Interview mit Wolfgang Schaller zu seinem 85. Geburtstag

Dresden - Vom Urgestein spricht man, wenn jemand lange dabei ist und Grund gelegt hat für andere. Für das deutsche Kabarett ist Wolfgang Schaller ein solches Urgestein, für das legendäre Dresdner Theater "Die Herkuleskeule" ohnehin, noch in der DDR und seither im vereinigten Land. Morgen feiert Schaller seinen 85. Geburtstag.

Das Traumpaar des Dresdner Kabaretts: Birgit (63) und Wolfgang Schaller.  © Ove Landgraf

Wie immer befindet er sich im Unruhestand, hat gerade ein neues Buch veröffentlicht ("Zeitenwände: Atemlos durch die Macht und andere satirische Jahresringe") und lässt auch von der Bühne nicht. An seiner Seite stets Ehefrau Birgt (63) und seine Kinder Ellen (60) und Philipp (47).

TAG24: Herr Schaller, derzeit erleben Rückblicke und Bewertungen der DDR eine erneute Renaissance. So legte etwa der Schriftsteller Christoph Hein einen Erinnerungsroman vor, in dem er die DDR als "Narrenschiff" betitelt. Teilen Sie diese Ansicht?

Schaller: Das Narrenschiff ist ja schon in einem 1494 erschienenen Buch ebenso wie im Film 1964 ein Symbol für Untergangsstimmung: Auf engstem Raum, dem sie nicht entkommen, zeigen sich Menschen mit all ihrer Habgier, Betrug, ihrem Lebensrausch, in dem sie die Realität nicht mehr wahrnehmen. Das Narrenschiff, auf dem wir heut tanzen, ist bunter bestrahlt, aber die Eisberge, auf die wir steuern, sind am Horizont deutlich zu sehen.

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TAG24: Wie erinnern Sie die DDR?

Schaller: Für mich war die DDR in ihren frühen Jahren eine Hoffnung, in späten Jahren eine Verzweiflung. Das Schönste an der DDR war der Traum von ihr. Das Schlimmste war ihre Wirklichkeit mit all ihrem politischen Mief und der krankhaften Angst vor jedem abweichenden Denken.

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Sehnsucht nach einem gerechten Land

TAG24: Hein geht noch weiter und behauptet, von der DDR werde nichts bleiben, sie wird eines Tages vergessen sein. Wie ist Ihre Ansicht?

Schaller: 20-Jährige, die die DDR nie kennenlernten, haben so was wie ein Ostgefühl. Bleiben wird die Sehnsucht nach einem gerechten Land, in dem nicht das Geld regiert, sondern in dem Menschen menschlich miteinander leben. Dass nichts von der DDR bleibt, haben ja die Sieger versucht. Von Karl Marx' Erbe hatte der Osten das Manifest, der Westen das Kapital.

TAG24: Welche Umstände hatten Sie bewogen, zu DDR-Zeiten Kabarettist und Satiriker zu werden?

Schaller: Dieses große Niemandsland zu ertragen zwischen sozialistischen Idealen und diesem real existierenden Sozialismus, das tat weh. Väterchen Stalin, bis man von Väterchens Gulags erfuhr. Da hat mir das Schreiben den Psychiater ersetzt.

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Wolfgang Schaller konnte nie ohne Zensur schreiben

Applaus für Wolfgang Schaller (heute noch 84!) - ohne Zweifel immer verdient.  © Ove Landgraf

TAG24: Wie stark hatten Sie mit Zensur zu kämpfen?

Schaller: Ich konnte nie ohne Zensur schreiben. Einst war es die ideologische. Die konnte man überlisten. Ich wurde mal zum Bezirk bestellt, weil man mit vorwarf, mit dem weißen Kreuz auf dem Programmheft meine ich den Untergang der DDR. Ich erwiderte: Wenn ihr so schmutzige Gedanken habt, muss ich das weitermelden. Das Programmheft war gerettet. Heute erdrückt uns die ökonomische Zensur. Die kann man nicht überlisten. Die Kasse muss stimmen.

TAG24: Das heutige Schimpfen über die DDR scheint schick zu sein. Beleidigt das nicht die Menschen, die in ihr gelebt haben?

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Schaller: Wir sahen ja nach 1990 in den Westmedien immer so aus wie auf dem Titanic-Cover diese Zonen-Gaby, die 'ne Gurke schält und denkt, es sei eine Banane. Irgendwie waren wir immer ein bisschen doof, arbeitsscheu und schon deshalb deformiert, weil wir in der Krippe gemeinsam aufs Töpfchen mussten.

Wolfgang Schaller hatte Hoffnung das die DDR reformiert wird

TAG24: Hatten Sie zu Wendezeiten die Hoffnung, die DDR könnte reformiert werden?

Schaller: Ja. Mit Gorbatschows Glasnost und Perestroika auf alle Fälle: Ja. Ich wollte einen menschlicheren Sozialismus. Ich kam von der Diktatur der Ideologie in die Diktatur des Geldes.

TAG24: Wann waren die Zeiten für Sie als Kabarettist "besser" beziehungsweise fruchtbarer: vor oder nach der Wende?

Schaller: Schön ist es, wenn ein Leser meiner Kolumnen sagt: Danke, ich bin nun mit meinen Gedanken nicht mehr so allein. Das gab es damals wie heute: dass man mit dem, was man sagt oder schreibt, für ein paar Menschen wichtig ist.

TAG24: Stichwort "blauer Osten": Sind die im Westen argwöhnisch beäugten jüngsten Landtagswahlergebnisse ein Erbe der DDR?

Schaller: Wenn Menschen das Gefühl haben, die Politik interessiere sich nicht für den Osten und reagiere auf die Probleme mit Arroganz – ja, dann wird Blau zur Lieblingsfarbe.

"Ruhestand ist was fürs Grab"

Wenn Wolfgang Schaller nach der Keule gefragt wird, sagt er immer noch "wir", obwohl er nur noch Gast ist.  © Robert Michael/dpa

TAG24: Zur Gegenwart: Sie sind weiterhin als Autor produktiv, haben sich aber aus der "Keule" weitgehend zurückgezogen. Wie sieht Ihr Alltag aus? Ruhestand oder Unruhestand?

Schaller: Wenn ich nach der Keule gefragt werde, sag ich immer noch "wir". Das steht mir gar nicht zu, weil ich nur noch Gast bin. Ruhestand ist was fürs Grab. Ich stehe mit Birgit noch in "Eh ich's vergesse" auf der Bühne. Birgit ist seit vierzig Jahren mehr als meine Partnerin. Sie gibt mir Halt in meinem Leben, wenn ich mich festhalten muss. Oder will. An ihrem Rat und ihrem Herzen.

TAG24: Ihr 85. Geburtstag steht morgen an. Wie werden Sie feiern?

Schaller: Ganz privat mit Birgit und meinen Kindern und 240 Gästen im Kabarettkeller.

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