Er stand vor dem Abgrund, jetzt führt er andere zurück ins Leben

Meißen (Sachsen) - Fast 13 Jahre ist es her, dass Arne Tempel sich auslöschen wollte. Im letzten Moment, eher durch Zufall, gab er das Ansinnen damals auf.

Von dieser Felsspitze aus wollte Arne Tempel vor 13 Jahren seinem Leben ein Ende setzen. Heute ist er heilfroh, dass es nicht soweit kam.
Von dieser Felsspitze aus wollte Arne Tempel vor 13 Jahren seinem Leben ein Ende setzen. Heute ist er heilfroh, dass es nicht soweit kam.  © Steffen Füssel

Heute ist der Meißener 31 Jahre alt, stolzer Vater, Coach und Buchautor. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Depressiven durch ihre schwere Zeit zu helfen. Weil er weiß, wie die Krankheit sich anfühlt, bietet er Betroffenen seine Erfahrung an - und viel Hilfe zur Selbsthilfe.

Januar 2008. Das Jahr ist jung, doch Arnes Probleme sind noch die alten. Dieser verdammte Abi-Stress. Immer schlechtere Noten. Dazu Mitschüler, die nerven und mobben.

Arne grübelt viel in diesen Tagen. Verbringt viel Zeit allein am Rechner. Und ist zu allem Überfluss noch unglücklich verliebt in die beste Freundin.

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Sinnlos, das alles. Dann, an einem Vormittag mitten im Unterricht, kriecht Arne plötzlich dieser Gedanke ins Gemüt: Was, wenn ich all dem hier ein Ende setze? Dann tut es schließlich nicht mehr so weh... Noch am selben Nachmittag sollte es so weit sein.

Arne Tempel, der damals in Meißen aufwuchs und heute in Dresden lebt, erinnert sich - natürlich - noch genau an jenen Tag. "Ich hatte mittags die Schule zu Ende gebracht, mir nichts anmerken lassen, war sogar noch zur Bandprobe."

Dann machte er sich auf zu einem Felsen, von dem er springen wollte - so, wie schon etliche Lebensmüde vor ihm. Die kleine Absperrung war schnell überwunden. Unten dümpelte träge die Elbe. Keine Menschenseele weit und breit. "Vielleicht zwei Stunden habe ich dort zugebracht", sagt Arne. Gleich. Nur noch einen Schritt.

Aber dann - vibrierte es in der Hosentasche. "Eine SMS von meiner besten Freundin." Nichts Besonderes, ein paar eher lapidare Zeilen. "Und trotzdem hat das etwas mit mir gemacht", erinnert sich der immer noch junge Mann heute. "Von da an hat mir mein Körper nicht mehr gehorcht."

Eine Therapie und Medikamente helfen

Für die Schönheit dieser Landschaft haben Lebensmüde meist keinen Blick - leider! Immer wieder kommen gerade hier bei Meißen Verzweifelte zu Tode.
Für die Schönheit dieser Landschaft haben Lebensmüde meist keinen Blick - leider! Immer wieder kommen gerade hier bei Meißen Verzweifelte zu Tode.  © Steffen Füssel

Er springt nicht, steigt stattdessen wieder runter vom Fels. Nicht geläutert, auch längst noch nicht mit sich im Reinen. "Ich habe mich selbst als Feigling beschimpft", erinnert sich Tempel, der sich anschließend bei mehreren Psychotherapeuten in Behandlung begibt, so lange, bis er mit einem "kann".

Die Medikamente und die Verhaltenstherapie schlagen an. "Ein Jahr nach jenem Januartag bin ich wieder auf den Felsen rauf", sagt der sympathische Sachse.

Doch dieses Mal nicht, um sich etwas anzutun. Eher, um sich zu prüfen. "Ich konnte plötzlich die Aussicht genießen", sagt Tempel, der die Freude am Leben wiedergewonnen hatte.

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Damals reifte in ihm die Idee, anderen mit seiner Erfahrung zu helfen. "Ich dachte sogar daran, Psychologie zu studieren", lacht Arne, "hätte bei meinem Abi-Schnitt aber wohl zu viele Wartesemester einlegen müssen".

Also wird er Physiotherapeut - aber nicht für allzu lange.

Die Lebensfreude ist zurückgekehrt

Yoga stärkt die innere Ruhe, entspannt - ein guter Ausgleich zu Arne Tempels Arbeit.
Yoga stärkt die innere Ruhe, entspannt - ein guter Ausgleich zu Arne Tempels Arbeit.  © Steffen Füssel

Zwar sagt ihm der Job in Potsdam durchaus zu, Arne spürt jedoch schnell, dass viele Patienten ihre Zipperlein eher seelischem Druck "verdanken". Für Hilfe in dieser Richtung ist jedoch kaum einer offen.

Der Sachse fühlt sich zunehmend fehl am Platz, will umsatteln. "Ich dachte daran, mich mit einem Online-Shop für Heilmittel selbstständig zu machen."

Jemand stupst ihn in eine andere Richtung - weil er so oft und offen über Gefühle und Seelennöte spricht, zuhören kann, gute Ratschläge erteilt. Arne beginnt zu bloggen, gibt im Internet Tipps, wie man Depressionen begegnet (nie-mehr-depressiv.de). "Das war 2013", rechnet Arne Tempel zurück. Er hatte seine Berufung gefunden.

Längst bietet der inzwischen lebensfrohe Mann auch Coachings an, anonym im Netz oder auch als Workshop im richtigen Leben. Gerade erst brachte er einen gut 200 Seiten starken Ratgeber auf den Markt (siehe unten), erste Kundenbewertungen sind äußerst positiv.

Nach ein paar finanziell wackligen Jahren kann der 31-Jährige, der privat gerne tanzt ("Das beste Antidepressivum!") oder Inline-Skates fährt, von seiner wichtigen Arbeit leben. Wie viele Menschen er schon vor dem Suizid bewahrt hat, lässt sich schwer sagen. Dankbare Zuschriften trudeln aber regelmäßig in seinem Mailfach ein.

"Es fühlt sich schon sinnvoll an, was ich tue", sagt Arne Tempel und strahlt breiter, als er es früher wohl je für möglich gehalten hätte. "Und die Arbeit trägt Früchte, die tatsächlich auch bleiben." Bleiben, ja - im wahrsten Sinne.

Beim Schreiben lässt sich Arne von Bob Marley über die Schulter gucken.
Beim Schreiben lässt sich Arne von Bob Marley über die Schulter gucken.  © Steffen Füssel
Handyvideos für seinen Netzauftritt produziert Arne recht professionell daheim.
Handyvideos für seinen Netzauftritt produziert Arne recht professionell daheim.  © Steffen Füssel
Weil es hier immer wieder zu Suiziden kam, versucht eine Tafel am Fels, Nachahmungswillige noch umzustimmen.
Weil es hier immer wieder zu Suiziden kam, versucht eine Tafel am Fels, Nachahmungswillige noch umzustimmen.  © Steffen Füssel
"Depression - Brauchst du die noch oder kann die weg?" von Arne Tempel ist im Buchhandel erhältlich.
"Depression - Brauchst du die noch oder kann die weg?" von Arne Tempel ist im Buchhandel erhältlich.  © Steffen Füssel

Ratgeber auf Augenhöhe

"Depression - Brauchst du die noch oder kann die weg?" heißt das Buch, das Arne Tempel gerade geschrieben und herausgebracht hat (Preis: 16,99 Euro (bis Jahresende wegen der Mehrwertsteuersenkung etwas günstiger).

Im Grunde genommen ist es das Buch, das er sich vor Jahren gewünscht hätte, als er selber von depressiven Gedanken gequält wurde.

Der Autor stellt klar: "Ich wollte kein Gejammer, aber auch keine Ratschläge von oben herab geben." Was ihm gelungen ist. Das Buch geht einfühlsam und auf Augenhöhe auf die Leser ein, gibt handfeste Tipps, wie man schwierige Situationen meistert, nimmt aber bei all dem nicht für sich in Anspruch, den Facharzt zu ersetzen.

Titelfoto: Steffen Füssel (2)

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