Hollywood in Dresden: TAG24 sprach mit Cate Blanchett und Nina Hoss über das Drama "Tár"
Berlin/Dresden - "Tár" ist vielleicht der Film der Stunde, zumindest in Dresden: Das Drama wurde zu weiten Teilen im Konzertsaal des Kulturpalastes mit den Musikern der Dresdner Philharmonie gedreht. Donnerstag kommt es in die Kinos, vergangenen Donnerstag hatte der Film seine Deutschlandpremiere im Rahmen der Berlinale. TAG24 traf die Hauptdarstellerinnen Cate Blanchett (53) und Nina Hoss (47) zum Gespräch.
In dem Film von Regisseur Todd Field (59) spielt Blanchett die (fiktive) Chefdirigentin Lydia Tár, die als erste Frau einem weltberühmten Berliner Orchester vorsteht und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ist.
Doch sie missbraucht ihre Macht und verliert zunehmend die Kontrolle über ihr Leben. Unter der offen lesbisch lebenden, übergriffigen, ja unsympathischen Künstlerin müssen nicht nur Studenten, Kinder und Musiker leiden, sondern auch ihre von Nina Hoss gespielte Ehefrau Sharon, gleichzeitig 1. Konzertmeisterin des Orchesters.
Hoss erscheint im dezenten Anzug zum Gespräch. Es ist das Ende einer langen Promotion-Tour, doch sie ist noch nicht müde. Sie sagt: "Ich bin immer noch aufgeregt, über 'Tár' sprechen zu können. Ich freue mich so sehr, dass der Film nach einer Weltreise, nach Venedig, L. A., London und New York jetzt auch in Berlin angekommen ist, also irgendwie zu Hause."
Zudem gäbe es ja seit Kurzem erstmals eine 1. Konzertmeisterin bei den "echten" Berliner Philharmonikern: "Da kommt plötzlich alles zusammen."
Cate Blanchett kommt etwas verspätet zum Interview. Sie trägt ein Oberteil mit gefalteten Fledermausflügeln in dunklem Anthrazit, eine gleichfarbige Leggins dazu und flutet den Raum mit einem Charisma, das einem Hollywoodstar wohl zu eigen ist. Dabei wirkt sie nie abgehoben, ist voll professioneller Freundlichkeit.
Cate Blanchett (53) und Nina Hoss (47)
"Tár" ist womöglich der bisherige Höhepunkt ihrer Karriere: Für ihre Rolle wurde Blanchett bereits mit Preisen überhäuft. Bei den Filmfestspielen in Venedig, den Golden Globes und den BAFTAs (Britische Filmpreise) gewann sie jeweils die Auszeichnung für die beste Hauptdarstellerin, bei den Oscars gilt sie als Favoritin.
Sie habe das Drehbuch von Todd Field geradezu inhaliert, sagt sie. Den Charakter der Lydia bezeichnet sie als ihre herausforderndste Rolle: "Ich wurde total davon absorbiert. Es hat mich völlig verzehrt." Das lag auch an den psychologischen Aspekten der Geschichte, in der niemand völlig gut oder völlig unschuldig sei.
Diese Widersprüchlichkeit habe auch sie überzeugt, sagt Nina Hoss. Regisseur Field hatte ihr sein Projekt in einem Zoom-Gespräch erklärt. Hoss: "Ich merkte sofort, wie intensiv und klug das ist, was er geschrieben hatte. Keine Frage: Das war ein Projekt, an dem man beteiligt sein wollte." In dem Stoff habe sie sehr viel entdeckt und fand faszinierend, wie komplex alles ist. "Die Welt, aber auch die Beziehung von Lydia und Sharon. Das zusammen mit Cate zu spielen, war eine phänomenale Reise!"
Ihre Kollegin lobt Hoss in höchsten Tönen: "Cate ist eine Schauspielerin, die sich absolut versenken kann und will, die auf der Suche ist und wagemutig. Aber sie spielt nicht für sich, sondern nimmt ihre Partner wahr, ist zuvorkommend und großzügig - das macht es sehr aufregend."
Immer habe sie sich gefragt: Was kommt, was machen wir jetzt? In jeder Minute passiere etwas. "Unser Kuss in der ersten gemeinsamen Szene etwa stand so nicht im Drehbuch, wir haben im Grunde improvisiert. Sicherlich hat uns da geholfen, dass wir beide auch Theater spielen, dadurch hatten wir eine Ebene, auf der wir uns verstehen."
Man dürfe nicht ängstlich sein, dann lerne man voneinander. "Beeindruckt hat mich Cates Arbeits-Ethos: US-Schauspieler sind irrsinnig diszipliniert, kennen keine Erholung, die wissen, was das alles kostet", so Hoss, von der wiederum Blanchett sagt, in ihr eine verwandte Seele gefunden zu haben.
Musik und die Dresdner Philharmonie
Sie sei ein Fan klassischer Musik, sagt Blanchett. Musik sei eine große Inspiration für sie. Die Schauspielerin: "Musik half mir bei all den praktischen Dingen, die ich lernen musste, zu verstehen, wie man mit einem Orchester kommuniziert."
Sie stellt aber auch klar: "Es ist kein Film über das Dirigieren. Es geht um eine Künstlerin, die an der Spitze ihres Berufes steht." Blanchett fand es furchteinflößend, alle Musikszenen aufgrund des wegen der Pandemie umgeworfenen Drehplans als Erstes zu absolvieren: "Ich wäre glücklich gewesen, mehr Zeit gehabt zu haben."
Und doch wurde die Dresdner Philharmonie, die im Film das fiktive Berliner Orchester doubelt, zu einem Teil von ihr: "Diese außergewöhnlichen Musiker, die ich dirigieren durfte, waren zutiefst großzügig." Die Zusammenarbeit war spannend, so Blanchett. "Thrilling", sagt sie.
Leider habe sie seit dem Dresdner Dreh keinen direkten Kontakt mehr mit den Musikern gehabt. Was sie bedauere: "Für mich fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen, nicht vor 120 Jahren."
Stars sind vom Dresdner Orchester begeistert
Auch Nina Hoss ist beeindruckt vom Dresdner Orchester: "Es war für mich eines der größten Geschenke und Erlebnisse, die ich bisher hatte in meinem Beruf. In dem kann man ja immer in andere Leben und Bereiche hineinblicken, das ist ja das Faszinierende."
Diesmal habe sie mit "diesen fantastischen Dresdner Philharmonikern" arbeiten und für zwei Wochen ihre "erste Geige" sein dürfen. "Neben mir saß die ganze Zeit Wolfgang Hentrich, der ja wirklich ihr 1. Konzertmeister ist. Wie er das alles leitet, wie er auf jeden eingeht, das hat mir so viel über Sharon erzählt."
Da habe sie überhaupt erst begriffen, wie viel Psychologie auch dazugehört: "Wie verantwortungsvoll und auch machtvoll diese Position ist, weil man ja auch Vermittler ist zwischen Dirigent und Orchester. Das wusste ich alles nicht. Und dass man als Konstante alles zusammenhält, wenn der Dirigent mal den Rhythmus verliert - was ja öfter vorkommen soll, als man denkt."
Sie habe viel gearbeitet für die Violine, damit die Stücke, die man im Film sieht, auch sitzen, sagt Hoss. Unglaublich sei gewesen, was passierte, wenn man dann gemeinsam ansetzte: "Dann kommt der Klang! Davon war ich überwältigt. Wann sitzt man denn schon mal im Orchester? Also ich meine: Während es spielt?" Von der Dresdner Philharmonie sei das Filmteam mit "viel Zuwendung und Zuneigung" aufgenommen worden, schwärmt Hoss.
"Und manches Mal haben sie uns auch irgendwo wie so lustige Tierchen angeguckt", lacht sie. "Was aber so schön war, ist, dass wir immer gesagt haben: Wir sind hier jetzt bei euch zu Gast - aber irgendwie seid ihr auch bei uns zu Gast, weil ihr für uns spielt. Lasst uns diesen Weg zusammen finden."
Nach dieser Erfahrung hört etwa Cate Blanchett Musik heute anders. Sie erklärt es so: Als 15-jährige Schülerin habe sie bei einer Freundin, deren Vater Opernkritiker war, zu Mittag gegessen. "Und es war still. Man konnte die Uhr hören", erzählt Blanchett. Darauf angesprochen habe er gesagt: "Man beschäftigt sich mit Musik, man darf sie nicht im Hintergrund hören." Wenn sie jetzt eine Platte auflege, sitze sie da und höre sie Stunden um Stunden.
"Ich höre jetzt Dinge, die ich vorher nicht bemerkt hätte." Auch das habe sie durch "Tár" gelernt: "Es ist sowohl Segen und Fluch, dieses Geschenk an Dirigenten, Dinge zu hören, die normale Menschen nicht hören können."
Frauen und Machtmissbrauch
Beeinflusst für ihre Rolle wurde Blanchett von persönlichen Erfahrungen. Sie und ihr Mann waren die künstlerischen Leiter und Geschäftsführer der australischen Sydney Theatre Company. "Wir haben 250 Beschäftigte, programmieren rund 19 Shows im Jahr."
Das sei eine enorme Verantwortung: "So habe ich durchaus ein Gefühl dafür, wie einsam und isoliert man sich fühlen kann, wenn man Geschäft und Kunst trennen muss." Etwas Ähnliches sähe man in der Macht, die Lydia habe und ausübe.
Dass der Film von einer Frau erzählt, die den Berliner Philharmonikern vorstehe, mache "Tár" für Blanchett ganz klar zu einem Märchen. Solche Positionen gäbe es bisher nicht für Frauen. Das aber sei nicht die Hauptsache. Der Film untersuche, wie so eine herausragende Stellung wie die eines Chefdirigenten die ausübende Person korrumpiere.
Blanchett: "Das Pult ist die Macht, nicht die Person, die darauf steht." In diesem Falle sei es eine Frau, die ihre künstlerische Stellung autoritär ausnutze. Ob ihre Figur sympathisch sei, darüber denkt Blanchett nicht nach: "Es ist nicht meine Aufgabe, meinen Charakter zu mögen oder nicht."
Dabei habe es viel mehr Szenen vom Familienleben Lydias und Sharons gegeben, die die Charaktere leichter und weicher gezeichnet hätten, erzählt Nina Hoss. Doch sie wurden aus dem Film geschnitten, Hoss' Rolle dadurch verkleinert. "Was aber gar nicht so traurig ist", sagt sie. "Am Ende bin ich immer für die Geschichte; alles andere ist irrelevant."
Den ungewohnten Blickwinkel, also eine toxische Frau zu thematisieren, befürwortet Hoss: "Wir kennen so etwas wie eine Chefdirigentin nicht wirklich, Frauen in Machtpositionen sind nach wie vor eher selten, deshalb hört und guckt man genauer hin, was die Macht und ihre Verführung vielleicht mit einem Menschen macht. Ich finde, es ist ein kluger Gedanke, diese Geschichte über eine Frau zu erzählen. Weil es das für uns schwieriger macht, es vorschnell einzuordnen."
Nur wenige Minuten standen uns für die Gespräche zur Verfügung. Teil eines strammen Programms für Hoss und Blanchett: vormittags Interviews, nachmittags eine akademische Veranstaltung, abends der rote Teppich. Und alles in anderer Garderobe: Dreimal mussten sich die Schauspielerinnen umziehen.
Spät wurde es, nur wenige Stunden später ging es für Blanchett weiter nach Los Angeles.
Titelfoto: Bildmontage: Universal Pictures Germany,Fabrizio Bensch/Reuters