100.000 Fachkräfte aus dem Ausland dringend in Sachsen gebraucht

Dresden - Auch wenn sich einige Politiker derzeit in Abschiebefantasien überbieten, ist Sachsen dringend auf Einwanderung angewiesen. Bis 2030 fehlen den Unternehmen und Behörden schätzungsweise 100.000 Arbeitskräfte, die wohl nur durch Ausländer kompensiert werden können. Der Freistaat hat inzwischen klare Optionen, aus welchen Ländern und Regionen junge Menschen gezielt abgeworben werden können.

Der Künstlichen Intelligenz ist es ziemlich egal, ob sie von einem Sachsen oder einer Ausländerin programmiert wurde. Hauptsache, es läuft.  © 123RF/seventyfour74

Jahr für Jahr gehen Tausende der sogenannten Babyboomer in Altersrente. Aus der Jugend rücken aber zu wenige nach, um deren Stellen zu besetzen. Das Statistische Landesamt geht in verschiedenen Szenarien für das Jahr 2030 von einer Differenz von 79.000 bis 139.000 fehlenden Arbeitskräften aus. Man arbeitet mit dem Mittelwert von 100.000.

Denn in der Prognose gibt es einige Unwägbarkeiten oder Potenziale, die noch ausgeschöpft werden könnten: Im Jahr 2024 pendelten 158.000 Sachsen in andere Bundesländer zur Arbeit, weil sie dort mehr verdienen. Allerdings ist die Tendenz steigend - 2014 waren es laut Arbeitsagentur Sachsen noch 131.000.

Ebenfalls unklar ist, wie viele Senioren trotz Erreichens des Rentenalters weiterarbeiten - auch hier gibt es einen steigenden Trend. Es bedarf oft einiger Zeit, bevor ein junger Nachfolger für die speziellen Aufgaben eingearbeitet ist. Zwar kehren neue Besen gut. Doch die Alten wissen, wo der Dreck liegt.

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Eine dritte Ungewissheit besteht darin, wie sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt entwickeln. Momentan herrscht gerade Flaute. Während die Unternehmen in den Jahren vor der Pandemie jährlich über 100.000 neue freie Arbeitsstellen gemeldet haben, waren es 2024 lediglich 72.000.

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Bereits jetzt sind viele Regionen Sachsens mit Fachärzten unterversorgt. Zuwanderung stopft Löcher.  © imago/Westend61

Zahl der internationalen Arbeitskräfte in Sachsen in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht

Besonders in sächsischen Betrieben mit 100 bis 500 Mitarbeitern liegt der Ausländeranteil weit über 75 Prozent.  © imago/photothek

Doch bereits jetzt gibt es in verschiedenen Branchen Fachkräfte-Engpässe. Die Mangelliste beginnt bei Lehrern und Erziehern, geht über Pflege und Heilberufe bis in die Gastronomie und hört bei Klempnern, Klima- und Elektrotechnikern nicht auf. Auch in der Informatik, Software-Entwicklung und Programmierung werden händeringend Leute gesucht.

Dabei hat sich die Zahl der internationalen Arbeitskräfte in Sachsen in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Gab es 2013 noch 26.000 (1,8 %) Ausländer in sozialversicherungspflichtigen Jobs, waren es 2023 bereits 131.000 (8,0 %, bundesweit 15,7 %). Inzwischen ist jeder 13. Arbeitnehmer in Sachsen ausländischer Staatsbürger.

Nur so wird die schrumpfende Zahl deutscher Fachkräfte kompensiert. Arbeitsagentur-Chef Klaus-Peter Hansen: "Das bedeutet, dass keine Arbeitsplätze von einheimischen Arbeitnehmern verdrängt werden. Vielmehr sorgt die Migration dafür, dass frei werdende Stellen nachbesetzt werden können."

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Ein Drittel der Ausländer (34,2 %) arbeitet auf Helferniveau - entweder, weil sie keine Ausbildung haben oder weil ihr Abschluss nicht anerkannt wurde. Doch über die Hälfte sind qualifiziert - als Facharbeiter (46,8 %), als Spezialist (Meister/Techniker - 6 %) oder als Experte auf akademischen Niveau (8 %).

Und in manchen Bereichen sorgen sie dafür, dass der Laden überhaupt noch läuft.

Die Gastronomie und die Lieferdienste würden ohne internationale Mitarbeiter schnell an ihre Grenzen stoßen.  © imago/dieBildmanufaktur/Arbeitsagentur Sachsen

Ägypten und Vietnam als Optionen?

Auch viele Flüchtlinge schafften es ins deutsche Ausbildungssystem und ins Berufsleben.  © picture alliance/dpa/dpa-tmn

In Sachsens Gastgewerbe etwa haben mehr als die Hälfte der Beschäftigten einen ausländischen Pass. Auch in der Logistikbranche greift inzwischen ein Drittel der Betriebe auf internationale Mitarbeiter zurück.

Die meisten ausländischen Arbeitnehmer kommen aus Polen (29.000) und Tschechien (15.000), gefolgt mit jeweils über 7000 von Ukraine, Rumänien und Syrien (über 400 syrische Ärzte!). Mit jeweils mehr als 4000 Arbeitskräften sind auch Vietnam, Indien und die Russische Föderation gut in Sachsen vertreten.

Dieser Mix könnte sich in den kommenden Jahren aber ändern. Gemeinsam mit den Kammern aus Industrie und Wirtschaft hat das Wirtschaftsministerium Zielregionen ins Auge gefasst, in denen jungen Leuten Arbeit und Leben in Sachsen schmackhaft gemacht werden soll.

So spricht etwa für Ägypten, dass es dort ein hohes Bevölkerungswachstum und eine Diskrepanz zwischen qualifizierten Berufsabschlüssen und dem Bedarf des Arbeitsmarktes besteht. In diesem Land mangelt es an Beschäftigungsperspektiven.

Ähnlich sieht es in Vietnam aus. Hinzu kommt, dass es bereits eine umfangreiche Community in Sachsen gibt und die Integration so leichter fallen dürfte. Derzeit gibt es einige sächsisch-vietnamesische Kooperationen zur Fachkräftegewinnung.

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Stillstehende Maschinen, weil es keine Arbeiter gibt, ist der Horror für jeden Unternehmer.  © imago/Westend61

Sachsen hat natürlich Konkurrenz

Klaus-Peter Hansen.  © Kristin Schmidt

In Brasilien herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von 27 Prozent. Mehrere sächsische Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen haben sich hier bereits bei der Auffüllung ihres Fachpersonals bedient. Man ist weiterhin vor Ort aktiv.

In Indien konzentrieren sich sächsische Wirtschaftsbosse vornehmlich auf den Bundesstaat Tamil Nadu, in dem es wie in Sachsen viel Fahrzeug- und Maschinenbau gibt.

Auch mit den zentralasiatischen Ländern Usbekistan und Kirgisistan gibt es sächsische Annäherungsversuche. Hier lebt eine sehr junge Bevölkerung, deren Bereitschaft zur Auswanderung recht hoch ist.

Natürlich befindet sich der Freistaat bei der Suche nach Fachkräften in diesen Regionen in Konkurrenz zu Unternehmen aus den anderen Bundesländern. Denn auch dort steigt durch die demografische Situation der Bedarf.

Doch irgendjemand muss die Arbeit ja machen.

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