DVB 2022 kontrolliert. 2,74 Prozent davon fuhren ohne gültigen Ausweis. Das heißt: Rund 95 Schwarzfahrer pro Tag. Dazu gehören Schüler, die die Fahrkarte im Sportzeug vergaßen und Handys ohne Akkus, in denen das E-Ticket steckte.
Mehr als 97 Prozent davon konnten im Nachgang ein Ticket vorweisen oder bezahlten dass fällige Bußgeld. Trotzdem wanderten 970 Menschen 2022 wegen eben jener Bagatelle in den Knast. Weil eben 60 Euro viel Geld sind.
Während der alte Stadtrat also nicht richtiger hätte entscheiden können, befürchten die DVB nun nur noch Schwarzfahrer zu transportieren. Für die Gespräche mit OB Hilbert sollten die Ticketpreis-Macher noch eine Zahl kennen: In den drei Monaten des 9-Euro-Tickets sank die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Leistungserschleichung von 121 auf 96 und schließlich 47 Fälle - pro Monat. Die Schwarzfahrer sind nicht das Problem.
Titelfoto: Eric Münch