"Eisenfeustel": Eine Dresdner Legende wird hundert!
Dresden - Ein kleines Lädchen in der Neustadt überstand Inflation, Weltkrieg, Planwirtschaft und jetzt auch die Corona-Krise: Der kleinste Baumarkt der Stadt - "Eisenfeustel" an der Bautzner Straße - ist längst eine Dresdner Institution. Jetzt feiert Eisenfeustel 100-jähriges Jubiläum.
Kunde Nico (38) betritt den Mini-Baumarkt für Werkstatt, Haushalt und Garten: "Hallo, ich brauche ein paar Winkel! Nicht größer als 80 Millimeter."
Hinter der Ladentheke sucht Inhaber Thomas Haaß (44) passende Ware heraus: "Der hier wäre 75", bietet er an. "Perfekt!", freut sich der Kunde. "Haben Sie auch Duschköpfe? Und eine Klobrille bräuchte ich noch."
Auch diese Wünsche kann Haaß bedienen, sucht noch eine passende Dichtung heraus, weil der Kunde gern Wasser sparen will.
"Zuhören, das Problem verstehen und helfen. So machen wir das seit Jahrzehnten", verrät Haaß das Erfolgsgeheimnis des Traditionsgeschäfts.
Die Mama mit verlorener Kinderwagenrad-Schraube, die Klosterschwester mit kaputtem Schwibbogen - Haaß lässt keine Kunden hängen. "Schon zu DDR-Zeiten hieß es: Geh zum Eisenfeustel, der hat alles", sagt er.
Und wenn es doch mal was nicht im Sortiment (5000 verschiedene Teile) gibt, versucht Haaß es zu bestellen.
Oder hilft anders: "Ein Papa wollte mit seinem Sohn ein Vogelhaus bauen, fragte nach Holz. Da wir das nicht führen, habe ich ihm aus dem Keller meiner nahen Wohnung etwas gegeben", sagt er schmunzelnd.
Eisenteufel hat bis zu 150 Kunden am Tag
Haaß stammt aus Ravensburg am Bodensee, lernte Orgelbau in der Schweiz, kam 2003 nach Dresden.
Er studierte hier Architektur, kaufte selbst im Eisenfeustel ein, wollte neue Wege beschreiten.
Schließlich übernahm er den Laden Ende 2019, als der langjährige Vorbesitzer in Rente ging. Der Generationenwechsel kam zum richtigen Zeitpunkt. Denn die plötzliche Corona-Krise kostete viel Kraft.
Haaß hievte den Eisenfeustel für Bestellungen ins Internet. Auch dank nur kurzer Schließzeit freut er sich heute über bis zu 150 Kunden am Tag - mehr als vor Corona. "Krisen hat der Eisenfeustel ja schon viele überstanden", sagt Haaß.
1921 gegründet, überstand das Unternehmen die schweren Nachkriegsjahre, Inflation, den Zweiten Weltkrieg und auch die DDR (siehe Kasten). Die 100-jährige Geschichte des Traditionsgeschäfts hat Haaß in einem Wimmelbild zusammengefasst, gefördert vom Dresdner Kulturamt.
Wenn die Pandemie vorbei ist, lädt er ein zur großen Jubiläumsfeier - und ist zuversichtlich, dass es den Eisenfeustel noch lange geben wird.
Die Geschichte von Eisenfeustel
Am 1. April 1921 gründeten die beiden Kaufmänner Herbert Reinhold (†1974) und Karl Feustel (Geldgeber, †1931) den "Eisengroßhandel Eisen Feustel" auf dem Gelände des Alten Schlachthofs an der Leipziger Straße. Sie lieferten Bleche und Stabeisen bis nach Ostsachsen. Bis zu 35 Mitarbeiter standen in Lohn und Brot.
Nach einem Großfeuer 1943 (nicht kriegsbedingt) und personellen Verlusten wegen des Krieges öffnete Eisen Feustel (damals getrennt geschrieben) 1950 an der Bautzner Straße 51/53 als Ladengeschäft.
Reinholds Töchter Christine (heute 86) und Erika (83) führten das Geschäft zu DDR-Zeiten weiter, boten ebenso Haushaltswaren und Gartenzubehör an.
Dresdner kauften auch Eisenprofilstangen, um daraus Antennen zu basteln und "heimlich" Westfunk empfangen zu können.
1988 der Umzug auf die Bautzner Straße 63 (heute: Café Neustadt), seit 1997 ist Eisen Feustel am heutigen Standort (Bautzner Straße 51).
Titelfoto: Ronald Bonss